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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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einzelner Theile eines Landsitzes.

Die Gruppen, die zum Gewinn schönerer Landschaftsgemälde angelegt werden,
können wieder mit einer Pflanzung in gerader Linie abwechseln, zumal an Stellen,
wo keine Aussicht lockt. Die Straße hat an sich fast keine andre Annehmlichkeit,
als die aus ihrer Festigkeit und Bequemlichkeit zum Fortlauf der Reise entspringt;
die Gegenstände, die sie umgeben oder aus der Ferne erblickt werden, müssen das
Vergnügen der Unterhaltung gewähren. Daher die Unentbehrlichkeit freyer und
mannichfaltiger Aussichten, wenn die Landstraße Anmuth haben soll. Wo rings-
umher nichts das Auge ergötzt, oder wo es von widrigen Ansichten beleidigt wird,
da gewinnt eine gewöhnliche Allee doch schon wieder eine Wichtigkeit. Die immer
fortschreitende Heiterkeit offener Aussichten blendet; sie wird reizender, indem sie
mit Schatten und Verschließung wechselt.

Die Wendungen der Landstraße werden zuweilen schon als nothwendig von
der natürlichen Beschaffenheit des Bodens vorgeschrieben. Kornfelder, Wiesen,
Moräste, Seen, Felsen erfordern oft eine Biegung, eine Krümmung, selbst einen
längern Umweg; allein über kleine Anhöhen und Berge läuft zuweilen die gerade
Landstraße mit neuer Anmuth fort, und unterhält das Auge mit erweiterten Aus-
sichten. Eben die Krümmungen der Landstraße, die manchesmal unvermeidlich
sind, tragen nicht wenig zur Veredelung und Vervielfältigung der Prospecte bey;
und sie können nach den Gesetzen des Geschmacks oft eben so nöthig werden, als
nach dem Eigensinn des Bodens. Eine immer gerade Straße hat freylich den
Vorzug, daß sie geschwinder und bequemer zum Ziel bringt; allein sie hat zugleich
die langweilige Einförmigkeit der ununterbrochenen geraden Linie. Sie wird anmu-
thiger durch unerwartete Krümmungen und durch plötzlich hervorbrechende Aus-
sichten, worauf die Wendungen leiten. Die geradelinigte Länge der Landstraßen ist
eben so ermüdend, als die gar zu große Breite unnütz, für den Feldbau nachtheilig,
und für den Reisenden, dem sie die Annehmlichkeit des Schattens raubt, beschwerlich
ist. Außerdem ist die erzwungene Geradigkeit eines beträchtlichen Weges ganz wider
die Natur, und erfordert so manche überflüssige Kosten, die, wenn doch Aufwand
geschehen soll, weit glücklicher auf wahre Verschönerungen gewendet werden könnten.
Die Landstraße laufe demnach, wo sie kann, eine gerade Strecke fort; allein sie
weigere sich nicht, wo es die Lage verlangt, einen Umweg zu nehmen; sie wende
sich vielmehr freywillig, wo schönere Aussichten reizen, in einer kleinen anmuthigen
Irre herum. Es ist nicht genug, Land zu sehen; wo sieht man das nicht? Der
Reisende verlangt Zeitverkürzung auf dem einsamen Wege und Unterhaltung für
das Auge. Er will nicht Land, sondern Landschaftgemälde haben. Und diese
gewinnt er zwar zuweilen durch die zufällige Natur; aber der Geschmack schafft sie

ihm
V Band. A a
einzelner Theile eines Landſitzes.

Die Gruppen, die zum Gewinn ſchoͤnerer Landſchaftsgemaͤlde angelegt werden,
koͤnnen wieder mit einer Pflanzung in gerader Linie abwechſeln, zumal an Stellen,
wo keine Ausſicht lockt. Die Straße hat an ſich faſt keine andre Annehmlichkeit,
als die aus ihrer Feſtigkeit und Bequemlichkeit zum Fortlauf der Reiſe entſpringt;
die Gegenſtaͤnde, die ſie umgeben oder aus der Ferne erblickt werden, muͤſſen das
Vergnuͤgen der Unterhaltung gewaͤhren. Daher die Unentbehrlichkeit freyer und
mannichfaltiger Ausſichten, wenn die Landſtraße Anmuth haben ſoll. Wo rings-
umher nichts das Auge ergoͤtzt, oder wo es von widrigen Anſichten beleidigt wird,
da gewinnt eine gewoͤhnliche Allee doch ſchon wieder eine Wichtigkeit. Die immer
fortſchreitende Heiterkeit offener Ausſichten blendet; ſie wird reizender, indem ſie
mit Schatten und Verſchließung wechſelt.

