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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gärten,
Der Garten, der zehn Stunden von Paris liegt, ist eine neue Schöpfung, aus
einem wilden Chaos hervorgerufen. *)

Das Thal, im Angesicht des Landhauses, war noch vor einigen Jahren nichts,
als ein unzugänglicher Morast von einem scheußlichen Anblick. Sein morigter
Grund zog das Wasser von hundert umherfließenden Quellen in sich; vier bis fünf
Kanäle, die bald verschleimten, konnten ihn nicht austrocknen. Dicke Dünste,
die Morgens und Abends aufstiegen, bedeckten die Oberfläche des Thals. Auf
allen Seiten versperrten symmetrische Alleen die Aussicht, und gaben einen eben so
langweiligen, als traurigen Anblick. Sie widerstanden der freyen Bewegung der
Luft, und machten daher die Lage noch ungesunder; und indem sie das wellenförmige
Spiel der Erhebungen und Senkungen des Bodens verbargen und seinen Fortlauf
unterbrachen, so verwandelten sie ein angenehmes Thal in eine langweilige und flache
Ebene. Reizende Höhen und Niedrigungen blieben zur Rechten und zur Linken
ungenutzt liegen; ein schöner Wald, dem Hause so nahe, ward davon sorgfältig
abgesondert, daß er weder zur Verzierung der Lage, noch zum Vergnügen des Spa-
ziergangs beytrug. Uebrigens ein sumpfigtes Parterre; tiefe Canäle, die unreines
Gewässer verschlossen, immer von Schilf und Gras bedeckt; ein Irrgarten von
Hagebuchen auf beyden Seiten, wohin man sich wegen der äußersten Feuchtigkeit
nicht wagen durfte -- dieß machte die abgeschmackte Verzierung des Gartens
aus. Auf der Mittagsseite gab ein Hof, von Gebäuden umschlossen, einen finstern
Anblick. Ein feuchter Küchengarten war ganz von Mauern umgeben; und daneben
sperrten zwey Reihen von Linden die Aussicht und die Luft ein. Endlich war alles
getrennt und abgerissen; jede Parthie erschien ohne Verbindung, ohne zu einem
Ganzen zu gehören, ohne einen Charakter zu haben. Das war vormals Erme-
nonville.

Jetzt hat ein frisches und lachendes Thal die Stelle einer einförmigen Ebene
eingenommen; der ausgetrocknete Sumpf ist in eine treffliche und angenehme Wiese
verwandelt; ein breiter Fluß hat die stinkenden Kanäle verdrängt, und sein lebhaftes,
immer von den Winden bewegtes Wasser, erhält sich rein und klar. Die meisten
Gegenstände, die diese Aussicht verschönerten, erwarteten bloß die Wegräumung
einiger Pflanzungen, die sie versteckten oder von einander trennten. Die weggeschla-
genen Bäume entdeckten eine herrliche Gegend, die in einer Entfernung von zwey
Stunden von einem Berge begränzt wird, worauf sich ein Dorf erhebt, und wor-

über
*) Ein Theil der ersten Anlage ist in der Theorie des Jardins (8. Paris. 1776)
S. 240 -- 261 angezeigt.

Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten,
Der Garten, der zehn Stunden von Paris liegt, iſt eine neue Schoͤpfung, aus
einem wilden Chaos hervorgerufen. *)

Das Thal, im Angeſicht des Landhauſes, war noch vor einigen Jahren nichts,
als ein unzugaͤnglicher Moraſt von einem ſcheußlichen Anblick. Sein morigter
Grund zog das Waſſer von hundert umherfließenden Quellen in ſich; vier bis fuͤnf
Kanaͤle, die bald verſchleimten, konnten ihn nicht austrocknen. Dicke Duͤnſte,
die Morgens und Abends aufſtiegen, bedeckten die Oberflaͤche des Thals. Auf
allen Seiten verſperrten ſymmetriſche Alleen die Ausſicht, und gaben einen eben ſo
langweiligen, als traurigen Anblick. Sie widerſtanden der freyen Bewegung der
Luft, und machten daher die Lage noch ungeſunder; und indem ſie das wellenfoͤrmige
Spiel der Erhebungen und Senkungen des Bodens verbargen und ſeinen Fortlauf
unterbrachen, ſo verwandelten ſie ein angenehmes Thal in eine langweilige und flache
Ebene. Reizende Hoͤhen und Niedrigungen blieben zur Rechten und zur Linken
ungenutzt liegen; ein ſchoͤner Wald, dem Hauſe ſo nahe, ward davon ſorgfaͤltig
abgeſondert, daß er weder zur Verzierung der Lage, noch zum Vergnuͤgen des Spa-
ziergangs beytrug. Uebrigens ein ſumpfigtes Parterre; tiefe Canaͤle, die unreines
Gewaͤſſer verſchloſſen, immer von Schilf und Gras bedeckt; ein Irrgarten von
Hagebuchen auf beyden Seiten, wohin man ſich wegen der aͤußerſten Feuchtigkeit
nicht wagen durfte — dieß machte die abgeſchmackte Verzierung des Gartens
aus. Auf der Mittagsſeite gab ein Hof, von Gebaͤuden umſchloſſen, einen finſtern
Anblick. Ein feuchter Kuͤchengarten war ganz von Mauern umgeben; und daneben
ſperrten zwey Reihen von Linden die Ausſicht und die Luft ein. Endlich war alles
getrennt und abgeriſſen; jede Parthie erſchien ohne Verbindung, ohne zu einem
Ganzen zu gehoͤren, ohne einen Charakter zu haben. Das war vormals Erme-
nonville.

