Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

türe gesammlet diese Wirkung hervorbringen?
ich zweifele keinen Augenblick daran.

Jch fordere nicht, daß man die Einbil-
dungskraft uuterdrücken soll, dies ist unmöglich,
sondern man suche sie nur in einem gehörigen
Wirkungskreise zu erhalten, wo interessanter
Stoff zu finden ist, und sie wird unser Glück
vermehren. Jn ihrem Luxuriren wird sie selten
oder gar nicht die Quelle der Tugend; wol
daher, weil sie nicht strenge an das Gesetz der
Vernunft, sonderu an die Gesetze des Gefühls
gebunden ist. Tug end hängt von der Vernunft
ab; sie soll wenigsten | nie eine Sache des
Gefühls oder Temperaments seyn, ob sie gleich
dadurch hin und wieder verstärkt werden kann.
-- Durch die Lektüre erhält die Einbildungskraft
das weiteste Feld, zumal durch Schilderung
sinnlicher Gegenstände, hier kann sie vermöge
der Assoziation der Jdeen, leicht aus einer hun-
dert andere zusammen setzen, Jdeale entwerfen,
die sie entzücken oder mit Abscheu erfüllen. Bei-
des setzt einen leidenschaftlichen Gemüthszustand
voraus, der in einer gewissen Zeit wirksam ist,
und dies ist die Laune, die man zufällig nennt,
wenn keine bemerklichen objektiven Gründe vor-
handen sind. -- Jn so fern die subjektiven
Gründe der Handlungen und Urtheile in dem

tuͤre geſammlet dieſe Wirkung hervorbringen?
ich zweifele keinen Augenblick daran.

