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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Fünfter Abschnitt.
dige Abwechselung von Prospecten, bis die Küste unweit der Stadt Keswick
flach wird.

Um Keswick recht zu übersehen, muß man auf die hohen Felsen steigen, die
gleich im Anfange beschrieben sind. Man hat einen sehr jähen Weg von anderthalb
(englischen) Meilen zu ersteigen, den man mehr hinaufklettern muß; der Weg gehet
über den Strom, der die zuerst angezeigte Cascade macht. Man sieht und hört in
den Abgründen den Fluß unter sich fortrauschen; zuweilen verbirgt er sich unter
Bäumen und Felsen.

Von hier kriecht man durch ein dickes Gebüsch an den Rand des Felsen, um
den prächtigen Anblick des ganzen Sees mit den darauf liegenden Inseln zu ge-
nießen. Sobald man sich durch das Gebüsche gedrungen hat, wird man plötzlich
aufs angenehmste überrascht und zugleich in Verwunderung gesetzt.

Erreicht man aber die oberste Spitze des Berges, so ist der Anblick in der That
prächtig. Man ist so hoch über den See erhaben, daß er gleichsam in einer andern
Welt zu liegen scheint. Die niedrigen Hügel erheben sich auf eine sehr malerische Art;
die Stadt steckt zwischen lauter Wäldern; und hinter ihr erhebt sich der prächtige
Skiddow.

Begiebt man sich in die Stadt hinab, um auf der andern Seite den Skiddow
zu ersteigen: so hat man zwar fünf (englische) Meilen bis zum Gipfel, aber die Mü-
he wird reichlich belohnt. Der See sieht von der erstaunlichen Höhe als ein mäßi-
ges Wasserbassin aus, und die Inseln schwimmen wie kleine Flecken darauf. Die
unermeßlichen Felsenhügel und Berge, die man übersieht, zeigen die Natur in ihrer
wilden Größe; und diese bewundernswürdigen Massen und Klumpen fallen vornehm-
lich in die Augen. Man entdeckt überdies die Hügel von Schottland, das Meer,
die Insel Man, und entfernte hohe Küsten, außer einem Strich von vielen Mei-
len in England selbst.

Keswick hat so viel Großes, so viel Abwechselung von allem, was die Na-
tur prächtiges darbietet, Wasser, Berge, Felsen, Cascaden, daß es jeden, der
diese Gegend besieht, in Verwunderung setzen muß. Man findet hier den glücklich-
sten Contrast von allen Scenen der Natur. Die Kunst kann nichts mehr thun, da
die Natur alles selbst verrichtet hat. -- Wie viele Mühe und Kosten hat man nicht
angewendet, um manchen Lustschlössern und Landsitzen eine reizende Gestalt zu geben,
und allerley ländliche Scenen dabey anzubringen! Was sind aber alle diese Unter-
nehmungen gegen die Wunder, welche die Natur hier gebildet hat? Was ist alle
Pracht Ludewigs des Großen, in Vergleichung der Spielwerke der Natur, die
Keswick darbietet? Alle Bemühungen der Kunst sind in Absicht auf die Schön-

heiten

Fuͤnfter Abſchnitt.
dige Abwechſelung von Proſpecten, bis die Kuͤſte unweit der Stadt Keswick
flach wird.

Um Keswick recht zu uͤberſehen, muß man auf die hohen Felſen ſteigen, die
gleich im Anfange beſchrieben ſind. Man hat einen ſehr jaͤhen Weg von anderthalb
(engliſchen) Meilen zu erſteigen, den man mehr hinaufklettern muß; der Weg gehet
uͤber den Strom, der die zuerſt angezeigte Caſcade macht. Man ſieht und hoͤrt in
den Abgruͤnden den Fluß unter ſich fortrauſchen; zuweilen verbirgt er ſich unter
Baͤumen und Felſen.

Von hier kriecht man durch ein dickes Gebuͤſch an den Rand des Felſen, um
den praͤchtigen Anblick des ganzen Sees mit den darauf liegenden Inſeln zu ge-
nießen. Sobald man ſich durch das Gebuͤſche gedrungen hat, wird man ploͤtzlich
aufs angenehmſte uͤberraſcht und zugleich in Verwunderung geſetzt.

Erreicht man aber die oberſte Spitze des Berges, ſo iſt der Anblick in der That
praͤchtig. Man iſt ſo hoch uͤber den See erhaben, daß er gleichſam in einer andern
Welt zu liegen ſcheint. Die niedrigen Huͤgel erheben ſich auf eine ſehr maleriſche Art;
die Stadt ſteckt zwiſchen lauter Waͤldern; und hinter ihr erhebt ſich der praͤchtige
Skiddow.

