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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Dritter Abschnitt. Von Tempeln, Grotten,
gewissem Verstande für uns fremde ist. Allein sie ist seit Jahrhunderten in dem Be-
sitz des Beyfalls der Kenner; ihre Schönheiten sind unzweifelhaft und entschieden;
sie gefallen allen Nationen, sobald sich bey ihnen die Gefühle für das Edle und Große
entwickeln; und nur einer geschmacklosen Rohigkeit der Sitten und einer barbarischen
Prachtliebe gelang es auf einige Zeit, die Empfindlichkeit für ihre stille Einfalt zu er-
sticken. Die Verhältnisse, die Form, die Anordnung, die Verzierung, alles was
zur Schönheit der Architektur gehört, zeigten die Griechen durch Muster, die wir
noch in Ruinen bewundern. Man hat in den neuern Zeiten des reinen Geschmacks
nach ihnen gebauet, wie die Bildhauer nach ihnen geformt, und die Dichter nach
ihnen gesungen haben. Alle Völker, die auf Geschmack Anspruch machen, sehen die
Baukunst der Griechen als ihr Eigenthum an, die uns näher scheinen, weil unter
ihren Denkmälern sich schon die Jugend bildet, und an ihrem Lichte unsere feinern
Wissenschaften und Künste so oft ihre verloschene Fackel wieder anzünden; mit deren
Geist und Tugenden wir in einer Art von vertraulicher Verbindung stehen. Doch
versteht es sich, daß die Nachahmung in keine sclavische Nachfolge übergehen,
und nichts mehr aufnehmen darf, als was nach unserm Klima, nach unserer ver-
änderten Lebensart, und nach unsern verschiedenen Bedürfnissen einer Anwendung fä-
hig ist.

Allein, bald nach der Einführung des neuen Gartengeschmacks, fiel man auf
die Nachahmung so seltener und fremder Bauarten, daß es schien, als wenn sie die
Stelle der abentheuerlichen Wasserkünste, der wasserspeyenden Drachen und Löwen,
der in Alleen aufgestellten Wallfische, die man eben zu verdrängen anfieng, wieder
ersetzen sollten. Die chinesische Baukunst machte den Anfang. Alles sollte a la
chinoise
seyn, Lusthäuser, Tempel, Brücken. Man täuschte sich durch den sonder-
barsten Wahn, daß Gärten in England und Frankreich, blos mit den einheimi-
schen Gewächsen und Bäumen dieser Länder bepflanzt, chinesische Gärten seyn könn-
ten; und wers nicht glauben wollte, der ward auf ein Gebäude verwiesen, das da
stand, und chinesisch hieß. Deutschland fieng an, auch hier der Mode zu folgen,
und wir haben wirklich einige kleinere und größere Gärten voll Spielwerke mit chine-
sischen
Gebäuden, und wenn die Nachäffung sich um einige Grade weiter verbreitet,
so wird bald der beeisete Nord die luftigen Pavillons der heißesten Zone zeigen. Man
fragt vergebens nach einem Grund, weil die Nachäffung keinen Grund kennt; und
nie hat man einen Kenner die Vorzüge der chinesischen Baukunst für unsere Gärten
entwickeln gesehen. Sie ist doch weit von der wahren und edlen Einfalt der griechi-

schen

Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten,
gewiſſem Verſtande fuͤr uns fremde iſt. Allein ſie iſt ſeit Jahrhunderten in dem Be-
ſitz des Beyfalls der Kenner; ihre Schoͤnheiten ſind unzweifelhaft und entſchieden;
ſie gefallen allen Nationen, ſobald ſich bey ihnen die Gefuͤhle fuͤr das Edle und Große
entwickeln; und nur einer geſchmackloſen Rohigkeit der Sitten und einer barbariſchen
Prachtliebe gelang es auf einige Zeit, die Empfindlichkeit fuͤr ihre ſtille Einfalt zu er-
ſticken. Die Verhaͤltniſſe, die Form, die Anordnung, die Verzierung, alles was
zur Schoͤnheit der Architektur gehoͤrt, zeigten die Griechen durch Muſter, die wir
noch in Ruinen bewundern. Man hat in den neuern Zeiten des reinen Geſchmacks
nach ihnen gebauet, wie die Bildhauer nach ihnen geformt, und die Dichter nach
ihnen geſungen haben. Alle Voͤlker, die auf Geſchmack Anſpruch machen, ſehen die
Baukunſt der Griechen als ihr Eigenthum an, die uns naͤher ſcheinen, weil unter
ihren Denkmaͤlern ſich ſchon die Jugend bildet, und an ihrem Lichte unſere feinern
Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ſo oft ihre verloſchene Fackel wieder anzuͤnden; mit deren
Geiſt und Tugenden wir in einer Art von vertraulicher Verbindung ſtehen. Doch
verſteht es ſich, daß die Nachahmung in keine ſclaviſche Nachfolge uͤbergehen,
und nichts mehr aufnehmen darf, als was nach unſerm Klima, nach unſerer ver-
aͤnderten Lebensart, und nach unſern verſchiedenen Beduͤrfniſſen einer Anwendung faͤ-
hig iſt.

