zwischen den gedrängten Gebirgen lagerten sich starke Massen von Schatten; dann folgten wieder Ueberströmungen von Licht und Glanz, und wir jagten auf blinkenden Wellen dahin.
Wir gelangten zu dem Wirbel bey St. Goar. Als wir über ihn hunveg- geflogen waren, sprudelte und tobete der Strom, als wenn ihm ein wichtiger Raub entgangen wäre. In dieser Gegend ist er schnell und reißend; sein Beet schmal. Zuweilen erscheinen ganz öde, von Wein und Gesträuch entblößte, nackte, rauhe und abgebrochene Felsberge, die keine Spur der Bewohnung zeigen; dann wieder dunkle hangende Wälder; verlassene Höhen, wo zerbröckelte Reste von Bergschlössern trauern; ausgehöhlte Striche, welche den Absturz wilder Regengüsse bezeichnen. Hier thür- men sich Berge auf Berge, Felsen auf Felsen empor. Dieß sind, mit dem Getöse des Stroms und dem Geheul der durchziehenden Winde verbunden, die feyerlichen Gegenden, die Ehrfurcht und eine Art von Erstaunen einflößen, da die vorhergehen- den bloß Anstarren und Verwunderung erregten.
Doch währen diese Scenen nicht lange. Fast jede Viertelstunde erscheint eine Gegend von einem andern Charakter, oder doch von einer andern Verbindung ver- schiedener Charaktere. Oft tritt in einigen Minuten der Fahrt ein Dors, ein Klo- ster, ein Thurm, eine Ruine hervor; sie winken sich von einem Ufer zum andern hinüber freundschaftlich zu, und nicht selten erscheinen an einer kurzen Krümmung des Stroms drey bis vier bewohnte lebhafte Oerter. Hier in diesen engen Klüften con- trastiet besonders das lebhafte Ansehen der weißen Häuser gegen die Dunkelheit der zusammengedrängten Gebirge.
Bey Boppart sieht man auf einmal drey verschiedene Nönnenklöster, die ein- ander gegenüber liegen; in eben diesem Bezirk und in eben der Uebersicht erscheinen Klöster von Kapucinern, Franciskanern, Carmelitern. Kleine Kapellen zeigen sich bald hie, bald da. Die Gebirge, die sich dreysach über einander auf- thürmen, werfen einen ernsten und feyerlichen Schatten über diefe stillen Wohnun- gen der Abgezogenheit von der Welt. Vielleicht läßt sich keine Gegend vom melan- cholischen Charakter stärker malen.
Gegen Abend überschleyerte ein sanfter Nebel die Gegenden. Die Verge schienen in der Dämmerung sich mit der ruhigen Flut des Rheins zu vereinigen; ihre Trennungslinien verschwanden immer mehr in der Entfernung, und alles zerfloß allmählich in eine sanft übereinstimmende Verbindung. Nur die nahen Ufer und Berge blieben noch unverhüllt; und die magische Täuschung der Ferne verlor sich, indem wir uns ihr näherten, in Erheiterung und ruhende Wiederscheine, die gleich- sam aus dem Wasser emporstiegen. Von der süßen Stille des Abends eingewiegt,
zwiſchen den gedraͤngten Gebirgen lagerten ſich ſtarke Maſſen von Schatten; dann folgten wieder Ueberſtroͤmungen von Licht und Glanz, und wir jagten auf blinkenden Wellen dahin.
Wir gelangten zu dem Wirbel bey St. Goar. Als wir uͤber ihn hunveg- geflogen waren, ſprudelte und tobete der Strom, als wenn ihm ein wichtiger Raub entgangen waͤre. In dieſer Gegend iſt er ſchnell und reißend; ſein Beet ſchmal. Zuweilen erſcheinen ganz oͤde, von Wein und Geſtraͤuch entbloͤßte, nackte, rauhe und abgebrochene Felsberge, die keine Spur der Bewohnung zeigen; dann wieder dunkle hangende Waͤlder; verlaſſene Hoͤhen, wo zerbroͤckelte Reſte von Bergſchloͤſſern trauern; ausgehoͤhlte Striche, welche den Abſturz wilder Regenguͤſſe bezeichnen. Hier thuͤr- men ſich Berge auf Berge, Felſen auf Felſen empor. Dieß ſind, mit dem Getoͤſe des Stroms und dem Geheul der durchziehenden Winde verbunden, die feyerlichen Gegenden, die Ehrfurcht und eine Art von Erſtaunen einfloͤßen, da die vorhergehen- den bloß Anſtarren und Verwunderung erregten.
Doch waͤhren dieſe Scenen nicht lange. Faſt jede Viertelſtunde erſcheint eine Gegend von einem andern Charakter, oder doch von einer andern Verbindung ver- ſchiedener Charaktere. Oft tritt in einigen Minuten der Fahrt ein Dorſ, ein Klo- ſter, ein Thurm, eine Ruine hervor; ſie winken ſich von einem Ufer zum andern hinuͤber freundſchaftlich zu, und nicht ſelten erſcheinen an einer kurzen Kruͤmmung des Stroms drey bis vier bewohnte lebhafte Oerter. Hier in dieſen engen Kluͤften con- traſtiet beſonders das lebhafte Anſehen der weißen Haͤuſer gegen die Dunkelheit der zuſammengedraͤngten Gebirge.
