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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Dritter Abschnitt.

Andere steigende und rankende Blumen mögen hier an Wände und Fenster hin-
aufklettern, mit stiller Freundlichkeit hineinschauen, oder vom Hauch des Zephirs be-
lebt ein liebliches Spiel des Licht und Schattens beginnen.

Da, wo der Mensch ruhet, wo er sich dem Genuß seiner Gedanken und Phan-
tasien übergiebt, wo er lieber fühlt als betrachtet, da sollen die wohlriechenden Blu-
mengeschlechter den Kelch ihrer süßen, gewürzhaften, erquickenden Düfte eröffnen, und
seine Empfindung von der Wollust der Schöpfung durch die Befriedigung eines neuen
Sinns erhöhen. Um Ruheplätze und Schlafgemächer, um Studierkabinette, um
Speisesäle, um Bäder, verbreite sich der Wohlgeruch der Märzviole, der Mayblume,
der Matronalviole, der Nachtviole, der gelben Viole oder Goldenlack, der Levkoyen,
der Monarden, der weißen Narcisse, der weißen Lilie, der Hyacinthe, der Nelke,
der Mignotte oder ägyptischen Resede, der Tuberose, der Tazette, der Jonquille u. s. w.
Der Genuß dieser Wohlgerüche breitet auf eine unbeschreibliche Art eine gewisse Erqui-
ckung und Milde über das ganze Inwendige des Menschen aus, Ruhe der Seele und
sanfterwärmende Behagung.

Außerdem sind Blumen ein treffliches Mittel, die Seiten der Lusthaine, der
Gebüsche, der Wiesen, der Spazierwege einzufassen und zu verschönern. Andre, als
die Fritillaria oder Schachblume, die Orchis oder Stendelwurz, die Marienblümchen,
die wilde Narcisse, ergötzen, indem sie im Grase und auf den Rasen zerstreut werden.

Das schönste Schauspiel geben die Blumen, besonders die sich durch die Helle
und Lebhaftigkeit ihrer Farben und durch eine gewisse Höhe des Wuchses auszeichnen,
wenn sie mitten unter dem Grase und wilden Kräutern die Ufer der Bäche und anderer
Gewässer bekränzen. Der Widerschein im Wasser und die spielende Bewegung, die
hier verdoppelt wird, giebt dieser Scene, die schon an sich ganz Natur ist, eine neue
Schönheit. Welcher Reiz für das Auge, wenn wir an den Ufern eines Baches hin-
schleichen, und Feuerlilien, Kaiserkronen, Irisse, Schwerdtlilien, orientalischen Was-
serpfeffer, Krullien, Narcißlilien, Fingerhut, Wasserhyacinthe, Weiderich, india-
nisches Blumenrohr u. a. ihre mannichfaltige Farben durch einander in der hellen
Fluth spiegeln sehen! Wenn man doch einigen Aufwand auf Blumen machen kann,
so verdient ihn gewiß eine solche Scene; sie belohnt mit einem weit größern Vergnügen,
als die Aufbewahrung seltener und kränkelnder Pflanzen in einem kostbaren Gewächshause.

Noch ein anderer guter Gebrauch der Blumen ist die Bekleidung kleiner Hügel
und Anhöhen, die oft keine andere Verzierung vertragen. Dies kann Veranlassung
zu besondern Blumenscenen geben, zumal wenn man die Lage nach der Morgenseite
wählen kann. Nichts erhebt mehr den Glanz und die Pracht der Blumenfarben,
als das Morgenlicht. Der milde Stral, der das Auge des Beobachters nicht beschwert,
das sanft erwärmende aufschließende Feuer, die Spiele des schrägfallenden Lichts, die

Tropfen
Dritter Abſchnitt.

Andere ſteigende und rankende Blumen moͤgen hier an Waͤnde und Fenſter hin-
aufklettern, mit ſtiller Freundlichkeit hineinſchauen, oder vom Hauch des Zephirs be-
lebt ein liebliches Spiel des Licht und Schattens beginnen.

