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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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die Beurtheilung anderer ist daher unverkenn-
bar. Launische Urtheile haben keine, oder nur
geringe objektive Gründe, sondern nur sub-
jektive in der jedesmaligen Laune. Der eine
siehet schwarz, was der andere weiß siehet, weil
seine Leidenschaft grade in solcher Stimmung ist,
findet Fehler wo keine sind, verdammt wo er
entschuldigen sollte. Was in ihm vorgehet sucht
er außer sich und stößt überall an Ungerechtigkeit.
Der Gutgelaunte entschuldigt vielleicht zu viel:
beleidigt auch durch den freien Lauf seines Witzes;
dies ist nicht recht, aber er wird doch nicht so
unausstehlich als der Uebelgelaunte. Die gehöri-
ge Temperatur, die goldene Mittelstraße ist in
allen Dingen das schätzbarste, das was am mei-
sten glücklich macht. Wie viel, wie unendlich
viel kann durch eine frohe Laune zu einem fro-
hen Leben gewonnen werden! der kalte Philo-
soph möchte wol nur an die Mittelstraße steigen
wollen, aber gibt es einen kalten Philosophen
bei seiner Gattin und Kindern? -- --

Gewiß, meine schätzbare Freundin! die Wei-
ber sind dazu bestimmt die ernste Stirne und
die trüben zufälligen Launen des Mannes, und
wenn es gehet auch die eigenthümliche, durch
einen frohen Sinn, durch eine muntere Laune
zu erheitern. Auf sie kommt es wo nich ganz
allein, doch vorzüglich an. Die häuslichen Freu-

die Beurtheilung anderer iſt daher unverkenn-
bar. Launiſche Urtheile haben keine, oder nur
geringe objektive Gruͤnde, ſondern nur ſub-
jektive in der jedesmaligen Laune. Der eine
ſiehet ſchwarz, was der andere weiß ſiehet, weil
ſeine Leidenſchaft grade in ſolcher Stimmung iſt,
findet Fehler wo keine ſind, verdammt wo er
entſchuldigen ſollte. Was in ihm vorgehet ſucht
er außer ſich und ſtoͤßt uͤberall an Ungerechtigkeit.
Der Gutgelaunte entſchuldigt vielleicht zu viel:
beleidigt auch durch den freien Lauf ſeines Witzes;
dies iſt nicht recht, aber er wird doch nicht ſo
unausſtehlich als der Uebelgelaunte. Die gehoͤri-
ge Temperatur, die goldene Mittelſtraße iſt in
allen Dingen das ſchaͤtzbarſte, das was am mei-
ſten gluͤcklich macht. Wie viel, wie unendlich
viel kann durch eine frohe Laune zu einem fro-
hen Leben gewonnen werden! der kalte Philo-
ſoph moͤchte wol nur an die Mittelſtraße ſteigen
wollen, aber gibt es einen kalten Philoſophen
bei ſeiner Gattin und Kindern? — —

Gewiß, meine ſchaͤtzbare Freundin! die Wei-
ber ſind dazu beſtimmt die ernſte Stirne und
die truͤben zufaͤlligen Launen des Mannes, und
wenn es gehet auch die eigenthuͤmliche, durch
einen frohen Sinn, durch eine muntere Laune
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[124/0124] die Beurtheilung anderer iſt daher unverkenn- bar. Launiſche Urtheile haben keine, oder nur geringe objektive Gruͤnde, ſondern nur ſub- jektive in der jedesmaligen Laune. Der eine ſiehet ſchwarz, was der andere weiß ſiehet, weil ſeine Leidenſchaft grade in ſolcher Stimmung iſt, findet Fehler wo keine ſind, verdammt wo er entſchuldigen ſollte. Was in ihm vorgehet ſucht er außer ſich und ſtoͤßt uͤberall an Ungerechtigkeit. Der Gutgelaunte entſchuldigt vielleicht zu viel: beleidigt auch durch den freien Lauf ſeines Witzes; dies iſt nicht recht, aber er wird doch nicht ſo unausſtehlich als der Uebelgelaunte. Die gehoͤri- ge Temperatur, die goldene Mittelſtraße iſt in allen Dingen das ſchaͤtzbarſte, das was am mei- ſten gluͤcklich macht. Wie viel, wie unendlich viel kann durch eine frohe Laune zu einem fro- hen Leben gewonnen werden! der kalte Philo- ſoph moͤchte wol nur an die Mittelſtraße ſteigen wollen, aber gibt es einen kalten Philoſophen bei ſeiner Gattin und Kindern? — — Gewiß, meine ſchaͤtzbare Freundin! die Wei- ber ſind dazu beſtimmt die ernſte Stirne und die truͤben zufaͤlligen Launen des Mannes, und wenn es gehet auch die eigenthuͤmliche, durch einen frohen Sinn, durch eine muntere Laune zu erheitern. Auf ſie kommt es wo nich ganz allein, doch vorzuͤglich an. Die haͤuslichen Freu-

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/124>, abgerufen am 27.11.2024.