Bey Boppart ſieht man auf einmal drey verſchiedene Noͤnnenkloͤſter, die ein- ander gegenuͤber liegen; in eben dieſem Bezirk und in eben der Ueberſicht erſcheinen Kloͤſter von Kapucinern, Franciskanern, Carmelitern. Kleine Kapellen zeigen ſich bald hie, bald da. Die Gebirge, die ſich dreyſach uͤber einander auf- thuͤrmen, werfen einen ernſten und feyerlichen Schatten uͤber diefe ſtillen Wohnun- gen der Abgezogenheit von der Welt. Vielleicht laͤßt ſich keine Gegend vom melan- choliſchen Charakter ſtaͤrker malen.
Gegen Abend uͤberſchleyerte ein ſanfter Nebel die Gegenden. Die Verge ſchienen in der Daͤmmerung ſich mit der ruhigen Flut des Rheins zu vereinigen; ihre Trennungslinien verſchwanden immer mehr in der Entfernung, und alles zerfloß allmaͤhlich in eine ſanft uͤbereinſtimmende Verbindung. Nur die nahen Ufer und Berge blieben noch unverhuͤllt; und die magiſche Taͤuſchung der Ferne verlor ſich, indem wir uns ihr naͤherten, in Erheiterung und ruhende Wiederſcheine, die gleich- ſam aus dem Waſſer emporſtiegen. Von der ſuͤßen Stille des Abends eingewiegt,
ſchwebten
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Luſtſchloͤſſern, Landhaͤuſern, Gartengebaͤuden ꝛc.
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folgten wieder Ueberſtroͤmungen von Licht und Glanz, und wir jagten auf blinkenden
Wellen dahin.
Wir gelangten zu dem Wirbel bey St. Goar. Als wir uͤber ihn hunveg-
geflogen waren, ſprudelte und tobete der Strom, als wenn ihm ein wichtiger Raub
entgangen waͤre. In dieſer Gegend iſt er ſchnell und reißend; ſein Beet ſchmal.
Zuweilen erſcheinen ganz oͤde, von Wein und Geſtraͤuch entbloͤßte, nackte, rauhe und
abgebrochene Felsberge, die keine Spur der Bewohnung zeigen; dann wieder dunkle
hangende Waͤlder; verlaſſene Hoͤhen, wo zerbroͤckelte Reſte von Bergſchloͤſſern trauern;
ausgehoͤhlte Striche, welche den Abſturz wilder Regenguͤſſe bezeichnen. Hier thuͤr-
men ſich Berge auf Berge, Felſen auf Felſen empor. Dieß ſind, mit dem Getoͤſe
des Stroms und dem Geheul der durchziehenden Winde verbunden, die feyerlichen
Gegenden, die Ehrfurcht und eine Art von Erſtaunen einfloͤßen, da die vorhergehen-
den bloß Anſtarren und Verwunderung erregten.
Doch waͤhren dieſe Scenen nicht lange. Faſt jede Viertelſtunde erſcheint eine
Gegend von einem andern Charakter, oder doch von einer andern Verbindung ver-
ſchiedener Charaktere. Oft tritt in einigen Minuten der Fahrt ein Dorſ, ein Klo-
ſter, ein Thurm, eine Ruine hervor; ſie winken ſich von einem Ufer zum andern
hinuͤber freundſchaftlich zu, und nicht ſelten erſcheinen an einer kurzen Kruͤmmung des
Stroms drey bis vier bewohnte lebhafte Oerter. Hier in dieſen engen Kluͤften con-
traſtiet beſonders das lebhafte Anſehen der weißen Haͤuſer gegen die Dunkelheit der
zuſammengedraͤngten Gebirge.
Bey Boppart ſieht man auf einmal drey verſchiedene Noͤnnenkloͤſter, die ein-
ander gegenuͤber liegen; in eben dieſem Bezirk und in eben der Ueberſicht erſcheinen
Kloͤſter von Kapucinern, Franciskanern, Carmelitern. Kleine Kapellen
zeigen ſich bald hie, bald da. Die Gebirge, die ſich dreyſach uͤber einander auf-
thuͤrmen, werfen einen ernſten und feyerlichen Schatten uͤber diefe ſtillen Wohnun-
gen der Abgezogenheit von der Welt. Vielleicht laͤßt ſich keine Gegend vom melan-
choliſchen Charakter ſtaͤrker malen.
Gegen Abend uͤberſchleyerte ein ſanfter Nebel die Gegenden. Die Verge
ſchienen in der Daͤmmerung ſich mit der ruhigen Flut des Rheins zu vereinigen;
ihre Trennungslinien verſchwanden immer mehr in der Entfernung, und alles zerfloß
allmaͤhlich in eine ſanft uͤbereinſtimmende Verbindung. Nur die nahen Ufer und
Berge blieben noch unverhuͤllt; und die magiſche Taͤuſchung der Ferne verlor ſich,
indem wir uns ihr naͤherten, in Erheiterung und ruhende Wiederſcheine, die gleich-
ſam aus dem Waſſer emporſtiegen. Von der ſuͤßen Stille des Abends eingewiegt,
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/347>, abgerufen am 19.07.2024.
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