Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

auch nach meiner obigen Difinizion, ein stetes
Gefühl von Vollkommenheit vorhanden seyn,
ohne welches kein Vergnügen statt findet. --
Wenn ich dies auf die Modelektüre anwendete,
sollte hier wol ein stetes Vergnügen zurückblei-
ben? --

Wenn wir ein stetes Vergnügen nach mei-
ner vorigen Erklärung, als das höchste Ziel der
menschlichen Sterbsamkeit annehmen: so gehö-
ren zur Erreichung desselben richtige Mittel, die
für sich wiederum untergeordnete Zwecke seyn
können. Ein jedes dieser Mittel ist angenehm.
Wenn also die Lektüre zum Vergnügen beiträgt:
so ist sie angenehm; und wenn sie eine deutliche
Erkenntniß hervorbringt: so ist sie unterrichtend.
Dies lezte muß die Hauptsache seyn. Bei der
Lesesucht wird das Mittel zum Zweck gemacht,
und daraus kann nie etwas gutes kommen.
-- Jeder Unterricht, so wol der mündliche als
schriftliche, muß Wahrheit geben, wenn er gut
seyn soll, und jede Wahrheit ist angenehm und
vergnügend, weil sie einen Jrrthum wegräumt.
Das Streben nach Wahrheit ist Zweck für sich und
Mittel zu jenem höchsten Ziel. Jhr Nutzen für
das praktische Leben bestimmt ihren Werth.

Lassen Sie uns den ersten Satz den ich
oben als Hauptzweck des Lesens angab hier so

auch nach meiner obigen Difinizion, ein ſtetes
Gefuͤhl von Vollkommenheit vorhanden ſeyn,
ohne welches kein Vergnuͤgen ſtatt findet. —
Wenn ich dies auf die Modelektuͤre anwendete,
ſollte hier wol ein ſtetes Vergnuͤgen zuruͤckblei-
ben? —

Wenn wir ein ſtetes Vergnuͤgen nach mei-
ner vorigen Erklaͤrung, als das hoͤchſte Ziel der
menſchlichen Sterbſamkeit annehmen: ſo gehoͤ-
ren zur Erreichung deſſelben richtige Mittel, die
fuͤr ſich wiederum untergeordnete Zwecke ſeyn
koͤnnen. Ein jedes dieſer Mittel iſt angenehm.
Wenn alſo die Lektuͤre zum Vergnuͤgen beitraͤgt:
ſo iſt ſie angenehm; und wenn ſie eine deutliche
Erkenntniß hervorbringt: ſo iſt ſie unterrichtend.
Dies lezte muß die Hauptſache ſeyn. Bei der
Leſeſucht wird das Mittel zum Zweck gemacht,
und daraus kann nie etwas gutes kommen.
— Jeder Unterricht, ſo wol der muͤndliche als
ſchriftliche, muß Wahrheit geben, wenn er gut
ſeyn ſoll, und jede Wahrheit iſt angenehm und
vergnuͤgend, weil ſie einen Jrrthum wegraͤumt.
Das Streben nach Wahrheit iſt Zweck fuͤr ſich und
Mittel zu jenem hoͤchſten Ziel. Jhr Nutzen fuͤr
das praktiſche Leben beſtimmt ihren Werth.

