Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
Vom Wasser.
10.
Wassersturz.

Schon der Name unterscheidet den Wassersturz von dem Wasserfall, mit dem
Charakter einer größern Schnelligkeit und Heftigkeit. Ungestüm und Wildheit in
der dahinreißenden Bewegung, ein Ueberfluß von trübem und immer empörtem Was-
ser, oder große, weiße Massen von Schaum, ein tobendes Brausen, ein gewaltthä-
tiges Fortjagen und Zerstören der aufstoßenden Gestände, umherschwebende Nebel und der
Widerhall von den Felsen, alle diese Eigenschaften und Umstände bezeichnen mehr oder
weniger den Wassersturz oder Katarakt. Seine Heimat ist in gebürgigten und ber-
gigten Gegenden, in Felsenhöhen, in engen Zwischenräumen, in Wildnissen, wo oft
Stürme, Wolkenbrüche, Ueberschwemmungen und Vulcane toben. Sein Bett
trägt die Spuren der Gewaltthätigkeit und der Wut; es ist ungleich, zerrissen, zer-
wühlt, mit Steinen und Felsenstücken angefüllt; umher trauren Gesträuche an ihrer
Wurzel entblößt, oder hangende Bäume, die den nahen Fall ankündigen.

Die Wirkung der Katarakten ist Ungewißheit, Unruhe, Staunen, oft eine
Art von Schrecken. Sie gehören nicht zur angenehmen Gegend, vielweniger zu
sanftmelancholischen; sie machen einen Theil von dem Charakter romantischer, am mei-
sten aber feyerlicher Reviere aus.

In ausgedehnten Parks, besonders in Scenen, die den Charakter des Feyerli-
chen an sich tragen, können Wasserstürze sich allerdings in ihrer ganzen Größe zeigen,
weil theils der mehr ausgebreitete Raum es verstattet, theils die Empfindung des Er-
habenen, die sie erregen, mit den übrigen Auftritten sich leichter in Verbindung setzen
läßt. In einem eingeschränkten Garten aber würde ein wütend brüllender Wasserfall
die sanftern Eindrücke der andern Gegenstände zerstören.

Die Natur scheint die Bildung der Katarakten allein ihrer schöpferischen Macht
vorbehalten zu haben; die Kunst wird hier, nach vergebens verschwendeter Mühe und
Aufwand, zurückweichen und ihre Schwäche fühlen. Schon die Umstände, daß
Wasserstürze keine rechte Wirkung haben, wenn sie nicht von felsigten Anhöhen herab-
fallen, und daß nur eine von der Natur selbst gebildete Wildniß natürlich scheint, las-
sen die Schwierigkeiten bald erkennen. Außerdem sind Katarakten mit so mancherley
Zufälligkeiten verbunden, die zu ihrem Charakter zu gehören scheinen, daß es über-
aus schwer ist, auch nur einen Theil in der Nachahnung zu erreichen.

Wasserstürze von der ersten Größe sind immer als so merkwürdige Naturscenen
auf unserer Erdfläche angesehen worden, daß sie die Aufmerksamkeit nicht blos der Geo-
graphen, sondern auch der Dichter und Maler erregt haben. Ohne Zweifel wird es

nicht
Vom Waſſer.
10.
Waſſerſturz.

Schon der Name unterſcheidet den Waſſerſturz von dem Waſſerfall, mit dem
Charakter einer groͤßern Schnelligkeit und Heftigkeit. Ungeſtuͤm und Wildheit in
der dahinreißenden Bewegung, ein Ueberfluß von truͤbem und immer empoͤrtem Waſ-
ſer, oder große, weiße Maſſen von Schaum, ein tobendes Brauſen, ein gewaltthaͤ-
tiges Fortjagen und Zerſtoͤren der aufſtoßenden Geſtaͤnde, umherſchwebende Nebel und der
Widerhall von den Felſen, alle dieſe Eigenſchaften und Umſtaͤnde bezeichnen mehr oder
weniger den Waſſerſturz oder Katarakt. Seine Heimat iſt in gebuͤrgigten und ber-
gigten Gegenden, in Felſenhoͤhen, in engen Zwiſchenraͤumen, in Wildniſſen, wo oft
Stuͤrme, Wolkenbruͤche, Ueberſchwemmungen und Vulcane toben. Sein Bett
traͤgt die Spuren der Gewaltthaͤtigkeit und der Wut; es iſt ungleich, zerriſſen, zer-
wuͤhlt, mit Steinen und Felſenſtuͤcken angefuͤllt; umher trauren Geſtraͤuche an ihrer
Wurzel entbloͤßt, oder hangende Baͤume, die den nahen Fall ankuͤndigen.

Die Wirkung der Katarakten iſt Ungewißheit, Unruhe, Staunen, oft eine
Art von Schrecken. Sie gehoͤren nicht zur angenehmen Gegend, vielweniger zu
ſanftmelancholiſchen; ſie machen einen Theil von dem Charakter romantiſcher, am mei-
ſten aber feyerlicher Reviere aus.

