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Hobrecht, James: Die modernen Aufgaben des großstädtischen Straßenbaues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungsnetze. In: Centralblatt der Bauverwaltung 10 (1890), Nr. 36, Sp. 353-356, Sp. 375-376, Nr. 37, Sp. 386-388.

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Centralblatt der Bauverwaltung. 6. September 1890.
[Spaltenumbruch] welche zumeist Stämme von Versorgungsleitungen aufzunehmen haben,
und dass bei der Autonomie der Vorstädte jede Anlage einer Leitung
dortselbst eine Ablehnung oder eine Genehmigung unter den erschwer-
endsten Bedingungen zu erfahren hat, so wird man zugeben müssen,
dass hier ganz besonders eine Quelle jener Beklemmungen liegt, unter
denen der vorwärts drängende Organismus der grossen Städte leidet.

Ich habe gesagt, dass die Vorstädte die Stämme der Leitungs-
netze mehr und mehr aufzunehmen haben. Lassen Sie mich dies
erläutern. Unter den Leitungen nehmen den ersten Platz die Zu-
leitungen von Gas und Wasser und die Ableitungen der Abwässer
ein. Die Gasanstalten mit ihren riesigen Fabricationsgebäuden und
zahlreichen Gasbehältern, ihren Kohlenplätzen, ihrer unerlässlichen
Zugänglichkeit von Wasserwegen oder Eisenbahnen finden innerhalb
des Weichbildes räumlich den Platz nicht mehr, um ein erweiterungs-
fähiges Werk anlegen zu können; sie müssen hinaus in die Vorstädte.
Von dort aus gehen dann 1 m und über 1 m grosse Leitungen in reich-
licher Zahl in die Grossstadt hinein. Aehnlich ist es mit den Wasser-
werken, bei denen der Gesichtspunkt der Gewinnung reinen Wassers,
wie solches sich wohl nie innerhalb des Weichbildes grosser Städte
findet, zur Hinauslegung der Centralstelle nöthigt; auch hier sind es
die im Durchmesser grössten Leitungen, welche die Vorstädte kreuzen.

Die Stammleitungen der Canalisation, die "Extension Sewers",
wie sie die Engländer nennen, nehmen eine umgekehrte Richtung an,
aber auch sie können vorstädtischem Gebiet, vorstädtischen Strassen
nicht aus dem Wege gehen, wenn sie, wie üblich und meist noth-
wendig, dem Gefälle des Flusses folgen, der die Grossstadt durch-
fliesst. Sind es Rieselgüter, welche die Abwässer aufzunehmen haben,
so müssen auch hier die Stämme der Druckrohrleitungen die Vorstädte
auf ihrem Wege nach den dahinter gelegenen Rieselfeldern kreuzen.
Wie oft kommt es dann vor, dass bei der Wahl der Tracen nicht die
im technischen Sinne rationellsten, sondern solche gewählt werden,
welche sich schliesslich im Kampf mit den Vorstädten und ihren Inter-
essen als die allein durchführbaren erweisen. Und der daraus ent-
springende Nachtheil schwillt oft ins ungebührliche an, wenn die
Einmündungspunkte der grossen Stammleitungen an dem Weichbilde
nicht auf Strassenzüge treffen, die für ihre Aufnahme geeignet sind.

Ich will die Vorstädte und ihre Verwaltungen nicht einer be-
sonderen Fiscalität anklagen; diese Eigenschaft ist so verbreitet,
dass sich keine Verwaltung, nicht die der grossen Städte, nicht die
anderer Communalverbände, auch nicht diejenige des Staates, davon
freisprechen kann. Genommen wird von andern überall das, was
genommen werden kann, was sich bei der Nothlage des anderen
erreichen lässt. Die Eisenbahnen vor allem haben ihre financielle
Prosperität im Auge und legen sich mit ihren breiten und hohen
Dämmen oder ihren Einschnitten unbekümmert um zahllose Interessen,
namentlich diejenigen des späteren Verkehrs -- preuss. Gesetz vom
3. Nov. 1838 -- und um diejenigen der Versorgungs-Systeme durch
und um die Grossstädte.

Alles dieses weist uns darauf hin, dass hier ein Zustand vorliegt,
der im Interesse der grossstädtischen Versorgungsnetze einer Abhülfe
bedarf. Und hier helfend einzugreifen ist Sache des Staates, Sache
der Gesetzgebung.