Laſſen Sie uns den erſten Satz den ich
oben als Hauptzweck des Leſens angab hier ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0090" n="90"/>
auch nach meiner obigen Difinizion, ein &#x017F;tetes<lb/>
Gefu&#x0364;hl von Vollkommenheit vorhanden &#x017F;eyn,<lb/>
ohne welches kein Vergnu&#x0364;gen &#x017F;tatt findet. &#x2014;<lb/>
Wenn ich dies auf die Modelektu&#x0364;re anwendete,<lb/>
&#x017F;ollte hier wol ein &#x017F;tetes Vergnu&#x0364;gen zuru&#x0364;ckblei-<lb/>
ben? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wenn wir ein &#x017F;tetes Vergnu&#x0364;gen nach mei-<lb/>
ner vorigen Erkla&#x0364;rung, als das ho&#x0364;ch&#x017F;te Ziel der<lb/>
men&#x017F;chlichen Sterb&#x017F;amkeit annehmen: &#x017F;o geho&#x0364;-<lb/>
ren zur Erreichung de&#x017F;&#x017F;elben richtige Mittel, die<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich wiederum untergeordnete Zwecke &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nnen. Ein jedes die&#x017F;er Mittel i&#x017F;t angenehm.<lb/>
Wenn al&#x017F;o die Lektu&#x0364;re zum Vergnu&#x0364;gen beitra&#x0364;gt:<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie angenehm; und wenn &#x017F;ie eine deutliche<lb/>
Erkenntniß hervorbringt: &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie unterrichtend.<lb/>
Dies lezte muß die Haupt&#x017F;ache &#x017F;eyn. Bei der<lb/>
Le&#x017F;e&#x017F;ucht wird das Mittel zum Zweck gemacht,<lb/>
und daraus kann nie etwas gutes kommen.<lb/>
&#x2014; Jeder Unterricht, &#x017F;o wol der mu&#x0364;ndliche als<lb/>
&#x017F;chriftliche, muß Wahrheit geben, wenn er gut<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;oll, und jede Wahrheit i&#x017F;t angenehm und<lb/>
vergnu&#x0364;gend, weil &#x017F;ie einen Jrrthum wegra&#x0364;umt.<lb/>
Das Streben nach Wahrheit i&#x017F;t Zweck fu&#x0364;r &#x017F;ich und<lb/>
Mittel zu jenem ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ziel. Jhr Nutzen fu&#x0364;r<lb/>
das prakti&#x017F;che Leben be&#x017F;timmt ihren Werth.</p><lb/>
        <p>La&#x017F;&#x017F;en Sie uns den er&#x017F;ten Satz den ich<lb/>
oben als Hauptzweck des Le&#x017F;ens angab hier &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0090] auch nach meiner obigen Difinizion, ein ſtetes Gefuͤhl von Vollkommenheit vorhanden ſeyn, ohne welches kein Vergnuͤgen ſtatt findet. — Wenn ich dies auf die Modelektuͤre anwendete, ſollte hier wol ein ſtetes Vergnuͤgen zuruͤckblei- ben? — Wenn wir ein ſtetes Vergnuͤgen nach mei- ner vorigen Erklaͤrung, als das hoͤchſte Ziel der menſchlichen Sterbſamkeit annehmen: ſo gehoͤ- ren zur Erreichung deſſelben richtige Mittel, die fuͤr ſich wiederum untergeordnete Zwecke ſeyn koͤnnen. Ein jedes dieſer Mittel iſt angenehm. Wenn alſo die Lektuͤre zum Vergnuͤgen beitraͤgt: ſo iſt ſie angenehm; und wenn ſie eine deutliche Erkenntniß hervorbringt: ſo iſt ſie unterrichtend. Dies lezte muß die Hauptſache ſeyn. Bei der Leſeſucht wird das Mittel zum Zweck gemacht, und daraus kann nie etwas gutes kommen. — Jeder Unterricht, ſo wol der muͤndliche als ſchriftliche, muß Wahrheit geben, wenn er gut ſeyn ſoll, und jede Wahrheit iſt angenehm und vergnuͤgend, weil ſie einen Jrrthum wegraͤumt. Das Streben nach Wahrheit iſt Zweck fuͤr ſich und Mittel zu jenem hoͤchſten Ziel. Jhr Nutzen fuͤr das praktiſche Leben beſtimmt ihren Werth. Laſſen Sie uns den erſten Satz den ich oben als Hauptzweck des Leſens angab hier ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/90
Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/90>, abgerufen am 25.11.2024.