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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Dritter Abschnitt. Gärten
O! stiller See, in dem ich tausendmal
Auroren sah ihr Rosenantlitz spiegeln!
Bethaute Flur, die mich so oft entzückt!
Wann wird von mir dein bunter Schmelz erblickt?
v. Kleist.
Alle Theile, woraus der Dichter dies schöne Landschaftgemälde, den Gegenstand sei-
ner schwermüthigen Zurückerinnerung, zusammengesetzt, gehören vollkommen zu dem
Charakter, wovon wir handeln; und die Natur stellt sie in tausend Gegenden, die
der Kunst bald mehr, bald weniger nachzuarbeiten überlassen, vor unsern Augen auf.
Allein wie unendlich mannigfaltig ist nicht ihre Manier in der Zusammensetzung!
Wie viele Abänderung in der Bildung der kleinen Anhöhen und Vertiefungen! Wie
abwechselnd die Art, wie die Hügel sanft gegen einander aufschwellen, oder wild von
einander abspringen, oder wellenförmig neben einander sich hinschmiegen, oder kühn
über einander aufsteigen und dann wieder zu Thälern herabsinken! Wie mannigfaltig
die Verbindung der Pflanzen, der Sträucher, der Bäume, der Gruppen, der Hayne,
der Wälder, der Wildnisse, der Gewässer unter einander! Welche unzählbare ver-
schiedene Wirkungen des Lichts und Schattens zwischen Höhen und Niedrigungen,
zwischen Bäumen und Wasser, in plötzlichen Begränzungen und in allmäligen Ent-
fernungen! Immer auf die Natur zu schauen, immer so mannigfaltig, so reich, so
neu in der Zusammensetzung zu seyn, als sie, ist hier das vornehmste Gesetz.

Bey einer Anlage vom anmuthigen Charakter wird eine Mischung von mannig-
faltigen Ungleichheiten und Erhebungen des Bodens, von kleinen Hügeln und Thä-
lern *) vorausgesetzt. Und die Kunst ihrer Bearbeitung besteht vornehmlich darinn,
sie zu den veredelten Wirkungen eines harmonischen Gemäldes mit einander zu verbin-
den, sie mit Gruppen von Blumen, von Sträuchern, von Bäumen, mit Haynen
und Lustwäldern zu bepflanzen, mit schönen Rasen zu schmücken, mit laufendem und
fallendem Wasser, mit Brücken und Gebäuden zu beleben. Viel Abwechselung des
Freyen und des Verschlossenen, des Hellen und des Schattigten, viel heitre Durch-
sichten und spielende Wiederscheine, viel feine Malerey der Baumgruppen vom schön-
sten Wuchs und Laubwerk, viel blühende Sträucher und farbigte Blumen, viel Pflan-
zen von süßen Düften, viel Anlockung singender Vögel, viel klares, rinnendes, rie-
selndes und rauschendes Gewässer, viel Mannigfaltigkeit und Reiz der Aussichten in
die Landschaft umher -- gehört in diese Gattung von Zusammensetzung.

Wo
*) S. 2ter B. S. 7.

Dritter Abſchnitt. Gaͤrten
O! ſtiller See, in dem ich tauſendmal
Auroren ſah ihr Roſenantlitz ſpiegeln!
Bethaute Flur, die mich ſo oft entzuͤckt!
Wann wird von mir dein bunter Schmelz erblickt?
v. Kleiſt.
Alle Theile, woraus der Dichter dies ſchoͤne Landſchaftgemaͤlde, den Gegenſtand ſei-
ner ſchwermuͤthigen Zuruͤckerinnerung, zuſammengeſetzt, gehoͤren vollkommen zu dem
Charakter, wovon wir handeln; und die Natur ſtellt ſie in tauſend Gegenden, die
der Kunſt bald mehr, bald weniger nachzuarbeiten uͤberlaſſen, vor unſern Augen auf.
Allein wie unendlich mannigfaltig iſt nicht ihre Manier in der Zuſammenſetzung!
Wie viele Abaͤnderung in der Bildung der kleinen Anhoͤhen und Vertiefungen! Wie
abwechſelnd die Art, wie die Huͤgel ſanft gegen einander aufſchwellen, oder wild von
einander abſpringen, oder wellenfoͤrmig neben einander ſich hinſchmiegen, oder kuͤhn
uͤber einander aufſteigen und dann wieder zu Thaͤlern herabſinken! Wie mannigfaltig
die Verbindung der Pflanzen, der Straͤucher, der Baͤume, der Gruppen, der Hayne,
der Waͤlder, der Wildniſſe, der Gewaͤſſer unter einander! Welche unzaͤhlbare ver-
ſchiedene Wirkungen des Lichts und Schattens zwiſchen Hoͤhen und Niedrigungen,
zwiſchen Baͤumen und Waſſer, in ploͤtzlichen Begraͤnzungen und in allmaͤligen Ent-
fernungen! Immer auf die Natur zu ſchauen, immer ſo mannigfaltig, ſo reich, ſo
neu in der Zuſammenſetzung zu ſeyn, als ſie, iſt hier das vornehmſte Geſetz.