Nicht die Eingemeindung einzelner Vorstädte, die nach jahrelangen
Verhandlungen, in denen die beiderseitigen Ansprüche aus der Ver-
gangenheit, die für die Gegenwart nur einen verschwindenden, für
die Zukunft gar keinen Werth haben, aufgerechnet werden, zu Stande
kommt, sondern die Schaffung neuer administrativer Verbände, aus-
gedehnt auf das ganze Gebiet, soweit sich die vitalen Interessen der
Grossstädte erstrecken, das ist der Weg, der zum Ziele führen kann.
Interessen, die wahrhaft gemeinschaftliche sind, dürfen nicht in ihrer
gegenwärtigen Trennung und getrennten Vertretung erhalten bleiben;
sie dürfen nicht, wie in der Fabel der Magen und die Glieder, sich
gegenseitig bekämpfen und hindern, sondern müssen sich verschmelzen
und fördern. Dazu bedarf es einer Corporation, einer corpo-
rativen Einigung,
welche sich, wenn nicht anders, so doch durch
eine Majorität zu einer That reif macht.

Wenn auch nicht in den alten Stadttheilen mit ihren gegebenen
und ohne gewaltigen Kostenaufwand kaum abänderungsfähigen Ver-
hältnissen, so kann doch in allen neu anzulegenden Strassen den
Gemeinden durch Gesetz die Befugniss verliehen werden, der Stadt-
entwicklung nur eine solche Bahn zu geben, dass die Interessen der
Gemeinde, soweit sie die Versorgungsnetze betreffen, gewahrt werden.

Für das Königreich Preussen ist ein solches Gesetz unter dem
[Spaltenumbruch] 2. Juli 1875 erlassen. Dasselbe ermöglicht den Gemeinden die An-
legung und Veränderung von Strassen und Plätzen nach dem Bedürf-
nisse der näheren Zukunft durch Aufstellung von Bebauungs-Plänen.
Ist dies geschehen, so tritt damit von selbst die Beschränkung des
Grund-Eigenthümers, über die Fluchtlinien hinaus zu bauen, ein; Orts-
statute sind zulässig, nach denen örtlich bestimmt werden kann, was
unter einer für den Anbau fertig gestellten Strasse zu verstehen sei, und
nur an solchen Strassen dürfen Wohngebäude mit Ausgang errichtet
werden; eine Entschädigung kann für eine Beschränkung der Baufrei-
heit dann nicht gefordert werden; desgleichen können die Kosten der
Neuanlegung einer Strasse von den angrenzenden Eigenthümern bei Er-
richtung neuer Gebäude an dieser Strasse wieder eingezogen werden.

Ich halte mich für verpflichtet, auf dieses Gesetz umsomehr hin-
zuweisen, als in einzelnen zum deutschen Reich gehörigen Bundes-
staaten ein gleiches oder ähnliches Gesetz fehlt und auch innerhalb
Preussens vielfach von diesem Gesetz, damit also von der Befugniss, die
Herrschaft bei Neuanlage von Strassen auszuüben, auch im Interesse
der zweckmässigen Unterbringung der Versorgungs-Leitungen seitens
der Gemeinden nicht der Gebrauch gemacht wird, den es verdient.

Es bedarf kaum der Erwähnung, dass in der Aufstellung von
Bebauungsplänen ein Mittel gegeben ist, wenigstens die Nöthe, welche
dort in der Zukunft die Unterbringung der Versorgungsnetze bereiten
kann, zu beseitigen oder zu mildern. Je seltener bei Aufstellung
solcher Pläne an die Versorgungsnetze gedacht worden ist und
meistens noch wird, um so nothwendiger wird dies für die Zukunft
sein. Die Anordnung mächtiger Diagonal- oder Radial-Strassen, die
für alle Leitungen von innen heraus oder von aussen herein den
kürzesten Weg bieten, ist dabei vor allem geboten. Für diese können
die Abmessungen kaum gross genug genommen werden, denn sie bieten
die passende Gelegenheit, um auch die Bauten zur Bewältigung des
grossstädtischen Verkehrs -- Hochbahnen, Stadtbahnen, Trambahnen
-- dort anzulegen.

Je mehr -- und namentlich in Grossstädten -- es Gebrauch wird,
die Strassendämme in definitiver Weise zu befestigen, je mehr zu
Unterlagen der Befestigungsdecken starke Betonschichten verwendet
werden, umsomehr auch wird es Regel werden, die Leitungen in die
Bürgersteige zu verlegen; auch die dadurch bedingte Abkürzung der
Hausanschlussleitungen drängt darauf hin.

