Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

einen physischen Ritterhelden interessant zu fin-
den, oder ihn lieb zu gewinnen.

Die physische Größe kann man allenfalls die-
sen Helden zugestehen; aber wie stehet es mit
der moralischen? Jst nicht das Erhabene, das
Edele auch in der kleinsten Handlung mehr werth
als das Barbarische, das Unedle bei aller physi-
schen Größe? Sicher ist es das für ein Herz,
das für das Gute im ganzen Umfange empfäng-
lich ist! Jch glaube, daß der, welchem eine Hand-
lung ohne die Würde gefällt, in demselben Falle
eben so handeln wird. -- Was hilft alles mo-
ralisiren über die Bewegungsgründe, Mittel und
Zwecke der menschlichen Handlungen, wenn man
die Menschen nicht gewöhnt grade diese Seite
auf zusuchen, und das Edele hervorzuziehen. Dies
geschiehet in den Rittergeschichten und Spektakel-
stücken nicht, sondern man findet das Gegentheil.
Das Bischen moralische der Handlungen, wird
durch ein Chaos von physischer Größe so verdun-
kelt, daß man es ganz verliehrt.

Die Begriffe von dem Anständigen hängen
immer von Zeit und Konvention ab; kann es
nicht auch der Begriff von einem guten Menschen?
mich dünkt er hing schon immer davon ab. --
Auch in der Wahrheit könnte man ja wol ei-
nen Pyrrhonismus einführen, denn was ist nicht

einen phyſiſchen Ritterhelden intereſſant zu fin-
den, oder ihn lieb zu gewinnen.

Die phyſiſche Groͤße kann man allenfalls die-
ſen Helden zugeſtehen; aber wie ſtehet es mit
der moraliſchen? Jſt nicht das Erhabene, das
Edele auch in der kleinſten Handlung mehr werth
als das Barbariſche, das Unedle bei aller phyſi-
ſchen Groͤße? Sicher iſt es das fuͤr ein Herz,
das fuͤr das Gute im ganzen Umfange empfaͤng-
lich iſt! Jch glaube, daß der, welchem eine Hand-
lung ohne die Wuͤrde gefaͤllt, in demſelben Falle
eben ſo handeln wird. — Was hilft alles mo-
raliſiren uͤber die Bewegungsgruͤnde, Mittel und
Zwecke der menſchlichen Handlungen, wenn man
die Menſchen nicht gewoͤhnt grade dieſe Seite
auf zuſuchen, und das Edele hervorzuziehen. Dies
geſchiehet in den Rittergeſchichten und Spektakel-
ſtuͤcken nicht, ſondern man findet das Gegentheil.
Das Bischen moraliſche der Handlungen, wird
durch ein Chaos von phyſiſcher Groͤße ſo verdun-
kelt, daß man es ganz verliehrt.

Die Begriffe von dem Anſtaͤndigen haͤngen
immer von Zeit und Konvention ab; kann es
nicht auch der Begriff von einem guten Menſchen?
mich duͤnkt er hing ſchon immer davon ab. —
Auch in der Wahrheit koͤnnte man ja wol ei-
nen Pyrrhonismus einfuͤhren, denn was iſt nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0142" n="142"/>
einen phy&#x017F;i&#x017F;chen Ritterhelden intere&#x017F;&#x017F;ant zu fin-<lb/>
den, oder ihn lieb zu gewinnen.</p><lb/>
        <p>Die phy&#x017F;i&#x017F;che Gro&#x0364;ße kann man allenfalls die-<lb/>
&#x017F;en Helden zuge&#x017F;tehen; aber wie &#x017F;tehet es mit<lb/>
der morali&#x017F;chen? J&#x017F;t nicht das Erhabene, das<lb/>
Edele auch in der klein&#x017F;ten Handlung mehr werth<lb/>
als das Barbari&#x017F;che, das Unedle bei aller phy&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;chen Gro&#x0364;ße? Sicher i&#x017F;t es das fu&#x0364;r ein Herz,<lb/>
das fu&#x0364;r das Gute im ganzen Umfange empfa&#x0364;ng-<lb/>
lich i&#x017F;t! Jch glaube, daß der, welchem eine Hand-<lb/>
lung ohne die Wu&#x0364;rde gefa&#x0364;llt, in dem&#x017F;elben Falle<lb/>
eben &#x017F;o handeln wird. &#x2014; Was hilft alles mo-<lb/>
rali&#x017F;iren u&#x0364;ber die Bewegungsgru&#x0364;nde, Mittel und<lb/>
Zwecke der men&#x017F;chlichen Handlungen, wenn man<lb/>
die Men&#x017F;chen nicht gewo&#x0364;hnt grade die&#x017F;e Seite<lb/>
auf zu&#x017F;uchen, und das Edele hervorzuziehen. Dies<lb/>
ge&#x017F;chiehet in den Ritterge&#x017F;chichten und Spektakel-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;cken nicht, &#x017F;ondern man findet das Gegentheil.<lb/>
Das Bischen morali&#x017F;che der Handlungen, wird<lb/>
durch ein Chaos von phy&#x017F;i&#x017F;cher Gro&#x0364;ße &#x017F;o verdun-<lb/>
kelt, daß man es ganz verliehrt.</p><lb/>
        <p>Die Begriffe von dem An&#x017F;ta&#x0364;ndigen ha&#x0364;ngen<lb/>
immer von Zeit und Konvention ab; kann es<lb/>
nicht auch der Begriff von einem guten Men&#x017F;chen?<lb/>
mich du&#x0364;nkt er hing &#x017F;chon immer davon ab. &#x2014;<lb/>
Auch in der Wahrheit ko&#x0364;nnte man ja wol ei-<lb/>
nen Pyrrhonismus einfu&#x0364;hren, denn was i&#x017F;t nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0142] einen phyſiſchen Ritterhelden intereſſant zu fin- den, oder ihn lieb zu gewinnen. Die phyſiſche Groͤße kann man allenfalls die- ſen Helden zugeſtehen; aber wie ſtehet es mit der moraliſchen? Jſt nicht das Erhabene, das Edele auch in der kleinſten Handlung mehr werth als das Barbariſche, das Unedle bei aller phyſi- ſchen Groͤße? Sicher iſt es das fuͤr ein Herz, das fuͤr das Gute im ganzen Umfange empfaͤng- lich iſt! Jch glaube, daß der, welchem eine Hand- lung ohne die Wuͤrde gefaͤllt, in demſelben Falle eben ſo handeln wird. — Was hilft alles mo- raliſiren uͤber die Bewegungsgruͤnde, Mittel und Zwecke der menſchlichen Handlungen, wenn man die Menſchen nicht gewoͤhnt grade dieſe Seite auf zuſuchen, und das Edele hervorzuziehen. Dies geſchiehet in den Rittergeſchichten und Spektakel- ſtuͤcken nicht, ſondern man findet das Gegentheil. Das Bischen moraliſche der Handlungen, wird durch ein Chaos von phyſiſcher Groͤße ſo verdun- kelt, daß man es ganz verliehrt. Die Begriffe von dem Anſtaͤndigen haͤngen immer von Zeit und Konvention ab; kann es nicht auch der Begriff von einem guten Menſchen? mich duͤnkt er hing ſchon immer davon ab. — Auch in der Wahrheit koͤnnte man ja wol ei- nen Pyrrhonismus einfuͤhren, denn was iſt nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/142
Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/142>, abgerufen am 24.11.2024.