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Hobrecht, James: Die modernen Aufgaben des großstädtischen Straßenbaues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungsnetze. In: Centralblatt der Bauverwaltung 10 (1890), Nr. 36, Sp. 353-356, Sp. 375-376, Nr. 37, Sp. 386-388.

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Nr. 37. Centralblatt der Bauverwaltung.
[Spaltenumbruch] welche nicht sich genöthigt gesehen hätte, mindestens in den Boden-
falten, welche nach dem Flusse zu sich öffnen, Entwässerungs-
leitungen zu bauen. Sicher und nachweislich hat man dabei die
Leitung nicht am letzten Hause begonnen, sondern in Erwartung
weiterer städtischer Ausdehnung der Leitung anfänglich grössere
Masse gegeben, um sie nach oben hin fortsetzen zu können. Was
hat diese Aufmerksamkeit genützt? Wir sehen jetzt, dass auch die
weitgehendste Fürsorge in dieser Beziehung längst durch die Ent-
wicklung überholt ist. Nicht allein, dass die Verlängerung der
Leitungen, schliesslich in kleinster zulässiger Abmessung, weit über
das rechnerisch bestimmte Mass hinaus vor sich gegangen, -- nein,
man hat auf einmal wieder ein grösseres Profil oberhalb an das kleinere
unterhalb angeschlossen und sogar die Sohle der oben angeflickten
Leitung, da die alte mit Gefälle sich der Oberfläche zu sehr näherte,
plötzlich beliebig
[Abbildung]

Holzstich v. O. Ebel.

Kaiser Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica.
Entwurf von Bruno Schmitz in Berlin. Ein erster Preis.

tiefer gelegt. Na-
türlich war es nur
eine Täuschung,
davon einen Erfolg
zu erwarten, aber
geschehen ist es im
Drange der Noth in
zahlreichen Fällen.

Als im Jahr 1860
eine preussische Tech-
niker-Commission
die Entwässerungs-
anlagen des Auslan-
des studirte und ihren
Reisebericht nebst
einem generellen Ent-
wässerungsplane für
Berlin veröffentlichte,
glaubte sie das
äusserste gethan zu
haben, wenn sie für
Berlin eine grösste
Einwohnerzahl von
775 000 in Ansatz
brachte. Es heisst
in jenem Bericht:
"Diese Zunahme der
Bevölkerung um bei-
nahe 59 pCt. dürfte
so reichlich gerechnet
sein, dass eine baldige
Ueberschreitung der-
selben nicht leicht
anzunehmen ist."
Wenn wir aber nun
sehen, welch ein schwerer Irrthum in jener Annahme lag, wenn wir
wissen, dass in noch nicht 30 Jahren jene Annahme um weitere 50 pCt.
hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben ist, so mache ich doch
daraus niemandem einen Vorwurf; ich müsste mir ihn vor allem selbst
machen, da ich seiner Zeit an jener Arbeit betheiligt war. Wären
aber die Röhren und Canäle nach dem damaligen Entwurf, welcher
die ganze Stadt in ein System zusammenfasste, gelegt worden, sie
hätten, zum grösseren Theil wenigstens, seitdem schon herausge-
nommen und durch grössere ersetzt werden müssen.

Wird nun nach dem von mir empfohlenen und bei der jetzigen
Entwässerung Berlins zur Ausführung gebrachten Verfahren die
ganze Stadt räumlich in einzelne Systeme zerlegt, so ist jede spätere
unvorhergesehene und nicht vorherzusehende peripherische Ver-
grösserung
des einzelnen Versorgungsgebiets ausgeschlossen; aus-
geschlossen ist auch, wenigstens im wesentlichen, eine Vermehrung
oder Vergrösserung der Stoffmenge, auf welche sich das einzelne
Werk einzurichten hat. Wie schon gesagt, ist diese Stoffmenge ein
Product, dessen beide Factoren erstens die Bevölkerungszahl und
zweitens die Beanspruchung auf den Kopf und Tag an das Werk
sind. Ist das System räumlich begrenzt, so fällt jede Unsicherheit
bezüglich des ersten Factors ganz und gar fort; man kann mit Be-
stimmtheit sagen, dass die Bevölkerungsdichtigkeit über ein gewisses
Mass hinaus, welches dann allerdings überall zu Grunde zu legen
ist, nicht steigt. Ja, die Erfahrung hat gelehrt, dass die Dichtigkeit
der Bevölkerung in einer Grossstadt abzunehmen pflegt, sobald ein
gewisser, hoher Grad grossstädtischer Entwicklung erreicht ist oder
überschritten wird.

