Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.Einbildungskraft nie gleich stark bei allen Men- Wenn das Lesen der Geisterseher, Ritter- Einbildungskraft nie gleich ſtark bei allen Men- Wenn das Leſen der Geiſterſeher, Ritter- <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0109" n="109"/> Einbildungskraft nie gleich ſtark bei allen Men-<lb/> ſchen iſt: ſondern ſich auch nach dem Nervenbau<lb/> richtet: ſo koͤnnte ſich wol hie und da <hi rendition="#fr">Eine</hi> ein-<lb/> fallen laſſen ihre Nerven zu ſchwaͤchen (wie ſie oft<lb/> die Farbe ihres Geſichts nach der Mode, voll und<lb/> ſchmachtend, zu waͤhlen weiß) um nicht fuͤr we-<lb/> niger delikat als ihre Schweſtern gehalten zu<lb/> werden. Leider geſchiehet dies nicht blos durch<lb/> die Lektuͤre allein, ſondern auch durch Phanta-<lb/> ſien aus der wirklichen Welt, die fuͤr Kopf und<lb/> Herz und fuͤr die ganze Moralitaͤt ſo traurige<lb/> Zerruͤttungen hervorbringen. Wenn doch die<lb/> Ewaldiſche <hi rendition="#fr">Urania</hi> hierauf achten, und die Poli-<lb/> tik weglaſſen wollte!</p><lb/> <p>Wenn das Leſen der Geiſterſeher, Ritter-<lb/> geſchichten u. ſ. w. unleugbar auf die Phantaſie<lb/> beſonders der Frauenzimmer wirkt, ſo daß ſie<lb/> oft ſelbſt nur als Erſcheinungen in verſchiedenen<lb/> Geſtalten auftreten; wenn dadurch eine Vertrau-<lb/> lichkeit mit jenen Helden entſtehet, und wenn<lb/> Geiſtercharaktere — wer hat je einen wahren ge-<lb/> ſchildert — aufgefuͤhrt werden, die alle das<lb/> Herz kalt laſſen, und kein Jntereſſe fuͤr Sympathie<lb/> und fuͤr den Geiſt darbieten, ſondern den Men-<lb/> ſchen entwoͤhnen: ſo muß Heiterkeit abnehmen.<lb/> Die Leſer ſchweben in einer Mittelregion, und<lb/> gehoͤren zu keiner Klaſſe. Man koͤnnte fuͤr ſie<lb/> den Kinder <hi rendition="#fr">Limbus</hi> der alten Kirchenvaͤter wie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [109/0109]
Einbildungskraft nie gleich ſtark bei allen Men-
ſchen iſt: ſondern ſich auch nach dem Nervenbau
richtet: ſo koͤnnte ſich wol hie und da Eine ein-
fallen laſſen ihre Nerven zu ſchwaͤchen (wie ſie oft
die Farbe ihres Geſichts nach der Mode, voll und
ſchmachtend, zu waͤhlen weiß) um nicht fuͤr we-
niger delikat als ihre Schweſtern gehalten zu
werden. Leider geſchiehet dies nicht blos durch
die Lektuͤre allein, ſondern auch durch Phanta-
ſien aus der wirklichen Welt, die fuͤr Kopf und
Herz und fuͤr die ganze Moralitaͤt ſo traurige
Zerruͤttungen hervorbringen. Wenn doch die
Ewaldiſche Urania hierauf achten, und die Poli-
tik weglaſſen wollte!
Wenn das Leſen der Geiſterſeher, Ritter-
geſchichten u. ſ. w. unleugbar auf die Phantaſie
beſonders der Frauenzimmer wirkt, ſo daß ſie
oft ſelbſt nur als Erſcheinungen in verſchiedenen
Geſtalten auftreten; wenn dadurch eine Vertrau-
lichkeit mit jenen Helden entſtehet, und wenn
Geiſtercharaktere — wer hat je einen wahren ge-
ſchildert — aufgefuͤhrt werden, die alle das
Herz kalt laſſen, und kein Jntereſſe fuͤr Sympathie
und fuͤr den Geiſt darbieten, ſondern den Men-
ſchen entwoͤhnen: ſo muß Heiterkeit abnehmen.
Die Leſer ſchweben in einer Mittelregion, und
gehoͤren zu keiner Klaſſe. Man koͤnnte fuͤr ſie
den Kinder Limbus der alten Kirchenvaͤter wie
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