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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Zweyter Abschnitt.
Dunkelheit, das feyerliche Rauschen der Gipfel in den Wolken, hatten, bey allem Man-
gel des Geschmacks, bey aller Rohigkeit der Sitten, doch eine mächtige Wirkung,
welcher ihre starken Herzen nicht widerstehen konnten. Und diese Wirkung kann noch
mit Ueberlegung und Geschmack zu edlen Absichten erhalten werden. Eine waldigte
Verdunkelung, wohin wir treten, ist schon Veranlassung zur Ruhe aller Sinne. Un-
sre Seele wird auf einmal in eine Lage gesetzt, die ihre Thätigkeit auf sie selbst zurück-
zieht; sie fängt bald an, sich mit sich selbst zu beschäftigen, ihren Phantasien nachzu-
hängen, alte Ideen zurückzurufen, und neue zu schaffen. Die geheimnißvolle Dun-
kelheit, die tiefe Einsamkeit und feyerliche Ruhe, die großen Gegenstände der Natur
unterlassen nicht, die Seele in dieser Verfassung mächtig zu rühren, Bewegungen,
die der Beschaffenheit der äußern Vorwürfe gemäß sind, hervorzubringen, und ihre
Wirkung selbst bis auf die feinsten Betrachtungen des Geistes auszubreiten. Und
diese vorbereitende Empfindungen, diese heilige Schauer schicken sich sehr wohl zu
den erhabenen Bewegungen, welche die Vorstellung und Anbetung des höchsten We-
sens, die Betrachtung seiner Größe und unserer Unterwürfigkeit, das Gefühl seiner
Wohlthaten und die triumphvolle Aussicht in eine Welt, die über die gegenwärtige
ist, hervorbringen.

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Die reiche Mannichfaltigkeit der Anlagen mit Baumwerk, die wir bisher auf un-
serm Wege wahrgenommen haben, kann noch durch Geschmack und Erfindungsgeist sehr
beträchtliche Erweiterung gewinnen. Und wie viel Abwechselung von Scenen und Ergö-
tzungen hätte man nicht dadurch den Gärten geben können! Allein die alte Kunst, die an

der

Zweyter Abſchnitt.
Dunkelheit, das feyerliche Rauſchen der Gipfel in den Wolken, hatten, bey allem Man-
gel des Geſchmacks, bey aller Rohigkeit der Sitten, doch eine maͤchtige Wirkung,
welcher ihre ſtarken Herzen nicht widerſtehen konnten. Und dieſe Wirkung kann noch
mit Ueberlegung und Geſchmack zu edlen Abſichten erhalten werden. Eine waldigte
Verdunkelung, wohin wir treten, iſt ſchon Veranlaſſung zur Ruhe aller Sinne. Un-
ſre Seele wird auf einmal in eine Lage geſetzt, die ihre Thaͤtigkeit auf ſie ſelbſt zuruͤck-
zieht; ſie faͤngt bald an, ſich mit ſich ſelbſt zu beſchaͤftigen, ihren Phantaſien nachzu-
haͤngen, alte Ideen zuruͤckzurufen, und neue zu ſchaffen. Die geheimnißvolle Dun-
kelheit, die tiefe Einſamkeit und feyerliche Ruhe, die großen Gegenſtaͤnde der Natur
unterlaſſen nicht, die Seele in dieſer Verfaſſung maͤchtig zu ruͤhren, Bewegungen,
die der Beſchaffenheit der aͤußern Vorwuͤrfe gemaͤß ſind, hervorzubringen, und ihre
Wirkung ſelbſt bis auf die feinſten Betrachtungen des Geiſtes auszubreiten. Und
dieſe vorbereitende Empfindungen, dieſe heilige Schauer ſchicken ſich ſehr wohl zu
den erhabenen Bewegungen, welche die Vorſtellung und Anbetung des hoͤchſten We-
ſens, die Betrachtung ſeiner Groͤße und unſerer Unterwuͤrfigkeit, das Gefuͤhl ſeiner
Wohlthaten und die triumphvolle Ausſicht in eine Welt, die uͤber die gegenwaͤrtige
iſt, hervorbringen.

[Abbildung]

Die reiche Mannichfaltigkeit der Anlagen mit Baumwerk, die wir bisher auf un-
ſerm Wege wahrgenommen haben, kann noch durch Geſchmack und Erfindungsgeiſt ſehr
betraͤchtliche Erweiterung gewinnen. Und wie viel Abwechſelung von Scenen und Ergoͤ-
tzungen haͤtte man nicht dadurch den Gaͤrten geben koͤnnen! Allein die alte Kunſt, die an

der
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[62/0066] Zweyter Abſchnitt. Dunkelheit, das feyerliche Rauſchen der Gipfel in den Wolken, hatten, bey allem Man- gel des Geſchmacks, bey aller Rohigkeit der Sitten, doch eine maͤchtige Wirkung, welcher ihre ſtarken Herzen nicht widerſtehen konnten. Und dieſe Wirkung kann noch mit Ueberlegung und Geſchmack zu edlen Abſichten erhalten werden. Eine waldigte Verdunkelung, wohin wir treten, iſt ſchon Veranlaſſung zur Ruhe aller Sinne. Un- ſre Seele wird auf einmal in eine Lage geſetzt, die ihre Thaͤtigkeit auf ſie ſelbſt zuruͤck- zieht; ſie faͤngt bald an, ſich mit ſich ſelbſt zu beſchaͤftigen, ihren Phantaſien nachzu- haͤngen, alte Ideen zuruͤckzurufen, und neue zu ſchaffen. Die geheimnißvolle Dun- kelheit, die tiefe Einſamkeit und feyerliche Ruhe, die großen Gegenſtaͤnde der Natur unterlaſſen nicht, die Seele in dieſer Verfaſſung maͤchtig zu ruͤhren, Bewegungen, die der Beſchaffenheit der aͤußern Vorwuͤrfe gemaͤß ſind, hervorzubringen, und ihre Wirkung ſelbſt bis auf die feinſten Betrachtungen des Geiſtes auszubreiten. Und dieſe vorbereitende Empfindungen, dieſe heilige Schauer ſchicken ſich ſehr wohl zu den erhabenen Bewegungen, welche die Vorſtellung und Anbetung des hoͤchſten We- ſens, die Betrachtung ſeiner Groͤße und unſerer Unterwuͤrfigkeit, das Gefuͤhl ſeiner Wohlthaten und die triumphvolle Ausſicht in eine Welt, die uͤber die gegenwaͤrtige iſt, hervorbringen. [Abbildung] Die reiche Mannichfaltigkeit der Anlagen mit Baumwerk, die wir bisher auf un- ſerm Wege wahrgenommen haben, kann noch durch Geſchmack und Erfindungsgeiſt ſehr betraͤchtliche Erweiterung gewinnen. Und wie viel Abwechſelung von Scenen und Ergoͤ- tzungen haͤtte man nicht dadurch den Gaͤrten geben koͤnnen! Allein die alte Kunſt, die an der

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/66>, abgerufen am 24.11.2024.