Weniger sicher ist freilich die Bestimmung des zweiten Factors,
aber auch hier liegen Erfahrungen genug vor, wie diejenige über den
Maximalconsum an Wasser auf den Kopf und Tag, über den Gas-
verbrauch auf den Kopf und Tag, über die abzuleitende Regenmenge
[Spaltenumbruch] für die Flächeneinheit in der Secunde usw., welche, unter Hinzu-
rechnung eines gewissen Sicherheits-Coefficienten, es möglich machen,
für die Versorgungsnetze eine Grösse zu ermitteln, die dauernd ge-
nügt, und welche daher ein Herausnehmen und Verändern der
Leitungen unnöthig macht.

Unerlässlich erscheint in Grossstädten endlich, dass die Verwal-
tung der verschiedenen Versorgungswerke, wenigstens so weit als es
sich um die Versorgungsnetze handelt, technisch in einer Hand ruhe.

Darf ich also noch einmal die Massnahmen kurz aufführen, die
nach meinem Ermessen, abgesehen von dem oben über die Einbettung
der Versorgungsnetze in die Bürgersteige bereits Gesagten, geeignet
sind der Noth der Grossstädte auf diesem Gebiet zu steuern, so sind
dies folgende:
1. Subways, wo deren Erbauung möglich ist, und wo sie nach
den gegebenen Ver-
hältnissen eine durch-
greifende Ordnung
und Unterbringung
der Leitungen dau-
ernd
in Aussicht
stellen.
2. Herstellung
eines administra-
tiven Verbandes

der Grossstädte
und ihrer Vororte
.
3. Erlass eines
die Feststellung
der Bebauungs-
pläne und die Aus-
führung neuer
Strassen regeln-
den Gesetzes nach
Art des in Preu-
ssen gültigen Ge-
setzes vom 2. Juli

1875, wo solches noch
nicht vorhanden, und
Erlass der nach die-
sem Gesetz zulässigen
Ortsstatute, wo dies
noch nicht geschehen.
4. Eintheilung
neuer Strassen der-
art, dass mehr als
bisher den Bürger-
steigen
eine grössere
Breite, nöthigen-
falls auf Kosten der
Strassendämme, ge-
geben wird; auch selbst bei schon vorhandenen Strassen wird es sich
sehr empfehlen, zu prüfen, ob eine Anordnung in dem angedeuteten
Sinne nicht vom Verkehrs-Standpunkt zulässig und vom Standpunkt
der Versorgungsnetze aus sehr wünschenswerth ist.
5. Nichtertheilung weiterer Concessionen an Privat-Unter-
nehmer
(Actien-Gesellschaften) zur Ausführung und financiellen
Ausbeutung von Versorgungsnetzen irgend welcher Art; wo solche
Concessionen aber bestehen, Ablösung derselben.
6. Theilung jeder Versorgungsanlage einer Stadt in be-
stimmte räumlich abgetrennte Einzelsysteme
.
7. Stellung der verschiedenen Versorgungswerke der Grossstadt
unter eine und dieselbe technische Leitung.

Und nun, m. H., nur noch wenige Worte. Es ist eine billige
Weisheit, vor erkannten Schädlichkeiten zu warnen, aber in Vor-
aussicht die nachtheiligen Einflüsse zu erkennen, welche die Begleiter
von Zuständen sind, die wir erstreben, von Genüssen, die wir begehren,
ist verdienstlich. Der Geschichtschreiber weiss heute davon zu erzählen,
wie der römische Caesarismus den Schwerpunkt der Reichsverwaltung
den Freigelassenen und den Prätorianern zuschob und damit den Zer-
fall einer Weltherrschaft bedingte; dass aber eine hochmüthige, stets
erobernde Republik zu einem Caesar führen musste, sagten zur richtigen
Zeit nur wenige, und diesen wenigen wurde es nicht geglaubt.

