Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Beschreibungen von Gärten.
Aufenthalt zu bezeigen schienen. Wo ich mich hinwandte, da lächelte mich die
Natur an. Mir deuchte, ich sähe sie auf jedem Parterre, auf jeder Gruppe von
Bäumen, und auf jeder glatt abgeschornen Wildbahn schweben. Die Verzierun-
gen verdienten nicht weniger Beyfall, weil sie dem Orte so angemessen sind. Hier
bewunderte ich eine mit vielen Figuren gezierte vortreffliche Vase; dort stand in ei-
nem Klumpen niederhängender Lerchenbäume die Schutzgöttinn dieser Scene, eine
Flora, in einer artigen Stellung. Ihr Haar war mit Rosen umflochten, und in
der ausgestreckten Hand hielt sie einen Strauß von Jasminen und Geisblättern.
Ich näherte mich ehrfurchtsvoll dieser Göttinn, als der Beschützerinn alles dessen,
wovon ich ein so großer Verehrer bin, und machte ihr, wie ein Enthusiast dem
Bilde seines Schutzheiligen, eine tiefe Verbeugung.

Was meynen Sie aber, wenn Sie, anstatt dieser leblosen Statue, eine le-
bendige Schönheit in diesem elysischen Aufenthalte sähen? Glauben Sie nicht,
wenn ein junges blühendes Mädchen, wie Maria -- -- in arkadischem Ge-
wande, von einem schönen Wuchse, von lebhafter Farbe und einem gefälligen An-
stande; wenn sie mit einem bezaubernden Blicke Vergnügen und Liebe um sich her
verbreitet, wenn sie die Laute zu ihrer sanften melodischen Stimme spielt, daß die-
ses eine weit empfindsamere Wirkung auf Sie hervorbringen würde, als der unbe-
seelte Marmor? -- Sie lächeln. -- Aber ich nehme es auf mich, in Ihrem
und meinem Namen zu entscheiden. Ich wette, wenn dies liebenswürdige Mäd-
chen von einem Gange in den andern gienge, wir würden beyde wie bezaubert und
voll Bewunderung da stehen, und für keinen andern Gegenstand Augen haben.

Ich kann die reizenden Gänge von Envil nicht verlassen, ohne zu erinnern,
daß sie so weitläuftig und so unterhaltend sind, daß ein Tag zu wenig ist, um alles
recht zu genießen. Man kann außen um die ganze Anlage herum reiten; und zum
Behuf derer, die fahren wollen, ist auch ein Weg gemacht. Dies mag einigen
gefallen, und der edle Besitzer erlaubt es denen, die es thun wollen, sehr gern.
Aber für Personen von Geschmack ist diese Freyheit von geringem Werthe. Sie
lassen sich mitten unter so vielen Schönheiten in kein ängstliches Fuhrwerk einker-
kern, da die Scene sich mit jedem Schritte ändert, und jede Abwechselung im
Stande ist, ihnen so viel neues Vergnügen zu machen.

Man kann in der That Plätzen, darüber Natur und Geschmack so viel An-
nehmlichkeiten verbreitet haben, nicht Aufmerksamkeit genug schenken. Es giebt
im Walde noch viele Nebenstellen, von denen man eben solche schöne Aussichten
von Landschaften hat, als auf den Bänken, wohin der Weg leitet, wie diejeni-
gen leicht bemerken werden, die bey Annäherung eines steilen Hügels nicht seuf-

zen,

Beſchreibungen von Gaͤrten.
Aufenthalt zu bezeigen ſchienen. Wo ich mich hinwandte, da laͤchelte mich die
Natur an. Mir deuchte, ich ſaͤhe ſie auf jedem Parterre, auf jeder Gruppe von
Baͤumen, und auf jeder glatt abgeſchornen Wildbahn ſchweben. Die Verzierun-
gen verdienten nicht weniger Beyfall, weil ſie dem Orte ſo angemeſſen ſind. Hier
bewunderte ich eine mit vielen Figuren gezierte vortreffliche Vaſe; dort ſtand in ei-
nem Klumpen niederhaͤngender Lerchenbaͤume die Schutzgoͤttinn dieſer Scene, eine
Flora, in einer artigen Stellung. Ihr Haar war mit Roſen umflochten, und in
der ausgeſtreckten Hand hielt ſie einen Strauß von Jaſminen und Geisblaͤttern.
Ich naͤherte mich ehrfurchtsvoll dieſer Goͤttinn, als der Beſchuͤtzerinn alles deſſen,
wovon ich ein ſo großer Verehrer bin, und machte ihr, wie ein Enthuſiaſt dem
Bilde ſeines Schutzheiligen, eine tiefe Verbeugung.

