Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite
Beschreibungen von Gärten.
"Der Mensch werde am Morgen des Lebens abgerissen, oder er falle im Alter,
gleich einer reifen Aehre; so fällt er immer zu rechter Zeit nach dem Plane
der Natur, wenn er der Vernunft gelebt hat, und als ein Mann ge-
storben ist."

Beym Fortwandeln in den Eremitengängen sieht man bald verschiedene Pfade
seitwärts ablaufen, und, indem man über einen Kreuzweg geht, oben zur Rechten
hinauf in eine weite Oeffnung der Pflanzungen, wo eine Ruine sich auf der Höhe
zeigt. Der Fortschritt auf dem untersten der Eremitengänge giebt bald seitwärts
zur Linken eine lange ruhige Aussicht, von Bäumen umschränkt, und buschigte ein-
same Sitze. Die Verschließung wird immer mehr einsiedlerisch, alles stiller und
dunkler, je weiter man kommt. Ein Pfad führt zu einer kleinen Anhöhe hinauf,
und hier erblickt man die Einsiedeley unter den Umhüllungen der Gebüsche.

Sie ruhet einsam, an der Seite und unter dem Dunkel einer alten Eiche,
neben welcher Sitze von Feldsteinen liegen, zum Theil mit Kreuzen bezeichnet; an-
dere eben so bejahrte Eichen streuen ihren schwesterlichen Schatten umher, die Scene
noch feyerlicher zu verdüstern. Das Gebäude *) trägt den Character, den Werke
dieser Art fordern. Das Inwendige stimmt ganz mit der äußern Gestalt überein.
Welch ein Anblick von Verläugnung der Welt und von Andacht, von Dürstigkeit
und von Genügsamkeit, indem man hineintritt! Ein kleiner Betaltar fällt sogleich
in die Augen, und mit ihm ein rührendes Bild der Maria, die mit thränenvollen,
wundgeweinten, jammernden Blicken über den geliebten Sohn hängt, der erblaßt
auf ihrem Schooße ruht; mit der einen Hand stützt sie sein sinkendes Haupt, mit
der andern strebt sie den linken Arm in die Höhe zu halten, indessen der rechte an
ihren Knien herabhängt. Umher Bildnisse von Heiligen, Erinnerungszeichen der
Vergänglichkeit, Bücher der Andacht, des Trostes und der Kunst zu sterben, der
schwersten Kunst des Sterblichen. Alles ist so überredend, so täuschend, daß
fromme Katholiken zuweilen kein Bedenken fanden, hieher zum Gebet zu kommen.
Tritt man aus der Einsiedeley zurück, so wird die Täuschung unterhalten, indem
der Thüre gegenüber ein großes Crucifix in die Augen fällt, das an einer Eiche un-
ter einer kleinen Bedeckung hängt; ein Betaltar von rohen Feldsteinen steht
darunter.

Nahe an dieser Einsiedeley liegt ein Kirchhof von dunkeln Nadelhölzern um-
pflanzt. Eine kleine Grabscene voll rührender Erinnerungen für empfindsame
Freunde des guten Sterne. Wir sehen hier die Grabmäler von Maria von
Moulines mit einem Kranz und ihrem getreuen Sylviv; von Yorik mit dem

Staar,
*) 4ter B. S. 84 und 85.
D d 3
Beſchreibungen von Gaͤrten.
„Der Menſch werde am Morgen des Lebens abgeriſſen, oder er falle im Alter,
gleich einer reifen Aehre; ſo faͤllt er immer zu rechter Zeit nach dem Plane
der Natur, wenn er der Vernunft gelebt hat, und als ein Mann ge-
ſtorben iſt.“

Beym Fortwandeln in den Eremitengaͤngen ſieht man bald verſchiedene Pfade
ſeitwaͤrts ablaufen, und, indem man uͤber einen Kreuzweg geht, oben zur Rechten
hinauf in eine weite Oeffnung der Pflanzungen, wo eine Ruine ſich auf der Hoͤhe
zeigt. Der Fortſchritt auf dem unterſten der Eremitengaͤnge giebt bald ſeitwaͤrts
zur Linken eine lange ruhige Ausſicht, von Baͤumen umſchraͤnkt, und buſchigte ein-
ſame Sitze. Die Verſchließung wird immer mehr einſiedleriſch, alles ſtiller und
dunkler, je weiter man kommt. Ein Pfad fuͤhrt zu einer kleinen Anhoͤhe hinauf,
und hier erblickt man die Einſiedeley unter den Umhuͤllungen der Gebuͤſche.