Begiebt man ſich in die Stadt hinab, um auf der andern Seite den Skiddow
zu erſteigen: ſo hat man zwar fuͤnf (engliſche) Meilen bis zum Gipfel, aber die Muͤ-
he wird reichlich belohnt. Der See ſieht von der erſtaunlichen Hoͤhe als ein maͤßi-
ges Waſſerbaſſin aus, und die Inſeln ſchwimmen wie kleine Flecken darauf. Die
unermeßlichen Felſenhuͤgel und Berge, die man uͤberſieht, zeigen die Natur in ihrer
wilden Groͤße; und dieſe bewundernswuͤrdigen Maſſen und Klumpen fallen vornehm-
lich in die Augen. Man entdeckt uͤberdies die Huͤgel von Schottland, das Meer,
die Inſel Man, und entfernte hohe Kuͤſten, außer einem Strich von vielen Mei-
len in England ſelbſt.

Keswick hat ſo viel Großes, ſo viel Abwechſelung von allem, was die Na-
tur praͤchtiges darbietet, Waſſer, Berge, Felſen, Caſcaden, daß es jeden, der
dieſe Gegend beſieht, in Verwunderung ſetzen muß. Man findet hier den gluͤcklich-
ſten Contraſt von allen Scenen der Natur. Die Kunſt kann nichts mehr thun, da
die Natur alles ſelbſt verrichtet hat. — Wie viele Muͤhe und Koſten hat man nicht
angewendet, um manchen Luſtſchloͤſſern und Landſitzen eine reizende Geſtalt zu geben,
und allerley laͤndliche Scenen dabey anzubringen! Was ſind aber alle dieſe Unter-
nehmungen gegen die Wunder, welche die Natur hier gebildet hat? Was iſt alle
Pracht Ludewigs des Großen, in Vergleichung der Spielwerke der Natur, die
Keswick darbietet? Alle Bemuͤhungen der Kunſt ſind in Abſicht auf die Schoͤn-

heiten
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[94/0098] Fuͤnfter Abſchnitt. dige Abwechſelung von Proſpecten, bis die Kuͤſte unweit der Stadt Keswick flach wird. Um Keswick recht zu uͤberſehen, muß man auf die hohen Felſen ſteigen, die gleich im Anfange beſchrieben ſind. Man hat einen ſehr jaͤhen Weg von anderthalb (engliſchen) Meilen zu erſteigen, den man mehr hinaufklettern muß; der Weg gehet uͤber den Strom, der die zuerſt angezeigte Caſcade macht. Man ſieht und hoͤrt in den Abgruͤnden den Fluß unter ſich fortrauſchen; zuweilen verbirgt er ſich unter Baͤumen und Felſen. Von hier kriecht man durch ein dickes Gebuͤſch an den Rand des Felſen, um den praͤchtigen Anblick des ganzen Sees mit den darauf liegenden Inſeln zu ge- nießen. Sobald man ſich durch das Gebuͤſche gedrungen hat, wird man ploͤtzlich aufs angenehmſte uͤberraſcht und zugleich in Verwunderung geſetzt. Erreicht man aber die oberſte Spitze des Berges, ſo iſt der Anblick in der That praͤchtig. Man iſt ſo hoch uͤber den See erhaben, daß er gleichſam in einer andern Welt zu liegen ſcheint. Die niedrigen Huͤgel erheben ſich auf eine ſehr maleriſche Art; die Stadt ſteckt zwiſchen lauter Waͤldern; und hinter ihr erhebt ſich der praͤchtige Skiddow. Begiebt man ſich in die Stadt hinab, um auf der andern Seite den Skiddow zu erſteigen: ſo hat man zwar fuͤnf (engliſche) Meilen bis zum Gipfel, aber die Muͤ- he wird reichlich belohnt. Der See ſieht von der erſtaunlichen Hoͤhe als ein maͤßi- ges Waſſerbaſſin aus, und die Inſeln ſchwimmen wie kleine Flecken darauf. Die unermeßlichen Felſenhuͤgel und Berge, die man uͤberſieht, zeigen die Natur in ihrer wilden Groͤße; und dieſe bewundernswuͤrdigen Maſſen und Klumpen fallen vornehm- lich in die Augen. Man entdeckt uͤberdies die Huͤgel von Schottland, das Meer, die Inſel Man, und entfernte hohe Kuͤſten, außer einem Strich von vielen Mei- len in England ſelbſt. Keswick hat ſo viel Großes, ſo viel Abwechſelung von allem, was die Na- tur praͤchtiges darbietet, Waſſer, Berge, Felſen, Caſcaden, daß es jeden, der dieſe Gegend beſieht, in Verwunderung ſetzen muß. Man findet hier den gluͤcklich- ſten Contraſt von allen Scenen der Natur. Die Kunſt kann nichts mehr thun, da die Natur alles ſelbſt verrichtet hat. — Wie viele Muͤhe und Koſten hat man nicht angewendet, um manchen Luſtſchloͤſſern und Landſitzen eine reizende Geſtalt zu geben, und allerley laͤndliche Scenen dabey anzubringen! Was ſind aber alle dieſe Unter- nehmungen gegen die Wunder, welche die Natur hier gebildet hat? Was iſt alle Pracht Ludewigs des Großen, in Vergleichung der Spielwerke der Natur, die Keswick darbietet? Alle Bemuͤhungen der Kunſt ſind in Abſicht auf die Schoͤn- heiten

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/98>, abgerufen am 24.11.2024.