Es ergiebt sich hieraus die Nothwendigkeit, in der Strassenein-
theilung den Bürgersteigen eine möglichst grosse Breite zu geben,
ja, wenn die Strassenbreite im ganzen nicht über ein gewisses Mass
hinaus ausgedehnt werden kann, diese Bürgersteigbreite auf Kosten
der Strassendammbreite zu ermöglichen. Sichert man sich hierdurch
dort für die Ansprüche der Zukunft einen möglichst geräumigen
Platz, so verleiht man auch den Strassen überhaupt ein gefälligeres
Ansehen. Endlich verdient der Fussgängerverkehr in Grossstädten
eine Berücksichtigung, die oft nicht genügend anerkannt wird, während
umgekehrt dem Wagenverkehr Opfer gebracht werden, die er theils
nicht braucht, theils nicht verdient. Auf eines freilich muss der
Wagenverkehr in der Regel in grossen Städten verzichten, nämlich
auf schnelles Fahren und, damit in Verbindung, auf Vorbeifahren.
Ein grosser Theil der Wagen, alle Lastwagen, fahren so wie so nur
Schritt; soll nun dem leichteren Personenfuhrwerk die Möglichkeit
gegeben werden, ausser der Reihe sich zu bewegen und vorbeizueilen,
so beansprucht dies eine Verbreiterung des Strassendammes, deren
Kosten und Schwierigkeiten ganz ausser Verhältniss zu der dadurch
erreichten Annehmlichkeit stehen. Es ist gewiss sehr schön, dass in
Grossstädten dem eleganteren Wagenverkehr, der ohne ein gewisses
Tempo nicht zu denken ist, einzelne luxuriöser gestaltete Wege offen
gehalten und bereitet werden, dass aber die grosse Menge der Verkehrs-
strassen hierauf Rücksicht zu nehmen habe, ist unrichtig. Dem Noth-
wendigen muss das Angenehme nachstehen. Bewegen sich die Fuhrwerke
in gleichmässigem Schritt, in gleichmässiger langer Reihe, so ist es --
man denke nur an den Strand, an die City-Strassen in London --
kaum glaublich, welch eine Fülle von Lasten, welch eine Wagenzahl
ordnungsmässig und ununterbrochen in Bewegung erhalten wird.
Nicht unerwähnt mag hierbei auch bleiben, dass für den Fussgänger-
verkehr, wenn er zur Benutzung des Strassendammes genöthigt ist,
nichts so gefährlich wird, als gerade ein breiter Strassendamm, der
ein ungeordnetes Fahren in verschiedener Geschwindigkeit ermöglicht.
Die Sicherung des Fussgängerverkehrs ist es, welcher neben der leich-
teren Unterbringung der Versorgungsnetze verhältnissmässig schmälere
Fahrdämme und breitere Bürgersteige dienen.

(Schluss folgt.)


Centralblatt der Bauverwaltung. 6. September 1890.
[Spaltenumbruch] welche zumeist Stämme von Versorgungsleitungen aufzunehmen haben,
und daſs bei der Autonomie der Vorstädte jede Anlage einer Leitung
dortselbst eine Ablehnung oder eine Genehmigung unter den erschwer-
endsten Bedingungen zu erfahren hat, so wird man zugeben müssen,
daſs hier ganz besonders eine Quelle jener Beklemmungen liegt, unter
denen der vorwärts drängende Organismus der groſsen Städte leidet.

Ich habe gesagt, daſs die Vorstädte die Stämme der Leitungs-
netze mehr und mehr aufzunehmen haben. Lassen Sie mich dies
erläutern. Unter den Leitungen nehmen den ersten Platz die Zu-
leitungen von Gas und Wasser und die Ableitungen der Abwässer
ein. Die Gasanstalten mit ihren riesigen Fabricationsgebäuden und
zahlreichen Gasbehältern, ihren Kohlenplätzen, ihrer unerläſslichen
Zugänglichkeit von Wasserwegen oder Eisenbahnen finden innerhalb
des Weichbildes räumlich den Platz nicht mehr, um ein erweiterungs-
fähiges Werk anlegen zu können; sie müssen hinaus in die Vorstädte.
Von dort aus gehen dann 1 m und über 1 m groſse Leitungen in reich-
licher Zahl in die Groſsstadt hinein. Aehnlich ist es mit den Wasser-
werken, bei denen der Gesichtspunkt der Gewinnung reinen Wassers,
wie solches sich wohl nie innerhalb des Weichbildes groſser Städte
findet, zur Hinauslegung der Centralstelle nöthigt; auch hier sind es
die im Durchmesser gröſsten Leitungen, welche die Vorstädte kreuzen.