Sie ruhet einſam, an der Seite und unter dem Dunkel einer alten Eiche,
neben welcher Sitze von Feldſteinen liegen, zum Theil mit Kreuzen bezeichnet; an-
dere eben ſo bejahrte Eichen ſtreuen ihren ſchweſterlichen Schatten umher, die Scene
noch feyerlicher zu verduͤſtern. Das Gebaͤude *) traͤgt den Character, den Werke
dieſer Art fordern. Das Inwendige ſtimmt ganz mit der aͤußern Geſtalt uͤberein.
Welch ein Anblick von Verlaͤugnung der Welt und von Andacht, von Duͤrſtigkeit
und von Genuͤgſamkeit, indem man hineintritt! Ein kleiner Betaltar faͤllt ſogleich
in die Augen, und mit ihm ein ruͤhrendes Bild der Maria, die mit thraͤnenvollen,
wundgeweinten, jammernden Blicken uͤber den geliebten Sohn haͤngt, der erblaßt
auf ihrem Schooße ruht; mit der einen Hand ſtuͤtzt ſie ſein ſinkendes Haupt, mit
der andern ſtrebt ſie den linken Arm in die Hoͤhe zu halten, indeſſen der rechte an
ihren Knien herabhaͤngt. Umher Bildniſſe von Heiligen, Erinnerungszeichen der
Vergaͤnglichkeit, Buͤcher der Andacht, des Troſtes und der Kunſt zu ſterben, der
ſchwerſten Kunſt des Sterblichen. Alles iſt ſo uͤberredend, ſo taͤuſchend, daß
fromme Katholiken zuweilen kein Bedenken fanden, hieher zum Gebet zu kommen.
Tritt man aus der Einſiedeley zuruͤck, ſo wird die Taͤuſchung unterhalten, indem
der Thuͤre gegenuͤber ein großes Crucifix in die Augen faͤllt, das an einer Eiche un-
ter einer kleinen Bedeckung haͤngt; ein Betaltar von rohen Feldſteinen ſteht
darunter.

Nahe an dieſer Einſiedeley liegt ein Kirchhof von dunkeln Nadelhoͤlzern um-
pflanzt. Eine kleine Grabſcene voll ruͤhrender Erinnerungen fuͤr empfindſame
Freunde des guten Sterne. Wir ſehen hier die Grabmaͤler von Maria von
Moulines mit einem Kranz und ihrem getreuen Sylviv; von Yorik mit dem