Da, wo der Menſch ruhet, wo er ſich dem Genuß ſeiner Gedanken und Phan-
taſien uͤbergiebt, wo er lieber fuͤhlt als betrachtet, da ſollen die wohlriechenden Blu-
mengeſchlechter den Kelch ihrer ſuͤßen, gewuͤrzhaften, erquickenden Duͤfte eroͤffnen, und
ſeine Empfindung von der Wolluſt der Schoͤpfung durch die Befriedigung eines neuen
Sinns erhoͤhen. Um Ruheplaͤtze und Schlafgemaͤcher, um Studierkabinette, um
Speiſeſaͤle, um Baͤder, verbreite ſich der Wohlgeruch der Maͤrzviole, der Mayblume,
der Matronalviole, der Nachtviole, der gelben Viole oder Goldenlack, der Levkoyen,
der Monarden, der weißen Narciſſe, der weißen Lilie, der Hyacinthe, der Nelke,
der Mignotte oder aͤgyptiſchen Reſede, der Tuberoſe, der Tazette, der Jonquille u. ſ. w.
Der Genuß dieſer Wohlgeruͤche breitet auf eine unbeſchreibliche Art eine gewiſſe Erqui-
ckung und Milde uͤber das ganze Inwendige des Menſchen aus, Ruhe der Seele und
ſanfterwaͤrmende Behagung.

Außerdem ſind Blumen ein treffliches Mittel, die Seiten der Luſthaine, der
Gebuͤſche, der Wieſen, der Spazierwege einzufaſſen und zu verſchoͤnern. Andre, als
die Fritillaria oder Schachblume, die Orchis oder Stendelwurz, die Marienbluͤmchen,
die wilde Narciſſe, ergoͤtzen, indem ſie im Graſe und auf den Raſen zerſtreut werden.

Das ſchoͤnſte Schauſpiel geben die Blumen, beſonders die ſich durch die Helle
und Lebhaftigkeit ihrer Farben und durch eine gewiſſe Hoͤhe des Wuchſes auszeichnen,
wenn ſie mitten unter dem Graſe und wilden Kraͤutern die Ufer der Baͤche und anderer
Gewaͤſſer bekraͤnzen. Der Widerſchein im Waſſer und die ſpielende Bewegung, die
hier verdoppelt wird, giebt dieſer Scene, die ſchon an ſich ganz Natur iſt, eine neue
Schoͤnheit. Welcher Reiz fuͤr das Auge, wenn wir an den Ufern eines Baches hin-
ſchleichen, und Feuerlilien, Kaiſerkronen, Iriſſe, Schwerdtlilien, orientaliſchen Waſ-
ſerpfeffer, Krullien, Narcißlilien, Fingerhut, Waſſerhyacinthe, Weiderich, india-
niſches Blumenrohr u. a. ihre mannichfaltige Farben durch einander in der hellen
Fluth ſpiegeln ſehen! Wenn man doch einigen Aufwand auf Blumen machen kann,
ſo verdient ihn gewiß eine ſolche Scene; ſie belohnt mit einem weit groͤßern Vergnuͤgen,
als die Aufbewahrung ſeltener und kraͤnkelnder Pflanzen in einem koſtbaren Gewaͤchshauſe.