Die Stammleitungen der Canalisation, die „Extension Sewers“,
wie sie die Engländer nennen, nehmen eine umgekehrte Richtung an,
aber auch sie können vorstädtischem Gebiet, vorstädtischen Straſsen
nicht aus dem Wege gehen, wenn sie, wie üblich und meist noth-
wendig, dem Gefälle des Flusses folgen, der die Groſsstadt durch-
flieſst. Sind es Rieselgüter, welche die Abwässer aufzunehmen haben,
so müssen auch hier die Stämme der Druckrohrleitungen die Vorstädte
auf ihrem Wege nach den dahinter gelegenen Rieselfeldern kreuzen.
Wie oft kommt es dann vor, daſs bei der Wahl der Tracen nicht die
im technischen Sinne rationellsten, sondern solche gewählt werden,
welche sich schlieſslich im Kampf mit den Vorstädten und ihren Inter-
essen als die allein durchführbaren erweisen. Und der daraus ent-
springende Nachtheil schwillt oft ins ungebührliche an, wenn die
Einmündungspunkte der groſsen Stammleitungen an dem Weichbilde
nicht auf Straſsenzüge treffen, die für ihre Aufnahme geeignet sind.

Ich will die Vorstädte und ihre Verwaltungen nicht einer be-
sonderen Fiscalität anklagen; diese Eigenschaft ist so verbreitet,
daſs sich keine Verwaltung, nicht die der groſsen Städte, nicht die
anderer Communalverbände, auch nicht diejenige des Staates, davon
freisprechen kann. Genommen wird von andern überall das, was
genommen werden kann, was sich bei der Nothlage des anderen
erreichen läſst. Die Eisenbahnen vor allem haben ihre financielle
Prosperität im Auge und legen sich mit ihren breiten und hohen
Dämmen oder ihren Einschnitten unbekümmert um zahllose Interessen,
namentlich diejenigen des späteren Verkehrs — preuſs. Gesetz vom
3. Nov. 1838 — und um diejenigen der Versorgungs-Systeme durch
und um die Groſsstädte.

Alles dieses weist uns darauf hin, daſs hier ein Zustand vorliegt,
der im Interesse der groſsstädtischen Versorgungsnetze einer Abhülfe
bedarf. Und hier helfend einzugreifen ist Sache des Staates, Sache
der Gesetzgebung.

Nicht die Eingemeindung einzelner Vorstädte, die nach jahrelangen
Verhandlungen, in denen die beiderseitigen Ansprüche aus der Ver-
gangenheit, die für die Gegenwart nur einen verschwindenden, für
die Zukunft gar keinen Werth haben, aufgerechnet werden, zu Stande
kommt, sondern die Schaffung neuer administrativer Verbände, aus-
gedehnt auf das ganze Gebiet, soweit sich die vitalen Interessen der
Groſsstädte erstrecken, das ist der Weg, der zum Ziele führen kann.
Interessen, die wahrhaft gemeinschaftliche sind, dürfen nicht in ihrer
gegenwärtigen Trennung und getrennten Vertretung erhalten bleiben;
sie dürfen nicht, wie in der Fabel der Magen und die Glieder, sich
gegenseitig bekämpfen und hindern, sondern müssen sich verschmelzen
und fördern. Dazu bedarf es einer Corporation, einer corpo-
rativen Einigung,
welche sich, wenn nicht anders, so doch durch
eine Majorität zu einer That reif macht.

Wenn auch nicht in den alten Stadttheilen mit ihren gegebenen
und ohne gewaltigen Kostenaufwand kaum abänderungsfähigen Ver-
hältnissen, so kann doch in allen neu anzulegenden Straſsen den
Gemeinden durch Gesetz die Befugniſs verliehen werden, der Stadt-
entwicklung nur eine solche Bahn zu geben, daſs die Interessen der
Gemeinde, soweit sie die Versorgungsnetze betreffen, gewahrt werden.