Es ist jetzt, wie niemand leugnen wird, eine Art Sport ge-
worden, Grossstädte mit einander in Vergleich zu stellen und
derjenigen den Preis zuzuerkennen, welche es im Wachsthum, in der
Einwohnerzahl, in öffentlich Einrichtungen am weitesten gebracht
hat. Unentgeltliche Schulen, Feriencolonieen, Stadtmissionen, Fach-
schulen, Volksbäder, Asyle, Bürger-Rettungshäuser und ähnliches in
hunderterlei Gestalt erfüllt die Seele der dabei Thätigen mit Selbst-
zufriedenheit und tugendlichem Muth; es ist ein Retten des Geistes,
des Körpers, der unsterblichen Seele unserer armen oder verkommenen

Nr. 37. Centralblatt der Bauverwaltung.
[Spaltenumbruch] welche nicht sich genöthigt gesehen hätte, mindestens in den Boden-
falten, welche nach dem Flusse zu sich öffnen, Entwässerungs-
leitungen zu bauen. Sicher und nachweislich hat man dabei die
Leitung nicht am letzten Hause begonnen, sondern in Erwartung
weiterer städtischer Ausdehnung der Leitung anfänglich gröſsere
Maſse gegeben, um sie nach oben hin fortsetzen zu können. Was
hat diese Aufmerksamkeit genützt? Wir sehen jetzt, daſs auch die
weitgehendste Fürsorge in dieser Beziehung längst durch die Ent-
wicklung überholt ist. Nicht allein, daſs die Verlängerung der
Leitungen, schlieſslich in kleinster zulässiger Abmessung, weit über
das rechnerisch bestimmte Maſs hinaus vor sich gegangen, — nein,
man hat auf einmal wieder ein gröſseres Profil oberhalb an das kleinere
unterhalb angeschlossen und sogar die Sohle der oben angeflickten
Leitung, da die alte mit Gefälle sich der Oberfläche zu sehr näherte,
plötzlich beliebig
[Abbildung]

Holzstich v. O. Ebel.

Kaiser Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica.
Entwurf von Bruno Schmitz in Berlin. Ein erster Preis.

tiefer gelegt. Na-
türlich war es nur
eine Täuschung,
davon einen Erfolg
zu erwarten, aber
geschehen ist es im
Drange der Noth in
zahlreichen Fällen.

Als im Jahr 1860
eine preuſsische Tech-
niker-Commission
die Entwässerungs-
anlagen des Auslan-
des studirte und ihren
Reisebericht nebst
einem generellen Ent-
wässerungsplane für
Berlin veröffentlichte,
glaubte sie das
äuſserste gethan zu
haben, wenn sie für
Berlin eine gröſste
Einwohnerzahl von
775 000 in Ansatz
brachte. Es heiſst
in jenem Bericht:
„Diese Zunahme der
Bevölkerung um bei-
nahe 59 pCt. dürfte
so reichlich gerechnet
sein, daſs eine baldige
Ueberschreitung der-
selben nicht leicht
anzunehmen ist.“
Wenn wir aber nun
sehen, welch ein schwerer Irrthum in jener Annahme lag, wenn wir
wissen, daſs in noch nicht 30 Jahren jene Annahme um weitere 50 pCt.
hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben ist, so mache ich doch
daraus niemandem einen Vorwurf; ich müſste mir ihn vor allem selbst
machen, da ich seiner Zeit an jener Arbeit betheiligt war. Wären
aber die Röhren und Canäle nach dem damaligen Entwurf, welcher
die ganze Stadt in ein System zusammenfaſste, gelegt worden, sie
hätten, zum gröſseren Theil wenigstens, seitdem schon herausge-
nommen und durch gröſsere ersetzt werden müssen.