Jch fordere nicht, daß man die Einbil-
dungskraft uuterdruͤcken ſoll, dies iſt unmoͤglich,
ſondern man ſuche ſie nur in einem gehoͤrigen
Wirkungskreiſe zu erhalten, wo intereſſanter
Stoff zu finden iſt, und ſie wird unſer Gluͤck
vermehren. Jn ihrem Luxuriren wird ſie ſelten
oder gar nicht die Quelle der Tugend; wol
daher, weil ſie nicht ſtrenge an das Geſetz der
Vernunft, ſonderu an die Geſetze des Gefuͤhls
gebunden iſt. Tug end haͤngt von der Vernunft
ab; ſie ſoll wenigſten | nie eine Sache des
Gefuͤhls oder Temperaments ſeyn, ob ſie gleich
dadurch hin und wieder verſtaͤrkt werden kann.
— Durch die Lektuͤre erhaͤlt die Einbildungskraft
das weiteſte Feld, zumal durch Schilderung
ſinnlicher Gegenſtaͤnde, hier kann ſie vermoͤge
der Aſſoziation der Jdeen, leicht aus einer hun-
dert andere zuſammen ſetzen, Jdeale entwerfen,
die ſie entzuͤcken oder mit Abſcheu erfuͤllen. Bei-
des ſetzt einen leidenſchaftlichen Gemuͤthszuſtand
voraus, der in einer gewiſſen Zeit wirkſam iſt,
und dies iſt die Laune, die man zufaͤllig nennt,
wenn keine bemerklichen objektiven Gruͤnde vor-
handen ſind. — Jn ſo fern die ſubjektiven
Gruͤnde der Handlungen und Urtheile in dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="119"/>
tu&#x0364;re ge&#x017F;ammlet die&#x017F;e Wirkung hervorbringen?<lb/>
ich zweifele keinen Augenblick daran.</p><lb/>
        <p>Jch fordere nicht, daß man die Einbil-<lb/>
dungskraft uuterdru&#x0364;cken &#x017F;oll, dies i&#x017F;t unmo&#x0364;glich,<lb/>
&#x017F;ondern man &#x017F;uche &#x017F;ie nur in einem geho&#x0364;rigen<lb/>
Wirkungskrei&#x017F;e zu erhalten, wo intere&#x017F;&#x017F;anter<lb/>
Stoff zu finden i&#x017F;t, und &#x017F;ie wird un&#x017F;er Glu&#x0364;ck<lb/>
vermehren. Jn ihrem Luxuriren wird &#x017F;ie &#x017F;elten<lb/>
oder gar nicht die Quelle der Tugend; wol<lb/>
daher, weil &#x017F;ie nicht &#x017F;trenge an das Ge&#x017F;etz der<lb/>
Vernunft, &#x017F;onderu an die Ge&#x017F;etze des Gefu&#x0364;hls<lb/>
gebunden i&#x017F;t. Tug end ha&#x0364;ngt von der Vernunft<lb/>
ab; &#x017F;ie &#x017F;oll wenig&#x017F;ten | nie eine Sache des<lb/>
Gefu&#x0364;hls oder Temperaments &#x017F;eyn, ob &#x017F;ie gleich<lb/>
dadurch hin und wieder ver&#x017F;ta&#x0364;rkt werden kann.<lb/>
&#x2014; Durch die Lektu&#x0364;re erha&#x0364;lt die Einbildungskraft<lb/>
das weite&#x017F;te Feld, zumal durch Schilderung<lb/>
&#x017F;innlicher Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, hier kann &#x017F;ie vermo&#x0364;ge<lb/>
der A&#x017F;&#x017F;oziation der Jdeen, leicht aus einer hun-<lb/>
dert andere zu&#x017F;ammen &#x017F;etzen, Jdeale entwerfen,<lb/>
die &#x017F;ie entzu&#x0364;cken oder mit Ab&#x017F;cheu erfu&#x0364;llen. Bei-<lb/>
des &#x017F;etzt einen leiden&#x017F;chaftlichen Gemu&#x0364;thszu&#x017F;tand<lb/>
voraus, der in einer gewi&#x017F;&#x017F;en Zeit wirk&#x017F;am i&#x017F;t,<lb/>
und dies i&#x017F;t die <hi rendition="#fr">Laune,</hi> die man zufa&#x0364;llig nennt,<lb/>
wenn keine bemerklichen objektiven Gru&#x0364;nde vor-<lb/>
handen &#x017F;ind. &#x2014; Jn &#x017F;o fern die &#x017F;ubjektiven<lb/>
Gru&#x0364;nde der Handlungen und Urtheile in dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0119] tuͤre geſammlet dieſe Wirkung hervorbringen? ich zweifele keinen Augenblick daran. Jch fordere nicht, daß man die Einbil- dungskraft uuterdruͤcken ſoll, dies iſt unmoͤglich, ſondern man ſuche ſie nur in einem gehoͤrigen Wirkungskreiſe zu erhalten, wo intereſſanter Stoff zu finden iſt, und ſie wird unſer Gluͤck vermehren. Jn ihrem Luxuriren wird ſie ſelten oder gar nicht die Quelle der Tugend; wol daher, weil ſie nicht ſtrenge an das Geſetz der Vernunft, ſonderu an die Geſetze des Gefuͤhls gebunden iſt. Tug end haͤngt von der Vernunft ab; ſie ſoll wenigſten | nie eine Sache des Gefuͤhls oder Temperaments ſeyn, ob ſie gleich dadurch hin und wieder verſtaͤrkt werden kann. — Durch die Lektuͤre erhaͤlt die Einbildungskraft das weiteſte Feld, zumal durch Schilderung ſinnlicher Gegenſtaͤnde, hier kann ſie vermoͤge der Aſſoziation der Jdeen, leicht aus einer hun- dert andere zuſammen ſetzen, Jdeale entwerfen, die ſie entzuͤcken oder mit Abſcheu erfuͤllen. Bei- des ſetzt einen leidenſchaftlichen Gemuͤthszuſtand voraus, der in einer gewiſſen Zeit wirkſam iſt, und dies iſt die Laune, die man zufaͤllig nennt, wenn keine bemerklichen objektiven Gruͤnde vor- handen ſind. — Jn ſo fern die ſubjektiven Gruͤnde der Handlungen und Urtheile in dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/119
Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/119>, abgerufen am 27.11.2024.