Für das Königreich Preuſsen ist ein solches Gesetz unter dem
[Spaltenumbruch] 2. Juli 1875 erlassen. Dasselbe ermöglicht den Gemeinden die An-
legung und Veränderung von Straſsen und Plätzen nach dem Bedürf-
nisse der näheren Zukunft durch Aufstellung von Bebauungs-Plänen.
Ist dies geschehen, so tritt damit von selbst die Beschränkung des
Grund-Eigenthümers, über die Fluchtlinien hinaus zu bauen, ein; Orts-
statute sind zulässig, nach denen örtlich bestimmt werden kann, was
unter einer für den Anbau fertig gestellten Straſse zu verstehen sei, und
nur an solchen Straſsen dürfen Wohngebäude mit Ausgang errichtet
werden; eine Entschädigung kann für eine Beschränkung der Baufrei-
heit dann nicht gefordert werden; desgleichen können die Kosten der
Neuanlegung einer Straſse von den angrenzenden Eigenthümern bei Er-
richtung neuer Gebäude an dieser Straſse wieder eingezogen werden.

Ich halte mich für verpflichtet, auf dieses Gesetz umsomehr hin-
zuweisen, als in einzelnen zum deutschen Reich gehörigen Bundes-
staaten ein gleiches oder ähnliches Gesetz fehlt und auch innerhalb
Preuſsens vielfach von diesem Gesetz, damit also von der Befugniſs, die
Herrschaft bei Neuanlage von Straſsen auszuüben, auch im Interesse
der zweckmäſsigen Unterbringung der Versorgungs-Leitungen seitens
der Gemeinden nicht der Gebrauch gemacht wird, den es verdient.

Es bedarf kaum der Erwähnung, daſs in der Aufstellung von
Bebauungsplänen ein Mittel gegeben ist, wenigstens die Nöthe, welche
dort in der Zukunft die Unterbringung der Versorgungsnetze bereiten
kann, zu beseitigen oder zu mildern. Je seltener bei Aufstellung
solcher Pläne an die Versorgungsnetze gedacht worden ist und
meistens noch wird, um so nothwendiger wird dies für die Zukunft
sein. Die Anordnung mächtiger Diagonal- oder Radial-Straſsen, die
für alle Leitungen von innen heraus oder von auſsen herein den
kürzesten Weg bieten, ist dabei vor allem geboten. Für diese können
die Abmessungen kaum groſs genug genommen werden, denn sie bieten
die passende Gelegenheit, um auch die Bauten zur Bewältigung des
groſsstädtischen Verkehrs — Hochbahnen, Stadtbahnen, Trambahnen
— dort anzulegen.

Je mehr — und namentlich in Groſsstädten — es Gebrauch wird,
die Straſsendämme in definitiver Weise zu befestigen, je mehr zu
Unterlagen der Befestigungsdecken starke Betonschichten verwendet
werden, umsomehr auch wird es Regel werden, die Leitungen in die
Bürgersteige zu verlegen; auch die dadurch bedingte Abkürzung der
Hausanschluſsleitungen drängt darauf hin.