Wird nun nach dem von mir empfohlenen und bei der jetzigen
Entwässerung Berlins zur Ausführung gebrachten Verfahren die
ganze Stadt räumlich in einzelne Systeme zerlegt, so ist jede spätere
unvorhergesehene und nicht vorherzusehende peripherische Ver-
gröſserung
des einzelnen Versorgungsgebiets ausgeschlossen; aus-
geschlossen ist auch, wenigstens im wesentlichen, eine Vermehrung
oder Vergröſserung der Stoffmenge, auf welche sich das einzelne
Werk einzurichten hat. Wie schon gesagt, ist diese Stoffmenge ein
Product, dessen beide Factoren erstens die Bevölkerungszahl und
zweitens die Beanspruchung auf den Kopf und Tag an das Werk
sind. Ist das System räumlich begrenzt, so fällt jede Unsicherheit
bezüglich des ersten Factors ganz und gar fort; man kann mit Be-
stimmtheit sagen, daſs die Bevölkerungsdichtigkeit über ein gewisses
Maſs hinaus, welches dann allerdings überall zu Grunde zu legen
ist, nicht steigt. Ja, die Erfahrung hat gelehrt, daſs die Dichtigkeit
der Bevölkerung in einer Groſsstadt abzunehmen pflegt, sobald ein
gewisser, hoher Grad groſsstädtischer Entwicklung erreicht ist oder
überschritten wird.

Weniger sicher ist freilich die Bestimmung des zweiten Factors,
aber auch hier liegen Erfahrungen genug vor, wie diejenige über den
Maximalconsum an Wasser auf den Kopf und Tag, über den Gas-
verbrauch auf den Kopf und Tag, über die abzuleitende Regenmenge
[Spaltenumbruch] für die Flächeneinheit in der Secunde usw., welche, unter Hinzu-
rechnung eines gewissen Sicherheits-Coefficienten, es möglich machen,
für die Versorgungsnetze eine Gröſse zu ermitteln, die dauernd ge-
nügt, und welche daher ein Herausnehmen und Verändern der
Leitungen unnöthig macht.

Unerläſslich erscheint in Groſsstädten endlich, daſs die Verwal-
tung der verschiedenen Versorgungswerke, wenigstens so weit als es
sich um die Versorgungsnetze handelt, technisch in einer Hand ruhe.

Darf ich also noch einmal die Maſsnahmen kurz aufführen, die
nach meinem Ermessen, abgesehen von dem oben über die Einbettung
der Versorgungsnetze in die Bürgersteige bereits Gesagten, geeignet
sind der Noth der Groſsstädte auf diesem Gebiet zu steuern, so sind
dies folgende:
1. Subways, wo deren Erbauung möglich ist, und wo sie nach
den gegebenen Ver-
hältnissen eine durch-
greifende Ordnung
und Unterbringung
der Leitungen dau-
ernd
in Aussicht
stellen.
2. Herstellung
eines administra-
tiven Verbandes

der Groſsstädte
und ihrer Vororte
.
3. Erlaſs eines
die Feststellung
der Bebauungs-
pläne und die Aus-
führung neuer
Straſsen regeln-
den Gesetzes nach
Art des in Preu-
ſsen gültigen Ge-
setzes vom 2. Juli

1875, wo solches noch
nicht vorhanden, und
Erlaſs der nach die-
sem Gesetz zulässigen
Ortsstatute, wo dies
noch nicht geschehen.
4. Eintheilung
neuer Straſsen der-
art, daſs mehr als
bisher den Bürger-
steigen
eine gröſsere
Breite, nöthigen-
falls auf Kosten der
Straſsendämme, ge-
geben wird; auch selbst bei schon vorhandenen Straſsen wird es sich
sehr empfehlen, zu prüfen, ob eine Anordnung in dem angedeuteten
Sinne nicht vom Verkehrs-Standpunkt zulässig und vom Standpunkt
der Versorgungsnetze aus sehr wünschenswerth ist.
5. Nichtertheilung weiterer Concessionen an Privat-Unter-
nehmer
(Actien-Gesellschaften) zur Ausführung und financiellen
Ausbeutung von Versorgungsnetzen irgend welcher Art; wo solche
Concessionen aber bestehen, Ablösung derselben.
6. Theilung jeder Versorgungsanlage einer Stadt in be-
stimmte räumlich abgetrennte Einzelsysteme
.
7. Stellung der verschiedenen Versorgungswerke der Groſsstadt
unter eine und dieselbe technische Leitung.