Allein, bald nach der Einfuͤhrung des neuen Gartengeſchmacks, fiel man auf
die Nachahmung ſo ſeltener und fremder Bauarten, daß es ſchien, als wenn ſie die
Stelle der abentheuerlichen Waſſerkuͤnſte, der waſſerſpeyenden Drachen und Loͤwen,
der in Alleen aufgeſtellten Wallfiſche, die man eben zu verdraͤngen anfieng, wieder
erſetzen ſollten. Die chineſiſche Baukunſt machte den Anfang. Alles ſollte à la
chinoiſe
ſeyn, Luſthaͤuſer, Tempel, Bruͤcken. Man taͤuſchte ſich durch den ſonder-
barſten Wahn, daß Gaͤrten in England und Frankreich, blos mit den einheimi-
ſchen Gewaͤchſen und Baͤumen dieſer Laͤnder bepflanzt, chineſiſche Gaͤrten ſeyn koͤnn-
ten; und wers nicht glauben wollte, der ward auf ein Gebaͤude verwieſen, das da
ſtand, und chineſiſch hieß. Deutſchland fieng an, auch hier der Mode zu folgen,
und wir haben wirklich einige kleinere und groͤßere Gaͤrten voll Spielwerke mit chine-
ſiſchen
Gebaͤuden, und wenn die Nachaͤffung ſich um einige Grade weiter verbreitet,
ſo wird bald der beeiſete Nord die luftigen Pavillons der heißeſten Zone zeigen. Man
fragt vergebens nach einem Grund, weil die Nachaͤffung keinen Grund kennt; und
nie hat man einen Kenner die Vorzuͤge der chineſiſchen Baukunſt fuͤr unſere Gaͤrten
entwickeln geſehen. Sie iſt doch weit von der wahren und edlen Einfalt der griechi-

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[82/0086] Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten, gewiſſem Verſtande fuͤr uns fremde iſt. Allein ſie iſt ſeit Jahrhunderten in dem Be- ſitz des Beyfalls der Kenner; ihre Schoͤnheiten ſind unzweifelhaft und entſchieden; ſie gefallen allen Nationen, ſobald ſich bey ihnen die Gefuͤhle fuͤr das Edle und Große entwickeln; und nur einer geſchmackloſen Rohigkeit der Sitten und einer barbariſchen Prachtliebe gelang es auf einige Zeit, die Empfindlichkeit fuͤr ihre ſtille Einfalt zu er- ſticken. Die Verhaͤltniſſe, die Form, die Anordnung, die Verzierung, alles was zur Schoͤnheit der Architektur gehoͤrt, zeigten die Griechen durch Muſter, die wir noch in Ruinen bewundern. Man hat in den neuern Zeiten des reinen Geſchmacks nach ihnen gebauet, wie die Bildhauer nach ihnen geformt, und die Dichter nach ihnen geſungen haben. Alle Voͤlker, die auf Geſchmack Anſpruch machen, ſehen die Baukunſt der Griechen als ihr Eigenthum an, die uns naͤher ſcheinen, weil unter ihren Denkmaͤlern ſich ſchon die Jugend bildet, und an ihrem Lichte unſere feinern Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ſo oft ihre verloſchene Fackel wieder anzuͤnden; mit deren Geiſt und Tugenden wir in einer Art von vertraulicher Verbindung ſtehen. Doch verſteht es ſich, daß die Nachahmung in keine ſclaviſche Nachfolge uͤbergehen, und nichts mehr aufnehmen darf, als was nach unſerm Klima, nach unſerer ver- aͤnderten Lebensart, und nach unſern verſchiedenen Beduͤrfniſſen einer Anwendung faͤ- hig iſt. Allein, bald nach der Einfuͤhrung des neuen Gartengeſchmacks, fiel man auf die Nachahmung ſo ſeltener und fremder Bauarten, daß es ſchien, als wenn ſie die Stelle der abentheuerlichen Waſſerkuͤnſte, der waſſerſpeyenden Drachen und Loͤwen, der in Alleen aufgeſtellten Wallfiſche, die man eben zu verdraͤngen anfieng, wieder erſetzen ſollten. Die chineſiſche Baukunſt machte den Anfang. Alles ſollte à la chinoiſe ſeyn, Luſthaͤuſer, Tempel, Bruͤcken. Man taͤuſchte ſich durch den ſonder- barſten Wahn, daß Gaͤrten in England und Frankreich, blos mit den einheimi- ſchen Gewaͤchſen und Baͤumen dieſer Laͤnder bepflanzt, chineſiſche Gaͤrten ſeyn koͤnn- ten; und wers nicht glauben wollte, der ward auf ein Gebaͤude verwieſen, das da ſtand, und chineſiſch hieß. Deutſchland fieng an, auch hier der Mode zu folgen, und wir haben wirklich einige kleinere und groͤßere Gaͤrten voll Spielwerke mit chine- ſiſchen Gebaͤuden, und wenn die Nachaͤffung ſich um einige Grade weiter verbreitet, ſo wird bald der beeiſete Nord die luftigen Pavillons der heißeſten Zone zeigen. Man fragt vergebens nach einem Grund, weil die Nachaͤffung keinen Grund kennt; und nie hat man einen Kenner die Vorzuͤge der chineſiſchen Baukunſt fuͤr unſere Gaͤrten entwickeln geſehen. Sie iſt doch weit von der wahren und edlen Einfalt der griechi- ſchen

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/86>, abgerufen am 22.11.2024.