Staar,
*) 4ter B. S. 84 und 85.
D d 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0221" n="213"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Be&#x017F;chreibungen von Ga&#x0364;rten.</hi> </fw><lb/>
          <cit>
            <quote>&#x201E;Der Men&#x017F;ch werde am Morgen des Lebens abgeri&#x017F;&#x017F;en, oder er falle im Alter,<lb/>
gleich einer reifen Aehre; &#x017F;o fa&#x0364;llt er immer zu rechter Zeit nach dem Plane<lb/>
der Natur, wenn er der Vernunft gelebt hat, und als ein Mann ge-<lb/>
&#x017F;torben i&#x017F;t.&#x201C;</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Beym Fortwandeln in den Eremitenga&#x0364;ngen &#x017F;ieht man bald ver&#x017F;chiedene Pfade<lb/>
&#x017F;eitwa&#x0364;rts ablaufen, und, indem man u&#x0364;ber einen Kreuzweg geht, oben zur Rechten<lb/>
hinauf in eine weite Oeffnung der Pflanzungen, wo eine Ruine &#x017F;ich auf der Ho&#x0364;he<lb/>
zeigt. Der Fort&#x017F;chritt auf dem unter&#x017F;ten der Eremitenga&#x0364;nge giebt bald &#x017F;eitwa&#x0364;rts<lb/>
zur Linken eine lange ruhige Aus&#x017F;icht, von Ba&#x0364;umen um&#x017F;chra&#x0364;nkt, und bu&#x017F;chigte ein-<lb/>
&#x017F;ame Sitze. Die Ver&#x017F;chließung wird immer mehr ein&#x017F;iedleri&#x017F;ch, alles &#x017F;tiller und<lb/>
dunkler, je weiter man kommt. Ein Pfad fu&#x0364;hrt zu einer kleinen Anho&#x0364;he hinauf,<lb/>
und hier erblickt man die Ein&#x017F;iedeley unter den Umhu&#x0364;llungen der Gebu&#x0364;&#x017F;che.</p><lb/>
          <p>Sie ruhet ein&#x017F;am, an der Seite und unter dem Dunkel einer alten Eiche,<lb/>
neben welcher Sitze von Feld&#x017F;teinen liegen, zum Theil mit Kreuzen bezeichnet; an-<lb/>
dere eben &#x017F;o bejahrte Eichen &#x017F;treuen ihren &#x017F;chwe&#x017F;terlichen Schatten umher, die Scene<lb/>
noch feyerlicher zu verdu&#x0364;&#x017F;tern. Das Geba&#x0364;ude <note place="foot" n="*)">4ter B. S. 84 und 85.</note> tra&#x0364;gt den Character, den Werke<lb/>
die&#x017F;er Art fordern. Das Inwendige &#x017F;timmt ganz mit der a&#x0364;ußern Ge&#x017F;talt u&#x0364;berein.<lb/>
Welch ein Anblick von Verla&#x0364;ugnung der Welt und von Andacht, von Du&#x0364;r&#x017F;tigkeit<lb/>
und von Genu&#x0364;g&#x017F;amkeit, indem man hineintritt! Ein kleiner Betaltar fa&#x0364;llt &#x017F;ogleich<lb/>
in die Augen, und mit ihm ein ru&#x0364;hrendes Bild der <hi rendition="#fr">Maria,</hi> die mit thra&#x0364;nenvollen,<lb/>
wundgeweinten, jammernden Blicken u&#x0364;ber den geliebten Sohn ha&#x0364;ngt, der erblaßt<lb/>
auf ihrem Schooße ruht; mit der einen Hand &#x017F;tu&#x0364;tzt &#x017F;ie &#x017F;ein &#x017F;inkendes Haupt, mit<lb/>
der andern &#x017F;trebt &#x017F;ie den linken Arm in die Ho&#x0364;he zu halten, inde&#x017F;&#x017F;en der rechte an<lb/>
ihren Knien herabha&#x0364;ngt. Umher Bildni&#x017F;&#x017F;e von Heiligen, Erinnerungszeichen der<lb/>
Verga&#x0364;nglichkeit, Bu&#x0364;cher der Andacht, des Tro&#x017F;tes und der Kun&#x017F;t zu &#x017F;terben, der<lb/>
&#x017F;chwer&#x017F;ten Kun&#x017F;t des Sterblichen. Alles i&#x017F;t &#x017F;o u&#x0364;berredend, &#x017F;o ta&#x0364;u&#x017F;chend, daß<lb/>
fromme Katholiken zuweilen kein Bedenken fanden, hieher zum Gebet zu kommen.<lb/>
Tritt man aus der Ein&#x017F;iedeley zuru&#x0364;ck, &#x017F;o wird die Ta&#x0364;u&#x017F;chung unterhalten, indem<lb/>
der Thu&#x0364;re gegenu&#x0364;ber ein großes Crucifix in die Augen fa&#x0364;llt, das an einer Eiche un-<lb/>
ter einer kleinen Bedeckung ha&#x0364;ngt; ein Betaltar von rohen Feld&#x017F;teinen &#x017F;teht<lb/>