Die Wendungen der Landſtraße werden zuweilen ſchon als nothwendig von
der natuͤrlichen Beſchaffenheit des Bodens vorgeſchrieben. Kornfelder, Wieſen,
Moraͤſte, Seen, Felſen erfordern oft eine Biegung, eine Kruͤmmung, ſelbſt einen
laͤngern Umweg; allein uͤber kleine Anhoͤhen und Berge laͤuft zuweilen die gerade
Landſtraße mit neuer Anmuth fort, und unterhaͤlt das Auge mit erweiterten Aus-
ſichten. Eben die Kruͤmmungen der Landſtraße, die manchesmal unvermeidlich
ſind, tragen nicht wenig zur Veredelung und Vervielfaͤltigung der Proſpecte bey;
und ſie koͤnnen nach den Geſetzen des Geſchmacks oft eben ſo noͤthig werden, als
nach dem Eigenſinn des Bodens. Eine immer gerade Straße hat freylich den
Vorzug, daß ſie geſchwinder und bequemer zum Ziel bringt; allein ſie hat zugleich
die langweilige Einfoͤrmigkeit der ununterbrochenen geraden Linie. Sie wird anmu-
thiger durch unerwartete Kruͤmmungen und durch ploͤtzlich hervorbrechende Aus-
ſichten, worauf die Wendungen leiten. Die geradelinigte Laͤnge der Landſtraßen iſt
eben ſo ermuͤdend, als die gar zu große Breite unnuͤtz, fuͤr den Feldbau nachtheilig,
und fuͤr den Reiſenden, dem ſie die Annehmlichkeit des Schattens raubt, beſchwerlich
iſt. Außerdem iſt die erzwungene Geradigkeit eines betraͤchtlichen Weges ganz wider
die Natur, und erfordert ſo manche uͤberfluͤſſige Koſten, die, wenn doch Aufwand
geſchehen ſoll, weit gluͤcklicher auf wahre Verſchoͤnerungen gewendet werden koͤnnten.
Die Landſtraße laufe demnach, wo ſie kann, eine gerade Strecke fort; allein ſie
weigere ſich nicht, wo es die Lage verlangt, einen Umweg zu nehmen; ſie wende
ſich vielmehr freywillig, wo ſchoͤnere Ausſichten reizen, in einer kleinen anmuthigen
Irre herum. Es iſt nicht genug, Land zu ſehen; wo ſieht man das nicht? Der
Reiſende verlangt Zeitverkuͤrzung auf dem einſamen Wege und Unterhaltung fuͤr
das Auge. Er will nicht Land, ſondern Landſchaftgemaͤlde haben. Und dieſe
gewinnt er zwar zuweilen durch die zufaͤllige Natur; aber der Geſchmack ſchafft ſie

ihm
V Band. A a
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[185/0193] einzelner Theile eines Landſitzes. Die Gruppen, die zum Gewinn ſchoͤnerer Landſchaftsgemaͤlde angelegt werden, koͤnnen wieder mit einer Pflanzung in gerader Linie abwechſeln, zumal an Stellen, wo keine Ausſicht lockt. Die Straße hat an ſich faſt keine andre Annehmlichkeit, als die aus ihrer Feſtigkeit und Bequemlichkeit zum Fortlauf der Reiſe entſpringt; die Gegenſtaͤnde, die ſie umgeben oder aus der Ferne erblickt werden, muͤſſen das Vergnuͤgen der Unterhaltung gewaͤhren. Daher die Unentbehrlichkeit freyer und mannichfaltiger Ausſichten, wenn die Landſtraße Anmuth haben ſoll. Wo rings- umher nichts das Auge ergoͤtzt, oder wo es von widrigen Anſichten beleidigt wird, da gewinnt eine gewoͤhnliche Allee doch ſchon wieder eine Wichtigkeit. Die immer fortſchreitende Heiterkeit offener Ausſichten blendet; ſie wird reizender, indem ſie mit Schatten und Verſchließung wechſelt. Die Wendungen der Landſtraße werden zuweilen ſchon als nothwendig von der natuͤrlichen Beſchaffenheit des Bodens vorgeſchrieben. Kornfelder, Wieſen, Moraͤſte, Seen, Felſen erfordern oft eine Biegung, eine Kruͤmmung, ſelbſt einen laͤngern Umweg; allein uͤber kleine Anhoͤhen und Berge laͤuft zuweilen die gerade Landſtraße mit neuer Anmuth fort, und unterhaͤlt das Auge mit erweiterten Aus- ſichten. Eben die Kruͤmmungen der Landſtraße, die manchesmal unvermeidlich ſind, tragen nicht wenig zur Veredelung und Vervielfaͤltigung der Proſpecte bey; und ſie koͤnnen nach den Geſetzen des Geſchmacks oft eben ſo noͤthig werden, als nach dem Eigenſinn des Bodens. Eine immer gerade Straße hat freylich den Vorzug, daß ſie geſchwinder und bequemer zum Ziel bringt; allein ſie hat zugleich die langweilige Einfoͤrmigkeit der ununterbrochenen geraden Linie. Sie wird anmu- thiger durch unerwartete Kruͤmmungen und durch ploͤtzlich hervorbrechende Aus- ſichten, worauf die Wendungen leiten. Die geradelinigte Laͤnge der Landſtraßen iſt eben ſo ermuͤdend, als die gar zu große Breite unnuͤtz, fuͤr den Feldbau nachtheilig, und fuͤr den Reiſenden, dem ſie die Annehmlichkeit des Schattens raubt, beſchwerlich iſt. Außerdem iſt die erzwungene Geradigkeit eines betraͤchtlichen Weges ganz wider die Natur, und erfordert ſo manche uͤberfluͤſſige Koſten, die, wenn doch Aufwand geſchehen ſoll, weit gluͤcklicher auf wahre Verſchoͤnerungen gewendet werden koͤnnten. Die Landſtraße laufe demnach, wo ſie kann, eine gerade Strecke fort; allein ſie weigere ſich nicht, wo es die Lage verlangt, einen Umweg zu nehmen; ſie wende ſich vielmehr freywillig, wo ſchoͤnere Ausſichten reizen, in einer kleinen anmuthigen Irre herum. Es iſt nicht genug, Land zu ſehen; wo ſieht man das nicht? Der Reiſende verlangt Zeitverkuͤrzung auf dem einſamen Wege und Unterhaltung fuͤr das Auge. Er will nicht Land, ſondern Landſchaftgemaͤlde haben. Und dieſe gewinnt er zwar zuweilen durch die zufaͤllige Natur; aber der Geſchmack ſchafft ſie ihm V Band. A a

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/193>, abgerufen am 22.11.2024.