Was meynen Sie aber, wenn Sie, anſtatt dieſer lebloſen Statue, eine le-
bendige Schoͤnheit in dieſem elyſiſchen Aufenthalte ſaͤhen? Glauben Sie nicht,
wenn ein junges bluͤhendes Maͤdchen, wie Maria — — in arkadiſchem Ge-
wande, von einem ſchoͤnen Wuchſe, von lebhafter Farbe und einem gefaͤlligen An-
ſtande; wenn ſie mit einem bezaubernden Blicke Vergnuͤgen und Liebe um ſich her
verbreitet, wenn ſie die Laute zu ihrer ſanften melodiſchen Stimme ſpielt, daß die-
ſes eine weit empfindſamere Wirkung auf Sie hervorbringen wuͤrde, als der unbe-
ſeelte Marmor? — Sie laͤcheln. — Aber ich nehme es auf mich, in Ihrem
und meinem Namen zu entſcheiden. Ich wette, wenn dies liebenswuͤrdige Maͤd-
chen von einem Gange in den andern gienge, wir wuͤrden beyde wie bezaubert und
voll Bewunderung da ſtehen, und fuͤr keinen andern Gegenſtand Augen haben.

Ich kann die reizenden Gaͤnge von Envil nicht verlaſſen, ohne zu erinnern,
daß ſie ſo weitlaͤuftig und ſo unterhaltend ſind, daß ein Tag zu wenig iſt, um alles
recht zu genießen. Man kann außen um die ganze Anlage herum reiten; und zum
Behuf derer, die fahren wollen, iſt auch ein Weg gemacht. Dies mag einigen
gefallen, und der edle Beſitzer erlaubt es denen, die es thun wollen, ſehr gern.
Aber fuͤr Perſonen von Geſchmack iſt dieſe Freyheit von geringem Werthe. Sie
laſſen ſich mitten unter ſo vielen Schoͤnheiten in kein aͤngſtliches Fuhrwerk einker-
kern, da die Scene ſich mit jedem Schritte aͤndert, und jede Abwechſelung im
Stande iſt, ihnen ſo viel neues Vergnuͤgen zu machen.

Man kann in der That Plaͤtzen, daruͤber Natur und Geſchmack ſo viel An-
nehmlichkeiten verbreitet haben, nicht Aufmerkſamkeit genug ſchenken. Es giebt
im Walde noch viele Nebenſtellen, von denen man eben ſolche ſchoͤne Ausſichten
von Landſchaften hat, als auf den Baͤnken, wohin der Weg leitet, wie diejeni-
gen leicht bemerken werden, die bey Annaͤherung eines ſteilen Huͤgels nicht ſeuf-

