Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoefer, Edmund: Rolof, der Rekrut. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

alte Frau geworden, seit Kummer und Sorge statt des Jubels der ersten Zeit bei ihr eingekehrt war, und das einzige frische Gesicht, das einzige leichte Herz hatte das Kind, der Knabe Rolof, ein Geschöpf so recht nach dem Herzen Gottes, wie ein Junge sein muß, frei und fröhlich, muthig und keck, kräftig und unermüdlich. Er war der einzige von Allen, der einigermaßen mit dem Vater umgehen und reden konnte; von ihm ließ sich dieser mehr gefallen als von irgend einem andern Menschenkinde, und ich habe es mehr als einmal gesehen, wie er mit einem gewissen Wohlgefallen auf den Jungen sah und von ihm sprach. Und dennoch, trotz dieser Liebe, wollte er ihn, der cantonpflichtig war, nicht freisprechen und als Matrosen ausschreiben lassen. Vergeblich rieth ich ihm bei jedem Besuch dazu, denn die See war des Jungen Wiege, Heimath und Leben. Thorheit! sagte der Jan in seiner breiten fremdländischen Sprachweise, es ist noch lange hin, bis seine Zeit kommt, und dann werden sie sich grausam irren, wenn sie ihn zu fassen denken. Ich thue den Bestien den Gefallen nicht, um etwas zu bitten, was sie mir abschlagen können und werden.

Indessen war die Zeit nicht mehr so fern, und als ich Anno Zwei wieder einmal daheim mich umsah, zählte Rolof bereits achtzehn Jahr und war ganz nahe bei der Aushebung. Und damals geschah's, daß der Junge mir das Herz stahl, rein weg, und sich selbst dafür in dieser Brust und in diesem Kopf festsetzte. Ich

alte Frau geworden, seit Kummer und Sorge statt des Jubels der ersten Zeit bei ihr eingekehrt war, und das einzige frische Gesicht, das einzige leichte Herz hatte das Kind, der Knabe Rolof, ein Geschöpf so recht nach dem Herzen Gottes, wie ein Junge sein muß, frei und fröhlich, muthig und keck, kräftig und unermüdlich. Er war der einzige von Allen, der einigermaßen mit dem Vater umgehen und reden konnte; von ihm ließ sich dieser mehr gefallen als von irgend einem andern Menschenkinde, und ich habe es mehr als einmal gesehen, wie er mit einem gewissen Wohlgefallen auf den Jungen sah und von ihm sprach. Und dennoch, trotz dieser Liebe, wollte er ihn, der cantonpflichtig war, nicht freisprechen und als Matrosen ausschreiben lassen. Vergeblich rieth ich ihm bei jedem Besuch dazu, denn die See war des Jungen Wiege, Heimath und Leben. Thorheit! sagte der Jan in seiner breiten fremdländischen Sprachweise, es ist noch lange hin, bis seine Zeit kommt, und dann werden sie sich grausam irren, wenn sie ihn zu fassen denken. Ich thue den Bestien den Gefallen nicht, um etwas zu bitten, was sie mir abschlagen können und werden.

Indessen war die Zeit nicht mehr so fern, und als ich Anno Zwei wieder einmal daheim mich umsah, zählte Rolof bereits achtzehn Jahr und war ganz nahe bei der Aushebung. Und damals geschah's, daß der Junge mir das Herz stahl, rein weg, und sich selbst dafür in dieser Brust und in diesem Kopf festsetzte. Ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0017"/>
alte Frau geworden, seit Kummer und Sorge statt des Jubels der ersten Zeit                     bei ihr eingekehrt war, und das einzige frische Gesicht, das einzige leichte                     Herz hatte das Kind, der Knabe Rolof, ein Geschöpf so recht nach dem Herzen                     Gottes, wie ein Junge sein muß, frei und fröhlich, muthig und keck, kräftig und                     unermüdlich. Er war der einzige von Allen, der einigermaßen mit dem Vater                     umgehen und reden konnte; von ihm ließ sich dieser mehr gefallen als von irgend                     einem andern Menschenkinde, und ich habe es mehr als einmal gesehen, wie er mit                     einem gewissen Wohlgefallen auf den Jungen sah und von ihm sprach. Und dennoch,                     trotz dieser Liebe, wollte er ihn, der cantonpflichtig war, nicht freisprechen                     und als Matrosen ausschreiben lassen. Vergeblich rieth ich ihm bei jedem Besuch                     dazu, denn die See war des Jungen Wiege, Heimath und Leben. Thorheit! sagte der                     Jan in seiner breiten fremdländischen Sprachweise, es ist noch lange hin, bis                     seine Zeit kommt, und dann werden sie sich grausam irren, wenn sie ihn zu fassen                     denken. Ich thue den Bestien den Gefallen nicht, um etwas zu bitten, was sie mir                     abschlagen können und werden.</p><lb/>
        <p>Indessen war die Zeit nicht mehr so fern, und als ich Anno Zwei wieder einmal                     daheim mich umsah, zählte Rolof bereits achtzehn Jahr und war ganz nahe bei der                     Aushebung. Und damals geschah's, daß der Junge mir das Herz stahl, rein weg, und                     sich selbst dafür in dieser Brust und in diesem Kopf festsetzte. Ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] alte Frau geworden, seit Kummer und Sorge statt des Jubels der ersten Zeit bei ihr eingekehrt war, und das einzige frische Gesicht, das einzige leichte Herz hatte das Kind, der Knabe Rolof, ein Geschöpf so recht nach dem Herzen Gottes, wie ein Junge sein muß, frei und fröhlich, muthig und keck, kräftig und unermüdlich. Er war der einzige von Allen, der einigermaßen mit dem Vater umgehen und reden konnte; von ihm ließ sich dieser mehr gefallen als von irgend einem andern Menschenkinde, und ich habe es mehr als einmal gesehen, wie er mit einem gewissen Wohlgefallen auf den Jungen sah und von ihm sprach. Und dennoch, trotz dieser Liebe, wollte er ihn, der cantonpflichtig war, nicht freisprechen und als Matrosen ausschreiben lassen. Vergeblich rieth ich ihm bei jedem Besuch dazu, denn die See war des Jungen Wiege, Heimath und Leben. Thorheit! sagte der Jan in seiner breiten fremdländischen Sprachweise, es ist noch lange hin, bis seine Zeit kommt, und dann werden sie sich grausam irren, wenn sie ihn zu fassen denken. Ich thue den Bestien den Gefallen nicht, um etwas zu bitten, was sie mir abschlagen können und werden. Indessen war die Zeit nicht mehr so fern, und als ich Anno Zwei wieder einmal daheim mich umsah, zählte Rolof bereits achtzehn Jahr und war ganz nahe bei der Aushebung. Und damals geschah's, daß der Junge mir das Herz stahl, rein weg, und sich selbst dafür in dieser Brust und in diesem Kopf festsetzte. Ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:37:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:37:13Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoefer_rekrut_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoefer_rekrut_1910/17
Zitationshilfe: Hoefer, Edmund: Rolof, der Rekrut. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoefer_rekrut_1910/17>, abgerufen am 21.11.2024.