Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

in ihrer Lektüre von den Schriftstellern ab; wie
wäre es denn, wenn sie nicht das erste, sondern
das leztere änderten, und die Modeschreiber von
sich und ihrem Geschmacke abhängen ließen? Man
könnte dann doch sagen, daß sie auch ihren eigenen
Geschmack hätten. Es wäre dies sehr leicht,
wenn sie nur der Mode, die in Leipzig in Ma-
kulatur debitirt wird, eben so entsagen wollten,
wie sie jetzt anfangen den Tändeleien aus Paris
zu entsagen.

Ausser den Vergnügen des Geistes gibt es
noch Vernügen des Herzens, die aus der Vor-
stellung der sittlichen Vollkommenheit in uns
oder andern entstehen Diese stehen unter den
vier Arten des Vergnügens oben an, sind aber
genau mit Belehrung, Bildung unsers mora-
lischen Gefühls verbunden. Wenn die Lektüre
dies bewirkt; so ist sie zweckmäßig, und beför-
dert das Glück der Menschen. Sollten wol die
hundert Geistergeschichten und tausend Ritter-
mährchen, und der gröste Theil des Modekrams,
hierauf die geringste Wirkung haben? Die Er-
fahrung lehrt, daß sie grade das Gegentheil her-
vorbringen. -- Die Vergnügen des Herzens
bestehen nicht im tiefen Spekulationen des Gei-
stes; sondern in moralischen Empfindungen, wor-
auf man, wie mich dünkt, vorzüglich in der Lek-
türe der Frauenzimmer wirken müßte. Dies ist

in ihrer Lektuͤre von den Schriftſtellern ab; wie
waͤre es denn, wenn ſie nicht das erſte, ſondern
das leztere aͤnderten, und die Modeſchreiber von
ſich und ihrem Geſchmacke abhaͤngen ließen? Man
koͤnnte dann doch ſagen, daß ſie auch ihren eigenen
Geſchmack haͤtten. Es waͤre dies ſehr leicht,
wenn ſie nur der Mode, die in Leipzig in Ma-
kulatur debitirt wird, eben ſo entſagen wollten,
wie ſie jetzt anfangen den Taͤndeleien aus Paris
zu entſagen.