Jetzt hat ein friſches und lachendes Thal die Stelle einer einfoͤrmigen Ebene
eingenommen; der ausgetrocknete Sumpf iſt in eine treffliche und angenehme Wieſe
verwandelt; ein breiter Fluß hat die ſtinkenden Kanaͤle verdraͤngt, und ſein lebhaftes,
immer von den Winden bewegtes Waſſer, erhaͤlt ſich rein und klar. Die meiſten
Gegenſtaͤnde, die dieſe Ausſicht verſchoͤnerten, erwarteten bloß die Wegraͤumung
einiger Pflanzungen, die ſie verſteckten oder von einander trennten. Die weggeſchla-
genen Baͤume entdeckten eine herrliche Gegend, die in einer Entfernung von zwey
Stunden von einem Berge begraͤnzt wird, worauf ſich ein Dorf erhebt, und wor-

uͤber
*) Ein Theil der erſten Anlage iſt in der Theorie des Jardins (8. Paris. 1776)
S. 240 — 261 angezeigt.
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[260/0268] Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten, Der Garten, der zehn Stunden von Paris liegt, iſt eine neue Schoͤpfung, aus einem wilden Chaos hervorgerufen. *) Das Thal, im Angeſicht des Landhauſes, war noch vor einigen Jahren nichts, als ein unzugaͤnglicher Moraſt von einem ſcheußlichen Anblick. Sein morigter Grund zog das Waſſer von hundert umherfließenden Quellen in ſich; vier bis fuͤnf Kanaͤle, die bald verſchleimten, konnten ihn nicht austrocknen. Dicke Duͤnſte, die Morgens und Abends aufſtiegen, bedeckten die Oberflaͤche des Thals. Auf allen Seiten verſperrten ſymmetriſche Alleen die Ausſicht, und gaben einen eben ſo langweiligen, als traurigen Anblick. Sie widerſtanden der freyen Bewegung der Luft, und machten daher die Lage noch ungeſunder; und indem ſie das wellenfoͤrmige Spiel der Erhebungen und Senkungen des Bodens verbargen und ſeinen Fortlauf unterbrachen, ſo verwandelten ſie ein angenehmes Thal in eine langweilige und flache Ebene. Reizende Hoͤhen und Niedrigungen blieben zur Rechten und zur Linken ungenutzt liegen; ein ſchoͤner Wald, dem Hauſe ſo nahe, ward davon ſorgfaͤltig abgeſondert, daß er weder zur Verzierung der Lage, noch zum Vergnuͤgen des Spa- ziergangs beytrug. Uebrigens ein ſumpfigtes Parterre; tiefe Canaͤle, die unreines Gewaͤſſer verſchloſſen, immer von Schilf und Gras bedeckt; ein Irrgarten von Hagebuchen auf beyden Seiten, wohin man ſich wegen der aͤußerſten Feuchtigkeit nicht wagen durfte — dieß machte die abgeſchmackte Verzierung des Gartens aus. Auf der Mittagsſeite gab ein Hof, von Gebaͤuden umſchloſſen, einen finſtern Anblick. Ein feuchter Kuͤchengarten war ganz von Mauern umgeben; und daneben ſperrten zwey Reihen von Linden die Ausſicht und die Luft ein. Endlich war alles getrennt und abgeriſſen; jede Parthie erſchien ohne Verbindung, ohne zu einem Ganzen zu gehoͤren, ohne einen Charakter zu haben. Das war vormals Erme- nonville. Jetzt hat ein friſches und lachendes Thal die Stelle einer einfoͤrmigen Ebene eingenommen; der ausgetrocknete Sumpf iſt in eine treffliche und angenehme Wieſe verwandelt; ein breiter Fluß hat die ſtinkenden Kanaͤle verdraͤngt, und ſein lebhaftes, immer von den Winden bewegtes Waſſer, erhaͤlt ſich rein und klar. Die meiſten Gegenſtaͤnde, die dieſe Ausſicht verſchoͤnerten, erwarteten bloß die Wegraͤumung einiger Pflanzungen, die ſie verſteckten oder von einander trennten. Die weggeſchla- genen Baͤume entdeckten eine herrliche Gegend, die in einer Entfernung von zwey Stunden von einem Berge begraͤnzt wird, worauf ſich ein Dorf erhebt, und wor- uͤber *) Ein Theil der erſten Anlage iſt in der Theorie des Jardins (8. Paris. 1776) S. 240 — 261 angezeigt.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/268>, abgerufen am 28.11.2024.