Bey einer Anlage vom anmuthigen Charakter wird eine Miſchung von mannig-
faltigen Ungleichheiten und Erhebungen des Bodens, von kleinen Huͤgeln und Thaͤ-
lern *) vorausgeſetzt. Und die Kunſt ihrer Bearbeitung beſteht vornehmlich darinn,
ſie zu den veredelten Wirkungen eines harmoniſchen Gemaͤldes mit einander zu verbin-
den, ſie mit Gruppen von Blumen, von Straͤuchern, von Baͤumen, mit Haynen
und Luſtwaͤldern zu bepflanzen, mit ſchoͤnen Raſen zu ſchmuͤcken, mit laufendem und
fallendem Waſſer, mit Bruͤcken und Gebaͤuden zu beleben. Viel Abwechſelung des
Freyen und des Verſchloſſenen, des Hellen und des Schattigten, viel heitre Durch-
ſichten und ſpielende Wiederſcheine, viel feine Malerey der Baumgruppen vom ſchoͤn-
ſten Wuchs und Laubwerk, viel bluͤhende Straͤucher und farbigte Blumen, viel Pflan-
zen von ſuͤßen Duͤften, viel Anlockung ſingender Voͤgel, viel klares, rinnendes, rie-
ſelndes und rauſchendes Gewaͤſſer, viel Mannigfaltigkeit und Reiz der Ausſichten in
die Landſchaft umher — gehoͤrt in dieſe Gattung von Zuſammenſetzung.

Wo
*) S. 2ter B. S. 7.
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[40/0044] Dritter Abſchnitt. Gaͤrten O! ſtiller See, in dem ich tauſendmal Auroren ſah ihr Roſenantlitz ſpiegeln! Bethaute Flur, die mich ſo oft entzuͤckt! Wann wird von mir dein bunter Schmelz erblickt? v. Kleiſt. Alle Theile, woraus der Dichter dies ſchoͤne Landſchaftgemaͤlde, den Gegenſtand ſei- ner ſchwermuͤthigen Zuruͤckerinnerung, zuſammengeſetzt, gehoͤren vollkommen zu dem Charakter, wovon wir handeln; und die Natur ſtellt ſie in tauſend Gegenden, die der Kunſt bald mehr, bald weniger nachzuarbeiten uͤberlaſſen, vor unſern Augen auf. Allein wie unendlich mannigfaltig iſt nicht ihre Manier in der Zuſammenſetzung! Wie viele Abaͤnderung in der Bildung der kleinen Anhoͤhen und Vertiefungen! Wie abwechſelnd die Art, wie die Huͤgel ſanft gegen einander aufſchwellen, oder wild von einander abſpringen, oder wellenfoͤrmig neben einander ſich hinſchmiegen, oder kuͤhn uͤber einander aufſteigen und dann wieder zu Thaͤlern herabſinken! Wie mannigfaltig die Verbindung der Pflanzen, der Straͤucher, der Baͤume, der Gruppen, der Hayne, der Waͤlder, der Wildniſſe, der Gewaͤſſer unter einander! Welche unzaͤhlbare ver- ſchiedene Wirkungen des Lichts und Schattens zwiſchen Hoͤhen und Niedrigungen, zwiſchen Baͤumen und Waſſer, in ploͤtzlichen Begraͤnzungen und in allmaͤligen Ent- fernungen! Immer auf die Natur zu ſchauen, immer ſo mannigfaltig, ſo reich, ſo neu in der Zuſammenſetzung zu ſeyn, als ſie, iſt hier das vornehmſte Geſetz. Bey einer Anlage vom anmuthigen Charakter wird eine Miſchung von mannig- faltigen Ungleichheiten und Erhebungen des Bodens, von kleinen Huͤgeln und Thaͤ- lern *) vorausgeſetzt. Und die Kunſt ihrer Bearbeitung beſteht vornehmlich darinn, ſie zu den veredelten Wirkungen eines harmoniſchen Gemaͤldes mit einander zu verbin- den, ſie mit Gruppen von Blumen, von Straͤuchern, von Baͤumen, mit Haynen und Luſtwaͤldern zu bepflanzen, mit ſchoͤnen Raſen zu ſchmuͤcken, mit laufendem und fallendem Waſſer, mit Bruͤcken und Gebaͤuden zu beleben. Viel Abwechſelung des Freyen und des Verſchloſſenen, des Hellen und des Schattigten, viel heitre Durch- ſichten und ſpielende Wiederſcheine, viel feine Malerey der Baumgruppen vom ſchoͤn- ſten Wuchs und Laubwerk, viel bluͤhende Straͤucher und farbigte Blumen, viel Pflan- zen von ſuͤßen Duͤften, viel Anlockung ſingender Voͤgel, viel klares, rinnendes, rie- ſelndes und rauſchendes Gewaͤſſer, viel Mannigfaltigkeit und Reiz der Ausſichten in die Landſchaft umher — gehoͤrt in dieſe Gattung von Zuſammenſetzung. Wo *) S. 2ter B. S. 7.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/44>, abgerufen am 21.11.2024.