darunter.</p><lb/>
          <p>Nahe an die&#x017F;er Ein&#x017F;iedeley liegt ein Kirchhof von dunkeln Nadelho&#x0364;lzern um-<lb/>
pflanzt. Eine kleine Grab&#x017F;cene voll ru&#x0364;hrender Erinnerungen fu&#x0364;r empfind&#x017F;ame<lb/>
Freunde des guten <hi rendition="#fr">Sterne.</hi> Wir &#x017F;ehen hier die Grabma&#x0364;ler von <hi rendition="#fr">Maria</hi> von<lb/><hi rendition="#fr">Moulines</hi> mit einem Kranz und ihrem getreuen <hi rendition="#fr">Sylviv;</hi> von <hi rendition="#fr">Yorik</hi> mit dem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Staar,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0221] Beſchreibungen von Gaͤrten. „Der Menſch werde am Morgen des Lebens abgeriſſen, oder er falle im Alter, gleich einer reifen Aehre; ſo faͤllt er immer zu rechter Zeit nach dem Plane der Natur, wenn er der Vernunft gelebt hat, und als ein Mann ge- ſtorben iſt.“ Beym Fortwandeln in den Eremitengaͤngen ſieht man bald verſchiedene Pfade ſeitwaͤrts ablaufen, und, indem man uͤber einen Kreuzweg geht, oben zur Rechten hinauf in eine weite Oeffnung der Pflanzungen, wo eine Ruine ſich auf der Hoͤhe zeigt. Der Fortſchritt auf dem unterſten der Eremitengaͤnge giebt bald ſeitwaͤrts zur Linken eine lange ruhige Ausſicht, von Baͤumen umſchraͤnkt, und buſchigte ein- ſame Sitze. Die Verſchließung wird immer mehr einſiedleriſch, alles ſtiller und dunkler, je weiter man kommt. Ein Pfad fuͤhrt zu einer kleinen Anhoͤhe hinauf, und hier erblickt man die Einſiedeley unter den Umhuͤllungen der Gebuͤſche. Sie ruhet einſam, an der Seite und unter dem Dunkel einer alten Eiche, neben welcher Sitze von Feldſteinen liegen, zum Theil mit Kreuzen bezeichnet; an- dere eben ſo bejahrte Eichen ſtreuen ihren ſchweſterlichen Schatten umher, die Scene noch feyerlicher zu verduͤſtern. Das Gebaͤude *) traͤgt den Character, den Werke dieſer Art fordern. Das Inwendige ſtimmt ganz mit der aͤußern Geſtalt uͤberein. Welch ein Anblick von Verlaͤugnung der Welt und von Andacht, von Duͤrſtigkeit und von Genuͤgſamkeit, indem man hineintritt! Ein kleiner Betaltar faͤllt ſogleich in die Augen, und mit ihm ein ruͤhrendes Bild der Maria, die mit thraͤnenvollen, wundgeweinten, jammernden Blicken uͤber den geliebten Sohn haͤngt, der erblaßt auf ihrem Schooße ruht; mit der einen Hand ſtuͤtzt ſie ſein ſinkendes Haupt, mit der andern ſtrebt ſie den linken Arm in die Hoͤhe zu halten, indeſſen der rechte an ihren Knien herabhaͤngt. Umher Bildniſſe von Heiligen, Erinnerungszeichen der Vergaͤnglichkeit, Buͤcher der Andacht, des Troſtes und der Kunſt zu ſterben, der ſchwerſten Kunſt des Sterblichen. Alles iſt ſo uͤberredend, ſo taͤuſchend, daß fromme Katholiken zuweilen kein Bedenken fanden, hieher zum Gebet zu kommen. Tritt man aus der Einſiedeley zuruͤck, ſo wird die Taͤuſchung unterhalten, indem der Thuͤre gegenuͤber ein großes Crucifix in die Augen faͤllt, das an einer Eiche un- ter einer kleinen Bedeckung haͤngt; ein Betaltar von rohen Feldſteinen ſteht darunter. Nahe an dieſer Einſiedeley liegt ein Kirchhof von dunkeln Nadelhoͤlzern um- pflanzt. Eine kleine Grabſcene voll ruͤhrender Erinnerungen fuͤr empfindſame Freunde des guten Sterne. Wir ſehen hier die Grabmaͤler von Maria von Moulines mit einem Kranz und ihrem getreuen Sylviv; von Yorik mit dem Staar, *) 4ter B. S. 84 und 85. D d 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/221
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/221>, abgerufen am 25.11.2024.