Auſſer den Vergnuͤgen des Geiſtes gibt es
noch Vernuͤgen des Herzens, die aus der Vor-
ſtellung der ſittlichen Vollkommenheit in uns
oder andern entſtehen Dieſe ſtehen unter den
vier Arten des Vergnuͤgens oben an, ſind aber
genau mit Belehrung, Bildung unſers mora-
liſchen Gefuͤhls verbunden. Wenn die Lektuͤre
dies bewirkt; ſo iſt ſie zweckmaͤßig, und befoͤr-
dert das Gluͤck der Menſchen. Sollten wol die
hundert Geiſtergeſchichten und tauſend Ritter-
maͤhrchen, und der groͤſte Theil des Modekrams,
hierauf die geringſte Wirkung haben? Die Er-
fahrung lehrt, daß ſie grade das Gegentheil her-
vorbringen. — Die Vergnuͤgen des Herzens
beſtehen nicht im tiefen Spekulationen des Gei-
ſtes; ſondern in moraliſchen Empfindungen, wor-
auf man, wie mich duͤnkt, vorzuͤglich in der Lek-
tuͤre der Frauenzimmer wirken muͤßte. Dies iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0092" n="92"/>
in ihrer Lektu&#x0364;re von den Schrift&#x017F;tellern ab; wie<lb/>
wa&#x0364;re es denn, wenn &#x017F;ie <hi rendition="#fr">nicht</hi> das er&#x017F;te, &#x017F;ondern<lb/>
das leztere a&#x0364;nderten, und die Mode&#x017F;chreiber von<lb/>
&#x017F;ich und ihrem Ge&#x017F;chmacke abha&#x0364;ngen ließen? Man<lb/>
ko&#x0364;nnte dann doch &#x017F;agen, daß &#x017F;ie auch ihren eigenen<lb/>
Ge&#x017F;chmack ha&#x0364;tten. Es wa&#x0364;re dies &#x017F;ehr leicht,<lb/>
wenn &#x017F;ie nur der Mode, die in Leipzig in Ma-<lb/>
kulatur debitirt wird, eben &#x017F;o ent&#x017F;agen wollten,<lb/>
wie &#x017F;ie jetzt anfangen den Ta&#x0364;ndeleien aus Paris<lb/>
zu ent&#x017F;agen.</p><lb/>
        <p>Au&#x017F;&#x017F;er den Vergnu&#x0364;gen des Gei&#x017F;tes gibt es<lb/>
noch Vernu&#x0364;gen des Herzens, die aus der Vor-<lb/>
&#x017F;tellung der &#x017F;ittlichen Vollkommenheit in uns<lb/>
oder andern ent&#x017F;tehen Die&#x017F;e &#x017F;tehen unter den<lb/>
vier Arten des Vergnu&#x0364;gens oben an, &#x017F;ind aber<lb/>
genau mit Belehrung, Bildung un&#x017F;ers mora-<lb/>
li&#x017F;chen Gefu&#x0364;hls verbunden. Wenn die Lektu&#x0364;re<lb/>
dies bewirkt; &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie zweckma&#x0364;ßig, und befo&#x0364;r-<lb/>
dert das Glu&#x0364;ck der Men&#x017F;chen. Sollten wol die<lb/>
hundert Gei&#x017F;terge&#x017F;chichten und tau&#x017F;end Ritter-<lb/>
ma&#x0364;hrchen, und der gro&#x0364;&#x017F;te Theil des Modekrams,<lb/>
hierauf die gering&#x017F;te Wirkung haben? Die Er-<lb/>
fahrung lehrt, daß &#x017F;ie grade das Gegentheil her-<lb/>
vorbringen. &#x2014; Die Vergnu&#x0364;gen des Herzens<lb/>
be&#x017F;tehen nicht im tiefen Spekulationen des Gei-<lb/>
&#x017F;tes; &#x017F;ondern in morali&#x017F;chen Empfindungen, wor-<lb/>
auf man, wie mich du&#x0364;nkt, vorzu&#x0364;glich in der Lek-<lb/>
tu&#x0364;re der Frauenzimmer wirken mu&#x0364;ßte. Dies i&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0092] in ihrer Lektuͤre von den Schriftſtellern ab; wie waͤre es denn, wenn ſie nicht das erſte, ſondern das leztere aͤnderten, und die Modeſchreiber von ſich und ihrem Geſchmacke abhaͤngen ließen? Man koͤnnte dann doch ſagen, daß ſie auch ihren eigenen Geſchmack haͤtten. Es waͤre dies ſehr leicht, wenn ſie nur der Mode, die in Leipzig in Ma- kulatur debitirt wird, eben ſo entſagen wollten, wie ſie jetzt anfangen den Taͤndeleien aus Paris zu entſagen. Auſſer den Vergnuͤgen des Geiſtes gibt es noch Vernuͤgen des Herzens, die aus der Vor- ſtellung der ſittlichen Vollkommenheit in uns oder andern entſtehen Dieſe ſtehen unter den vier Arten des Vergnuͤgens oben an, ſind aber genau mit Belehrung, Bildung unſers mora- liſchen Gefuͤhls verbunden. Wenn die Lektuͤre dies bewirkt; ſo iſt ſie zweckmaͤßig, und befoͤr- dert das Gluͤck der Menſchen. Sollten wol die hundert Geiſtergeſchichten und tauſend Ritter- maͤhrchen, und der groͤſte Theil des Modekrams, hierauf die geringſte Wirkung haben? Die Er- fahrung lehrt, daß ſie grade das Gegentheil her- vorbringen. — Die Vergnuͤgen des Herzens beſtehen nicht im tiefen Spekulationen des Gei- ſtes; ſondern in moraliſchen Empfindungen, wor- auf man, wie mich duͤnkt, vorzuͤglich in der Lek- tuͤre der Frauenzimmer wirken muͤßte. Dies iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/92
Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/92>, abgerufen am 25.11.2024.