Es ergiebt sich hieraus die Nothwendigkeit, in der Straſsenein-
theilung den Bürgersteigen eine möglichst groſse Breite zu geben,
ja, wenn die Straſsenbreite im ganzen nicht über ein gewisses Maſs
hinaus ausgedehnt werden kann, diese Bürgersteigbreite auf Kosten
der Straſsendammbreite zu ermöglichen. Sichert man sich hierdurch
dort für die Ansprüche der Zukunft einen möglichst geräumigen
Platz, so verleiht man auch den Straſsen überhaupt ein gefälligeres
Ansehen. Endlich verdient der Fuſsgängerverkehr in Groſsstädten
eine Berücksichtigung, die oft nicht genügend anerkannt wird, während
umgekehrt dem Wagenverkehr Opfer gebracht werden, die er theils
nicht braucht, theils nicht verdient. Auf eines freilich muſs der
Wagenverkehr in der Regel in groſsen Städten verzichten, nämlich
auf schnelles Fahren und, damit in Verbindung, auf Vorbeifahren.
Ein groſser Theil der Wagen, alle Lastwagen, fahren so wie so nur
Schritt; soll nun dem leichteren Personenfuhrwerk die Möglichkeit
gegeben werden, auſser der Reihe sich zu bewegen und vorbeizueilen,
so beansprucht dies eine Verbreiterung des Straſsendammes, deren
Kosten und Schwierigkeiten ganz auſser Verhältniſs zu der dadurch
erreichten Annehmlichkeit stehen. Es ist gewiſs sehr schön, daſs in
Groſsstädten dem eleganteren Wagenverkehr, der ohne ein gewisses
Tempo nicht zu denken ist, einzelne luxuriöser gestaltete Wege offen
gehalten und bereitet werden, daſs aber die groſse Menge der Verkehrs-
straſsen hierauf Rücksicht zu nehmen habe, ist unrichtig. Dem Noth-
wendigen muſs das Angenehme nachstehen. Bewegen sich die Fuhrwerke
in gleichmäſsigem Schritt, in gleichmäſsiger langer Reihe, so ist es —
man denke nur an den Strand, an die City-Straſsen in London —
kaum glaublich, welch eine Fülle von Lasten, welch eine Wagenzahl
ordnungsmäſsig und ununterbrochen in Bewegung erhalten wird.
Nicht unerwähnt mag hierbei auch bleiben, daſs für den Fuſsgänger-
verkehr, wenn er zur Benutzung des Straſsendammes genöthigt ist,
nichts so gefährlich wird, als gerade ein breiter Straſsendamm, der
ein ungeordnetes Fahren in verschiedener Geschwindigkeit ermöglicht.
Die Sicherung des Fuſsgängerverkehrs ist es, welcher neben der leich-
teren Unterbringung der Versorgungsnetze verhältniſsmäſsig schmälere
Fahrdämme und breitere Bürgersteige dienen.

(Schluſs folgt.)