zen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0177" n="173"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Be&#x017F;chreibungen von Ga&#x0364;rten.</hi></fw><lb/>
Aufenthalt zu bezeigen &#x017F;chienen. Wo ich mich hinwandte, da la&#x0364;chelte mich die<lb/>
Natur an. Mir deuchte, ich &#x017F;a&#x0364;he &#x017F;ie auf jedem Parterre, auf jeder Gruppe von<lb/>
Ba&#x0364;umen, und auf jeder glatt abge&#x017F;chornen Wildbahn &#x017F;chweben. Die Verzierun-<lb/>
gen verdienten nicht weniger Beyfall, weil &#x017F;ie dem Orte &#x017F;o angeme&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind. Hier<lb/>
bewunderte ich eine mit vielen Figuren gezierte vortreffliche Va&#x017F;e; dort &#x017F;tand in ei-<lb/>
nem Klumpen niederha&#x0364;ngender Lerchenba&#x0364;ume die Schutzgo&#x0364;ttinn die&#x017F;er Scene, eine<lb/>
Flora, in einer artigen Stellung. Ihr Haar war mit Ro&#x017F;en umflochten, und in<lb/>
der ausge&#x017F;treckten Hand hielt &#x017F;ie einen Strauß von Ja&#x017F;minen und Geisbla&#x0364;ttern.<lb/>
Ich na&#x0364;herte mich ehrfurchtsvoll die&#x017F;er Go&#x0364;ttinn, als der Be&#x017F;chu&#x0364;tzerinn alles de&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wovon ich ein &#x017F;o großer Verehrer bin, und machte ihr, wie ein Enthu&#x017F;ia&#x017F;t dem<lb/>
Bilde &#x017F;eines Schutzheiligen, eine tiefe Verbeugung.</p><lb/>
        <p>Was meynen Sie aber, wenn Sie, an&#x017F;tatt die&#x017F;er leblo&#x017F;en Statue, eine le-<lb/>
bendige Scho&#x0364;nheit in die&#x017F;em <hi rendition="#fr">ely&#x017F;i&#x017F;chen</hi> Aufenthalte &#x017F;a&#x0364;hen? Glauben Sie nicht,<lb/>
wenn ein junges blu&#x0364;hendes Ma&#x0364;dchen, wie <hi rendition="#fr">Maria</hi> &#x2014; &#x2014; in <hi rendition="#fr">arkadi&#x017F;chem</hi> Ge-<lb/>
wande, von einem &#x017F;cho&#x0364;nen Wuch&#x017F;e, von lebhafter Farbe und einem gefa&#x0364;lligen An-<lb/>
&#x017F;tande; wenn &#x017F;ie mit einem bezaubernden Blicke Vergnu&#x0364;gen und Liebe um &#x017F;ich her<lb/>
verbreitet, wenn &#x017F;ie die Laute zu ihrer &#x017F;anften melodi&#x017F;chen Stimme &#x017F;pielt, daß die-<lb/>
&#x017F;es eine weit empfind&#x017F;amere Wirkung auf Sie hervorbringen wu&#x0364;rde, als der unbe-<lb/>
&#x017F;eelte Marmor? &#x2014; Sie la&#x0364;cheln. &#x2014; Aber ich nehme es auf mich, in Ihrem<lb/>
und meinem Namen zu ent&#x017F;cheiden. Ich wette, wenn dies liebenswu&#x0364;rdige Ma&#x0364;d-<lb/>
chen von einem Gange in den andern gienge, wir wu&#x0364;rden beyde wie bezaubert und<lb/>
voll Bewunderung da &#x017F;tehen, und fu&#x0364;r keinen andern Gegen&#x017F;tand Augen haben.</p><lb/>
        <p>Ich kann die reizenden Ga&#x0364;nge von <hi rendition="#fr">Envil</hi> nicht verla&#x017F;&#x017F;en, ohne zu erinnern,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;o weitla&#x0364;uftig und &#x017F;o unterhaltend &#x017F;ind, daß ein Tag zu wenig i&#x017F;t, um alles<lb/>
recht zu genießen. Man kann außen um die ganze Anlage herum reiten; und zum<lb/><hi rendition="#fr">Behuf</hi> derer, die fahren wollen, i&#x017F;t auch ein Weg gemacht. Dies mag einigen<lb/>
gefallen, und der edle Be&#x017F;itzer erlaubt es denen, die es thun wollen, &#x017F;ehr gern.<lb/>
Aber fu&#x0364;r Per&#x017F;onen von Ge&#x017F;chmack i&#x017F;t die&#x017F;e Freyheit von geringem Werthe. Sie<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich mitten unter &#x017F;o vielen Scho&#x0364;nheiten in kein a&#x0364;ng&#x017F;tliches Fuhrwerk einker-<lb/>
kern, da die Scene &#x017F;ich mit jedem Schritte a&#x0364;ndert, und jede Abwech&#x017F;elung im<lb/>