Und nun, m. H., nur noch wenige Worte. Es ist eine billige
Weisheit, vor erkannten Schädlichkeiten zu warnen, aber in Vor-
aussicht die nachtheiligen Einflüsse zu erkennen, welche die Begleiter
von Zuständen sind, die wir erstreben, von Genüssen, die wir begehren,
ist verdienstlich. Der Geschichtschreiber weiſs heute davon zu erzählen,
wie der römische Caesarismus den Schwerpunkt der Reichsverwaltung
den Freigelassenen und den Prätorianern zuschob und damit den Zer-
fall einer Weltherrschaft bedingte; daſs aber eine hochmüthige, stets
erobernde Republik zu einem Caesar führen muſste, sagten zur richtigen
Zeit nur wenige, und diesen wenigen wurde es nicht geglaubt.

Es ist jetzt, wie niemand leugnen wird, eine Art Sport ge-
worden, Groſsstädte mit einander in Vergleich zu stellen und
derjenigen den Preis zuzuerkennen, welche es im Wachsthum, in der
Einwohnerzahl, in öffentlich Einrichtungen am weitesten gebracht
hat. Unentgeltliche Schulen, Feriencolonieen, Stadtmissionen, Fach-
schulen, Volksbäder, Asyle, Bürger-Rettungshäuser und ähnliches in
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Als im Jahr 1860 eine preuſsische Tech- niker-Commission die Entwässerungs- anlagen des Auslan- des studirte und ihren Reisebericht nebst einem generellen Ent- wässerungsplane für Berlin veröffentlichte, glaubte sie das äuſserste gethan zu haben, wenn sie für Berlin eine gröſste Einwohnerzahl von 775 000 in Ansatz brachte. Es heiſst in jenem Bericht: „Diese Zunahme der Bevölkerung um bei- nahe 59 pCt. dürfte so reichlich gerechnet sein, daſs eine baldige Ueberschreitung der- selben nicht leicht anzunehmen ist.“ Wenn wir aber nun sehen, welch ein schwerer Irrthum in jener Annahme lag, wenn wir wissen, daſs in noch nicht 30 Jahren jene Annahme um weitere 50 pCt. hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben ist, so mache ich doch daraus niemandem einen Vorwurf; ich müſste mir ihn vor allem selbst machen, da ich seiner Zeit an jener Arbeit betheiligt war. Wären aber die Röhren und Canäle nach dem damaligen Entwurf, welcher die ganze Stadt in ein System zusammenfaſste, gelegt worden, sie hätten, zum gröſseren Theil wenigstens, seitdem schon herausge- nommen und durch gröſsere ersetzt werden müssen. Wird nun nach dem von mir empfohlenen und bei der jetzigen Entwässerung Berlins zur Ausführung gebrachten Verfahren die ganze Stadt räumlich in einzelne Systeme zerlegt, so ist jede spätere unvorhergesehene und nicht vorherzusehende peripherische Ver- gröſserung des einzelnen Versorgungsgebiets ausgeschlossen; aus- geschlossen ist auch, wenigstens im wesentlichen, eine Vermehrung oder Vergröſserung der Stoffmenge, auf welche sich das einzelne Werk einzurichten hat. Wie schon gesagt, ist diese Stoffmenge ein Product, dessen beide Factoren erstens die Bevölkerungszahl und zweitens die Beanspruchung auf den Kopf und Tag an das Werk sind. Ist das System räumlich begrenzt, so fällt jede Unsicherheit bezüglich des ersten Factors ganz und gar fort; man kann mit Be- stimmtheit sagen, daſs die Bevölkerungsdichtigkeit über ein gewisses Maſs hinaus, welches dann allerdings überall zu Grunde zu legen ist, nicht steigt. Ja, die Erfahrung hat gelehrt, daſs die Dichtigkeit der Bevölkerung in einer Groſsstadt abzunehmen pflegt, sobald ein gewisser, hoher Grad groſsstädtischer Entwicklung erreicht ist oder überschritten wird. Weniger sicher ist freilich die Bestimmung des zweiten Factors, aber auch hier liegen Erfahrungen genug vor, wie diejenige über den Maximalconsum an Wasser auf den Kopf und Tag, über den Gas- verbrauch auf den Kopf und Tag, über die abzuleitende Regenmenge für die Flächeneinheit in der Secunde usw., welche, unter Hinzu- rechnung eines gewissen Sicherheits-Coefficienten, es