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[376/0015] Centralblatt der Bauverwaltung. 6. September 1890. welche zumeist Stämme von Versorgungsleitungen aufzunehmen haben, und daſs bei der Autonomie der Vorstädte jede Anlage einer Leitung dortselbst eine Ablehnung oder eine Genehmigung unter den erschwer- endsten Bedingungen zu erfahren hat, so wird man zugeben müssen, daſs hier ganz besonders eine Quelle jener Beklemmungen liegt, unter denen der vorwärts drängende Organismus der groſsen Städte leidet. Ich habe gesagt, daſs die Vorstädte die Stämme der Leitungs- netze mehr und mehr aufzunehmen haben. Lassen Sie mich dies erläutern. Unter den Leitungen nehmen den ersten Platz die Zu- leitungen von Gas und Wasser und die Ableitungen der Abwässer ein. Die Gasanstalten mit ihren riesigen Fabricationsgebäuden und zahlreichen Gasbehältern, ihren Kohlenplätzen, ihrer unerläſslichen Zugänglichkeit von Wasserwegen oder Eisenbahnen finden innerhalb des Weichbildes räumlich den Platz nicht mehr, um ein erweiterungs- fähiges Werk anlegen zu können; sie müssen hinaus in die Vorstädte. Von dort aus gehen dann 1 m und über 1 m groſse Leitungen in reich- licher Zahl in die Groſsstadt hinein. Aehnlich ist es mit den Wasser- werken, bei denen der Gesichtspunkt der Gewinnung reinen Wassers, wie solches sich wohl nie innerhalb des Weichbildes groſser Städte findet, zur Hinauslegung der Centralstelle nöthigt; auch hier sind es die im Durchmesser gröſsten Leitungen, welche die Vorstädte kreuzen. Die Stammleitungen der Canalisation, die „Extension Sewers“, wie sie die Engländer nennen, nehmen eine umgekehrte Richtung an, aber auch sie können vorstädtischem Gebiet, vorstädtischen Straſsen nicht aus dem Wege gehen, wenn sie, wie üblich und meist noth- wendig, dem Gefälle des Flusses folgen, der die Groſsstadt durch- flieſst. Sind es Rieselgüter, welche die Abwässer aufzunehmen haben, so müssen auch hier die Stämme der Druckrohrleitungen die Vorstädte auf ihrem Wege nach den dahinter gelegenen Rieselfeldern kreuzen. Wie oft kommt es dann vor, daſs bei der Wahl der Tracen nicht die im technischen Sinne rationellsten, sondern solche gewählt werden, welche sich schlieſslich im Kampf mit den Vorstädten und ihren Inter- essen als die allein durchführbaren erweisen. Und der daraus ent- springende Nachtheil schwillt oft ins ungebührliche an, wenn die Einmündungspunkte der groſsen Stammleitungen an dem Weichbilde nicht auf Straſsenzüge treffen, die für ihre Aufnahme geeignet sind. Ich will die Vorstädte und ihre Verwaltungen nicht einer be- sonderen Fiscalität anklagen; diese Eigenschaft ist so verbreitet, daſs sich keine Verwaltung, nicht die der groſsen Städte, nicht die anderer Communalverbände, auch nicht diejenige des Staates, davon freisprechen kann. Genommen wird von andern überall das, was genommen werden kann, was sich bei der Nothlage des anderen erreichen läſst. Die Eisenbahnen vor allem haben ihre financielle Prosperität im Auge und legen sich mit ihren breiten und hohen Dämmen oder ihren Einschnitten unbekümmert um zahllose Interessen, namentlich diejenigen des späteren Verkehrs — preuſs. Gesetz vom 3. Nov. 1838 — und um diejenigen der Versorgungs-Systeme durch und um die Groſsstädte. Alles dieses weist uns darauf hin, daſs hier ein Zustand vorliegt, der im Interesse der groſsstädtischen Versorgungsnetze einer Abhülfe bedarf. Und hier helfend einzugreifen ist Sache des Staates, Sache der Gesetzgebung. Nicht die Eingemeindung einzelner Vorstädte, die nach jahrelangen Verhandlungen, in denen die beiderseitigen Ansprüche aus der Ver- gangenheit, die für die Gegenwart nur einen verschwindenden, für die Zukunft gar keinen Werth haben, aufgerechnet werden, zu Stande kommt, sondern die Schaffung neuer administrativer Verbände, aus- gedehnt auf das ganze Gebiet, soweit sich die vitalen Interessen der Groſsstädte erstrecken, das ist der Weg, der zum Ziele führen kann. Interessen, die wahrhaft gemeinschaftliche sind, dürfen nicht in ihrer gegenwärtigen Trennung und getrennten Vertretung erhalten bleiben; sie dürfen nicht, wie in der Fabel der Magen und die Glieder, sich gegenseitig bekämpfen und hindern, sondern müssen sich verschmelzen und fördern. Dazu bedarf es einer Corporation, einer corpo- rativen Einigung, welche sich, wenn nicht anders, so doch durch eine Majorität zu einer That reif macht. Wenn auch nicht in den alten Stadttheilen mit ihren gegebenen und ohne gewaltigen Kostenaufwand kaum abänderungsfähigen Ver- hältnissen, so kann doch in allen neu anzulegenden Straſsen den Gemeinden durch Gesetz die Befugniſs verliehen werden, der Stadt- entwicklung nur eine solche Bahn zu geben, daſs die Interessen der Gemeinde, soweit sie die Versorgungsnetze betreffen, gewahrt werden. Für das Königreich Preuſsen ist ein solches Gesetz unter dem 2. Juli 1875 erlassen. Dasselbe ermöglicht den Gemeinden die An- legung und Veränderung von Straſsen und Plätzen nach dem Bedürf- nisse der näheren Zukunft durch Aufstellung von