Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.Dritter Abschnitt. Gärten Verschönerung die Züge seiner ursprünglichen Wildniß auslösche, und fordert die ihmentrissene Regellosigkeit als sein Eigenthum wieder zurück. Die Gebäude in romantischen Gegenden oder Gärten heischen die meiste Ue- Gebäude, *) S. 3ten B. S. 84-96.
Dritter Abſchnitt. Gaͤrten Verſchoͤnerung die Zuͤge ſeiner urſpruͤnglichen Wildniß ausloͤſche, und fordert die ihmentriſſene Regelloſigkeit als ſein Eigenthum wieder zuruͤck. Die Gebaͤude in romantiſchen Gegenden oder Gaͤrten heiſchen die meiſte Ue- Gebaͤude, *) S. 3ten B. S. 84-96.
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Dritter Abſchnitt. Gaͤrten
Verſchoͤnerung die Zuͤge ſeiner urſpruͤnglichen Wildniß ausloͤſche, und fordert die ihm
entriſſene Regelloſigkeit als ſein Eigenthum wieder zuruͤck.
Die Gebaͤude in romantiſchen Gegenden oder Gaͤrten heiſchen die meiſte Ue-
berlegung und Vorſichtigkeit. Ein feines Luſthaus, ein zierlicher Tempel ſind fuͤr
dieſen Charakter gar nicht anpaſſend, ſo gewoͤhnlich man ſie auch ſieht. In Revie-
ren mit Felſen und Kluͤften ſind Hoͤhlen oder Grotten *) ſehr zuſtimmende Werke.
Allein man kann ihnen noch einen Anſtrich des Wunderbaren mehr geben, indem man
ſie Zauberern, Hexen, Rieſen, Geſpenſtern, Feen und andern Geſchoͤpfen der Phan-
taſie widmet, abentheuerliche Begebenheiten von ihnen verbreitet und in Inſchriften
erzaͤhlt. Die Sage des Volks geht hier als Beyſpiel voran; ſie bewahrt noch in ſo
vielen Laͤndern die Annalen des Aberglaubens. Was ſie von der Teufelsbruͤcke auf
dem St. Gotthardsberge berichtet, iſt bekannt. Bey Kirkby-Lousdale in
Yorkſhire befindet ſich uͤber einen Strom eine merkwuͤrdige Bruͤcke von drey Boͤgen
aus gehauenen Steinen. Man findet von ihrem Alter keine Nachricht. Aber die
Sage des Landvolks erzaͤhlt: „der Teufel habe ſie in einer Nacht im windigten Wet-
ter gebauet; er hatte nur eine Schuͤrze voll Steine dazu, und zum Ungluͤck riß das
Band ſeiner Schuͤrze, als er uͤber einen Berg wegflog, wodurch er viele verlor; ſonſt
wuͤrde die Bruͤcke weit hoͤher geworden ſeyn.“ Die Einbildungskraft, die ſchon durch
den Eindruck der Gegend empoͤrt iſt, ſchweift gern in ſchwaͤrmeriſchen Bildern zuͤgellos
umher, entflammt ſich aus der Erinnerung von hundert Maͤrchen, die einſt die Amme
oder der Kuͤſter erzaͤhlte, verjuͤngt alte Erſcheinungen, wandelt und bildet neue Ge-
ſtalten, und leihet den Scenen einen Schauer, den die Natur und die Vernunft nicht
kennen, und den gleichwohl jene zu veranlaſſen, und dieſe nicht zu verwerfen ſcheint.
Außer den Inſchriften koͤnnen die Zauberhoͤhlen mit phantaſtiſchen Bildern ausgeziert
werden; das Ausſchweifende und Abentheuerliche, das an jedem andern Orte ver-
werflich waͤre, kann hier wahres Eigenthum werden. Man kann ſelbſt Feenpalaͤſte
errichten, ſie dieſer oder jener Feengottheit widmen, ſie mit allem Wunderbaren der
Zeit, woraus ſie entlehnt find, fuͤllen, hier den Orlando des Arioſt, oder Wie-
lands weit mehr zauberiſche Werke, Idris, Amadis, und Oberon, auſſtellen,
die Waͤnde mit Gemaͤlden von Kaͤmpfen der irrenden Ritterſchaft mit Rieſen und
Ungeheuern, von bezauberten Schloͤſſern, von entfuͤhrten Prinzeſſinnen und andern
ſeltſamen Begebenheiten ſchmuͤcken. Alles aber ſey ſorglos, wild und kuͤhn hin-
geworfen; nichts verrathe aͤngſtliches Beſtreben nach Kunſt und Zierlichkeit.
Die Bauart muß ſeltſam, regellos, abweichend von dem gewoͤhnlichen Gepraͤge und
den angenehmen Verhaͤltniſſen der griechiſchen Architectur ſeyn; etwa wie in dieſem
Gebaͤude,
*) S. 3ten B. S. 84-96.
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