möglich machen, für die Versorgungsnetze eine Gröſse zu ermitteln, die dauernd ge- nügt, und welche daher ein Herausnehmen und Verändern der Leitungen unnöthig macht. Unerläſslich erscheint in Groſsstädten endlich, daſs die Verwal- tung der verschiedenen Versorgungswerke, wenigstens so weit als es sich um die Versorgungsnetze handelt, technisch in einer Hand ruhe. Darf ich also noch einmal die Maſsnahmen kurz aufführen, die nach meinem Ermessen, abgesehen von dem oben über die Einbettung der Versorgungsnetze in die Bürgersteige bereits Gesagten, geeignet sind der Noth der Groſsstädte auf diesem Gebiet zu steuern, so sind dies folgende: 1. Subways, wo deren Erbauung möglich ist, und wo sie nach den gegebenen Ver- hältnissen eine durch- greifende Ordnung und Unterbringung der Leitungen dau- ernd in Aussicht stellen. 2. Herstellung eines administra- tiven Verbandes der Groſsstädte und ihrer Vororte. 3. Erlaſs eines die Feststellung der Bebauungs- pläne und die Aus- führung neuer Straſsen regeln- den Gesetzes nach Art des in Preu- ſsen gültigen Ge- setzes vom 2. Juli 1875, wo solches noch nicht vorhanden, und Erlaſs der nach die- sem Gesetz zulässigen Ortsstatute, wo dies noch nicht geschehen. 4. Eintheilung neuer Straſsen der- art, daſs mehr als bisher den Bürger- steigen eine gröſsere Breite, nöthigen- falls auf Kosten der Straſsendämme, ge- geben wird; auch selbst bei schon vorhandenen Straſsen wird es sich sehr empfehlen, zu prüfen, ob eine Anordnung in dem angedeuteten Sinne nicht vom Verkehrs-Standpunkt zulässig und vom Standpunkt der Versorgungsnetze aus sehr wünschenswerth ist. 5. Nichtertheilung weiterer Concessionen an Privat-Unter- nehmer (Actien-Gesellschaften) zur Ausführung und financiellen Ausbeutung von Versorgungsnetzen irgend welcher Art; wo solche Concessionen aber bestehen, Ablösung derselben. 6. Theilung jeder Versorgungsanlage einer Stadt in be- stimmte räumlich abgetrennte Einzelsysteme. 7. Stellung der verschiedenen Versorgungswerke der Groſsstadt unter eine und dieselbe technische Leitung. Und nun, m. H., nur noch wenige Worte. Es ist eine billige Weisheit, vor erkannten Schädlichkeiten zu warnen, aber in Vor- aussicht die nachtheiligen Einflüsse zu erkennen, welche die Begleiter von Zuständen sind, die wir erstreben, von Genüssen, die wir begehren, ist verdienstlich. Der Geschichtschreiber weiſs heute davon zu erzählen, wie der römische Caesarismus den Schwerpunkt der Reichsverwaltung den Freigelassenen und den Prätorianern zuschob und damit den Zer- fall einer Weltherrschaft bedingte; daſs aber eine hochmüthige, stets erobernde Republik zu einem Caesar führen muſste, sagten zur richtigen Zeit nur wenige, und diesen wenigen wurde es nicht geglaubt. Es ist jetzt, wie niemand leugnen wird, eine Art Sport ge- worden, Groſsstädte mit einander in Vergleich zu stellen und derjenigen den Preis zuzuerkennen, welche es im Wachsthum, in der Einwohnerzahl, in öffentlich Einrichtungen am weitesten gebracht hat. Unentgeltliche Schulen, Feriencolonieen, Stadtmissionen, Fach- schulen, Volksbäder, Asyle, Bürger-Rettungshäuser und ähnliches in hunderterlei Gestalt erfüllt die Seele der dabei Thätigen mit Selbst- zufriedenheit und tugendlichem Muth; es ist ein Retten des Geistes, des Körpers, der unsterblichen Seele unserer armen oder verkommenen

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Zitationshilfe: Hobrecht, James: Die modernen Aufgaben des großstädtischen Straßenbaues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungsnetze. In: Centralblatt der Bauverwaltung 10 (1890), Nr. 36, Sp. 353-356, Sp. 375-376, Nr. 37, Sp. 386-388, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hobrecht_strassenbau_1890/17>, abgerufen am 27.11.2024.