Bebauungs-Plänen. Ist dies geschehen, so tritt damit von selbst die Beschränkung des Grund-Eigenthümers, über die Fluchtlinien hinaus zu bauen, ein; Orts- statute sind zulässig, nach denen örtlich bestimmt werden kann, was unter einer für den Anbau fertig gestellten Straſse zu verstehen sei, und nur an solchen Straſsen dürfen Wohngebäude mit Ausgang errichtet werden; eine Entschädigung kann für eine Beschränkung der Baufrei- heit dann nicht gefordert werden; desgleichen können die Kosten der Neuanlegung einer Straſse von den angrenzenden Eigenthümern bei Er- richtung neuer Gebäude an dieser Straſse wieder eingezogen werden. Ich halte mich für verpflichtet, auf dieses Gesetz umsomehr hin- zuweisen, als in einzelnen zum deutschen Reich gehörigen Bundes- staaten ein gleiches oder ähnliches Gesetz fehlt und auch innerhalb Preuſsens vielfach von diesem Gesetz, damit also von der Befugniſs, die Herrschaft bei Neuanlage von Straſsen auszuüben, auch im Interesse der zweckmäſsigen Unterbringung der Versorgungs-Leitungen seitens der Gemeinden nicht der Gebrauch gemacht wird, den es verdient. Es bedarf kaum der Erwähnung, daſs in der Aufstellung von Bebauungsplänen ein Mittel gegeben ist, wenigstens die Nöthe, welche dort in der Zukunft die Unterbringung der Versorgungsnetze bereiten kann, zu beseitigen oder zu mildern. Je seltener bei Aufstellung solcher Pläne an die Versorgungsnetze gedacht worden ist und meistens noch wird, um so nothwendiger wird dies für die Zukunft sein. Die Anordnung mächtiger Diagonal- oder Radial-Straſsen, die für alle Leitungen von innen heraus oder von auſsen herein den kürzesten Weg bieten, ist dabei vor allem geboten. Für diese können die Abmessungen kaum groſs genug genommen werden, denn sie bieten die passende Gelegenheit, um auch die Bauten zur Bewältigung des groſsstädtischen Verkehrs — Hochbahnen, Stadtbahnen, Trambahnen — dort anzulegen. Je mehr — und namentlich in Groſsstädten — es Gebrauch wird, die Straſsendämme in definitiver Weise zu befestigen, je mehr zu Unterlagen der Befestigungsdecken starke Betonschichten verwendet werden, umsomehr auch wird es Regel werden, die Leitungen in die Bürgersteige zu verlegen; auch die dadurch bedingte Abkürzung der Hausanschluſsleitungen drängt darauf hin. Es ergiebt sich hieraus die Nothwendigkeit, in der Straſsenein- theilung den Bürgersteigen eine möglichst groſse Breite zu geben, ja, wenn die Straſsenbreite im ganzen nicht über ein gewisses Maſs hinaus ausgedehnt werden kann, diese Bürgersteigbreite auf Kosten der Straſsendammbreite zu ermöglichen. Sichert man sich hierdurch dort für die Ansprüche der Zukunft einen möglichst geräumigen Platz, so verleiht man auch den Straſsen überhaupt ein gefälligeres Ansehen. Endlich verdient der Fuſsgängerverkehr in Groſsstädten eine Berücksichtigung, die oft nicht genügend anerkannt wird, während umgekehrt dem Wagenverkehr Opfer gebracht werden, die er theils nicht braucht, theils nicht verdient. Auf eines freilich muſs der Wagenverkehr in der Regel in groſsen Städten verzichten, nämlich auf schnelles Fahren und, damit in Verbindung, auf Vorbeifahren. Ein groſser Theil der Wagen, alle Lastwagen, fahren so wie so nur Schritt; soll nun dem leichteren Personenfuhrwerk die Möglichkeit gegeben werden, auſser der Reihe sich zu bewegen und vorbeizueilen, so beansprucht dies eine Verbreiterung des Straſsendammes, deren Kosten und Schwierigkeiten ganz auſser Verhältniſs zu der dadurch erreichten Annehmlichkeit stehen. Es ist gewiſs sehr schön, daſs in Groſsstädten dem eleganteren Wagenverkehr, der ohne ein gewisses Tempo nicht zu denken ist, einzelne luxuriöser gestaltete Wege offen gehalten und bereitet werden, daſs aber die groſse Menge der Verkehrs- straſsen hierauf Rücksicht zu nehmen habe, ist unrichtig. Dem Noth- wendigen muſs das Angenehme nachstehen. Bewegen sich die Fuhrwerke in gleichmäſsigem Schritt, in gleichmäſsiger langer Reihe, so ist es — man denke nur an den Strand, an die City-Straſsen in London — kaum glaublich, welch eine Fülle von Lasten, welch eine Wagenzahl ordnungsmäſsig und ununterbrochen in Bewegung erhalten wird. Nicht unerwähnt mag hierbei auch bleiben, daſs für den Fuſsgänger- verkehr, wenn er zur Benutzung des Straſsendammes genöthigt ist, nichts so gefährlich wird, als gerade ein breiter Straſsendamm, der ein ungeordnetes Fahren in verschiedener Geschwindigkeit ermöglicht. Die Sicherung des Fuſsgängerverkehrs ist es, welcher neben der leich- teren Unterbringung der Versorgungsnetze verhältniſsmäſsig schmälere Fahrdämme und breitere Bürgersteige dienen. (Schluſs folgt.)

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Zitationshilfe: Hobrecht, James: Die modernen Aufgaben des großstädtischen Straßenbaues mit Rücksicht auf die Unterbringung der Versorgungsnetze. In: Centralblatt der Bauverwaltung 10 (1890), Nr. 36, Sp. 353-356, Sp. 375-376, Nr. 37, Sp. 386-388, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hobrecht_strassenbau_1890/15>, abgerufen am 23.11.2024.