Stande i&#x017F;t, ihnen &#x017F;o viel neues Vergnu&#x0364;gen zu machen.</p><lb/>
        <p>Man kann in der That Pla&#x0364;tzen, daru&#x0364;ber Natur und Ge&#x017F;chmack &#x017F;o viel An-<lb/>
nehmlichkeiten verbreitet haben, nicht Aufmerk&#x017F;amkeit genug &#x017F;chenken. Es giebt<lb/>
im Walde noch viele Neben&#x017F;tellen, von denen man eben &#x017F;olche &#x017F;cho&#x0364;ne Aus&#x017F;ichten<lb/>
von Land&#x017F;chaften hat, als auf den Ba&#x0364;nken, wohin der Weg leitet, wie diejeni-<lb/>
gen leicht bemerken werden, die bey Anna&#x0364;herung eines &#x017F;teilen Hu&#x0364;gels nicht &#x017F;euf-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zen,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0177] Beſchreibungen von Gaͤrten. Aufenthalt zu bezeigen ſchienen. Wo ich mich hinwandte, da laͤchelte mich die Natur an. Mir deuchte, ich ſaͤhe ſie auf jedem Parterre, auf jeder Gruppe von Baͤumen, und auf jeder glatt abgeſchornen Wildbahn ſchweben. Die Verzierun- gen verdienten nicht weniger Beyfall, weil ſie dem Orte ſo angemeſſen ſind. Hier bewunderte ich eine mit vielen Figuren gezierte vortreffliche Vaſe; dort ſtand in ei- nem Klumpen niederhaͤngender Lerchenbaͤume die Schutzgoͤttinn dieſer Scene, eine Flora, in einer artigen Stellung. Ihr Haar war mit Roſen umflochten, und in der ausgeſtreckten Hand hielt ſie einen Strauß von Jaſminen und Geisblaͤttern. Ich naͤherte mich ehrfurchtsvoll dieſer Goͤttinn, als der Beſchuͤtzerinn alles deſſen, wovon ich ein ſo großer Verehrer bin, und machte ihr, wie ein Enthuſiaſt dem Bilde ſeines Schutzheiligen, eine tiefe Verbeugung. Was meynen Sie aber, wenn Sie, anſtatt dieſer lebloſen Statue, eine le- bendige Schoͤnheit in dieſem elyſiſchen Aufenthalte ſaͤhen? Glauben Sie nicht, wenn ein junges bluͤhendes Maͤdchen, wie Maria — — in arkadiſchem Ge- wande, von einem ſchoͤnen Wuchſe, von lebhafter Farbe und einem gefaͤlligen An- ſtande; wenn ſie mit einem bezaubernden Blicke Vergnuͤgen und Liebe um ſich her verbreitet, wenn ſie die Laute zu ihrer ſanften melodiſchen Stimme ſpielt, daß die- ſes eine weit empfindſamere Wirkung auf Sie hervorbringen wuͤrde, als der unbe- ſeelte Marmor? — Sie laͤcheln. — Aber ich nehme es auf mich, in Ihrem und meinem Namen zu entſcheiden. Ich wette, wenn dies liebenswuͤrdige Maͤd- chen von einem Gange in den andern gienge, wir wuͤrden beyde wie bezaubert und voll Bewunderung da ſtehen, und fuͤr keinen andern Gegenſtand Augen haben. Ich kann die reizenden Gaͤnge von Envil nicht verlaſſen, ohne zu erinnern, daß ſie ſo weitlaͤuftig und ſo unterhaltend ſind, daß ein Tag zu wenig iſt, um alles recht zu genießen. Man kann außen um die ganze Anlage herum reiten; und zum Behuf derer, die fahren wollen, iſt auch ein Weg gemacht. Dies mag einigen gefallen, und der edle Beſitzer erlaubt es denen, die es thun wollen, ſehr gern. Aber fuͤr Perſonen von Geſchmack iſt dieſe Freyheit von geringem Werthe. Sie laſſen ſich mitten unter ſo vielen Schoͤnheiten in kein aͤngſtliches Fuhrwerk einker- kern, da die Scene ſich mit jedem Schritte aͤndert, und jede Abwechſelung im Stande iſt, ihnen ſo viel neues Vergnuͤgen zu machen. Man kann in der That Plaͤtzen, daruͤber Natur und Geſchmack ſo viel An- nehmlichkeiten verbreitet haben, nicht Aufmerkſamkeit genug ſchenken. Es giebt im Walde noch viele Nebenſtellen, von denen man eben ſolche ſchoͤne Ausſichten von Landſchaften hat, als auf den Baͤnken, wohin der Weg leitet, wie diejeni- gen leicht bemerken werden, die bey Annaͤherung eines ſteilen Huͤgels nicht ſeuf- zen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/177
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/177>, abgerufen am 24.11.2024.