Noch ein anderer guter Gebrauch der Blumen iſt die Bekleidung kleiner Huͤgel
und Anhoͤhen, die oft keine andere Verzierung vertragen. Dies kann Veranlaſſung
zu beſondern Blumenſcenen geben, zumal wenn man die Lage nach der Morgenſeite
waͤhlen kann. Nichts erhebt mehr den Glanz und die Pracht der Blumenfarben,
als das Morgenlicht. Der milde Stral, der das Auge des Beobachters nicht beſchwert,
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[78/0082] Dritter Abſchnitt. Andere ſteigende und rankende Blumen moͤgen hier an Waͤnde und Fenſter hin- aufklettern, mit ſtiller Freundlichkeit hineinſchauen, oder vom Hauch des Zephirs be- lebt ein liebliches Spiel des Licht und Schattens beginnen. Da, wo der Menſch ruhet, wo er ſich dem Genuß ſeiner Gedanken und Phan- taſien uͤbergiebt, wo er lieber fuͤhlt als betrachtet, da ſollen die wohlriechenden Blu- mengeſchlechter den Kelch ihrer ſuͤßen, gewuͤrzhaften, erquickenden Duͤfte eroͤffnen, und ſeine Empfindung von der Wolluſt der Schoͤpfung durch die Befriedigung eines neuen Sinns erhoͤhen. Um Ruheplaͤtze und Schlafgemaͤcher, um Studierkabinette, um Speiſeſaͤle, um Baͤder, verbreite ſich der Wohlgeruch der Maͤrzviole, der Mayblume, der Matronalviole, der Nachtviole, der gelben Viole oder Goldenlack, der Levkoyen, der Monarden, der weißen Narciſſe, der weißen Lilie, der Hyacinthe, der Nelke, der Mignotte oder aͤgyptiſchen Reſede, der Tuberoſe, der Tazette, der Jonquille u. ſ. w. Der Genuß dieſer Wohlgeruͤche breitet auf eine unbeſchreibliche Art eine gewiſſe Erqui- ckung und Milde uͤber das ganze Inwendige des Menſchen aus, Ruhe der Seele und ſanfterwaͤrmende Behagung. Außerdem ſind Blumen ein treffliches Mittel, die Seiten der Luſthaine, der Gebuͤſche, der Wieſen, der Spazierwege einzufaſſen und zu verſchoͤnern. Andre, als die Fritillaria oder Schachblume, die Orchis oder Stendelwurz, die Marienbluͤmchen, die wilde Narciſſe, ergoͤtzen, indem ſie im Graſe und auf den Raſen zerſtreut werden. Das ſchoͤnſte Schauſpiel geben die Blumen, beſonders die ſich durch die Helle und Lebhaftigkeit ihrer Farben und durch eine gewiſſe Hoͤhe des Wuchſes auszeichnen, wenn ſie mitten unter dem Graſe und wilden Kraͤutern die Ufer der Baͤche und anderer Gewaͤſſer bekraͤnzen. Der Widerſchein im Waſſer und die ſpielende Bewegung, die hier verdoppelt wird, giebt dieſer Scene, die ſchon an ſich ganz Natur iſt, eine neue Schoͤnheit. Welcher Reiz fuͤr das Auge, wenn wir an den Ufern eines Baches hin- ſchleichen, und Feuerlilien, Kaiſerkronen, Iriſſe, Schwerdtlilien, orientaliſchen Waſ- ſerpfeffer, Krullien, Narcißlilien, Fingerhut, Waſſerhyacinthe, Weiderich, india- niſches Blumenrohr u. a. ihre mannichfaltige Farben durch einander in der hellen Fluth ſpiegeln ſehen! Wenn man doch einigen Aufwand auf Blumen machen kann, ſo verdient ihn gewiß eine ſolche Scene; ſie belohnt mit einem weit groͤßern Vergnuͤgen, als die Aufbewahrung ſeltener und kraͤnkelnder Pflanzen in einem koſtbaren Gewaͤchshauſe. Noch ein anderer guter Gebrauch der Blumen iſt die Bekleidung kleiner Huͤgel und Anhoͤhen, die oft keine andere Verzierung vertragen. Dies kann Veranlaſſung zu beſondern Blumenſcenen geben, zumal wenn man die Lage nach der Morgenſeite waͤhlen kann. Nichts erhebt mehr den Glanz und die Pracht der Blumenfarben, als das Morgenlicht. Der milde Stral, der das Auge des Beobachters nicht beſchwert, das ſanft erwaͤrmende aufſchließende Feuer, die Spiele des ſchraͤgfallenden Lichts, die Tropfen

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/82>, abgerufen am 05.12.2024.