In ausgedehnten Parks, beſonders in Scenen, die den Charakter des Feyerli-
chen an ſich tragen, koͤnnen Waſſerſtuͤrze ſich allerdings in ihrer ganzen Groͤße zeigen,
weil theils der mehr ausgebreitete Raum es verſtattet, theils die Empfindung des Er-
habenen, die ſie erregen, mit den uͤbrigen Auftritten ſich leichter in Verbindung ſetzen
laͤßt. In einem eingeſchraͤnkten Garten aber wuͤrde ein wuͤtend bruͤllender Waſſerfall
die ſanftern Eindruͤcke der andern Gegenſtaͤnde zerſtoͤren.

Die Natur ſcheint die Bildung der Katarakten allein ihrer ſchoͤpferiſchen Macht
vorbehalten zu haben; die Kunſt wird hier, nach vergebens verſchwendeter Muͤhe und
Aufwand, zuruͤckweichen und ihre Schwaͤche fuͤhlen. Schon die Umſtaͤnde, daß
Waſſerſtuͤrze keine rechte Wirkung haben, wenn ſie nicht von felſigten Anhoͤhen herab-
fallen, und daß nur eine von der Natur ſelbſt gebildete Wildniß natuͤrlich ſcheint, laſ-
ſen die Schwierigkeiten bald erkennen. Außerdem ſind Katarakten mit ſo mancherley
Zufaͤlligkeiten verbunden, die zu ihrem Charakter zu gehoͤren ſcheinen, daß es uͤber-
aus ſchwer iſt, auch nur einen Theil in der Nachahnung zu erreichen.

Waſſerſtuͤrze von der erſten Groͤße ſind immer als ſo merkwuͤrdige Naturſcenen
auf unſerer Erdflaͤche angeſehen worden, daß ſie die Aufmerkſamkeit nicht blos der Geo-
graphen, ſondern auch der Dichter und Maler erregt haben. Ohne Zweifel wird es

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0123" n="119"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vom Wa&#x017F;&#x017F;er.</hi> </fw><lb/>
        <div n="3">
          <head> <hi rendition="#b">10.<lb/><hi rendition="#g">Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;turz</hi>.</hi> </head><lb/>
          <p>Schon der Name unter&#x017F;cheidet den Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;turz von dem Wa&#x017F;&#x017F;erfall, mit dem<lb/>
Charakter einer gro&#x0364;ßern Schnelligkeit und Heftigkeit. Unge&#x017F;tu&#x0364;m und Wildheit in<lb/>
der dahinreißenden Bewegung, ein Ueberfluß von tru&#x0364;bem und immer empo&#x0364;rtem Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er, oder große, weiße Ma&#x017F;&#x017F;en von Schaum, ein tobendes Brau&#x017F;en, ein gewalttha&#x0364;-<lb/>
tiges Fortjagen und Zer&#x017F;to&#x0364;ren der auf&#x017F;toßenden Ge&#x017F;ta&#x0364;nde, umher&#x017F;chwebende Nebel und der<lb/>
Widerhall von den Fel&#x017F;en, alle die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaften und Um&#x017F;ta&#x0364;nde bezeichnen mehr oder<lb/>
weniger den Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;turz oder Katarakt. Seine Heimat i&#x017F;t in gebu&#x0364;rgigten und ber-<lb/>
gigten Gegenden, in Fel&#x017F;enho&#x0364;hen, in engen Zwi&#x017F;chenra&#x0364;umen, in Wildni&#x017F;&#x017F;en, wo oft<lb/>
Stu&#x0364;rme, Wolkenbru&#x0364;che, Ueber&#x017F;chwemmungen und Vulcane toben. Sein Bett<lb/>
tra&#x0364;gt die Spuren der Gewalttha&#x0364;tigkeit und der Wut; es i&#x017F;t ungleich, zerri&#x017F;&#x017F;en, zer-<lb/>
wu&#x0364;hlt, mit Steinen und Fel&#x017F;en&#x017F;tu&#x0364;cken angefu&#x0364;llt; umher trauren Ge&#x017F;tra&#x0364;uche an ihrer<lb/>
Wurzel entblo&#x0364;ßt, oder hangende Ba&#x0364;ume, die den nahen Fall anku&#x0364;ndigen.</p><lb/>
          <p>Die Wirkung der Katarakten i&#x017F;t Ungewißheit, Unruhe, Staunen, oft eine<lb/>
Art von Schrecken. Sie geho&#x0364;ren nicht zur angenehmen Gegend, vielweniger zu<lb/>
&#x017F;anftmelancholi&#x017F;chen; &#x017F;ie machen einen Theil von dem Charakter romanti&#x017F;cher, am mei-<lb/>
&#x017F;ten aber feyerlicher Reviere aus.</p><lb/>
          <p>In ausgedehnten Parks, be&#x017F;onders in Scenen, die den Charakter des Feyerli-<lb/>
chen an &#x017F;ich tragen, ko&#x0364;nnen Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;tu&#x0364;rze &#x017F;ich allerdings in ihrer ganzen Gro&#x0364;ße zeigen,<lb/>
weil theils der mehr ausgebreitete Raum es ver&#x017F;tattet, theils die Empfindung des Er-<lb/>
habenen, die &#x017F;ie erregen, mit den u&#x0364;brigen Auftritten &#x017F;ich leichter in Verbindung &#x017F;etzen<lb/>
la&#x0364;ßt. In einem einge&#x017F;chra&#x0364;nkten Garten aber wu&#x0364;rde ein wu&#x0364;tend bru&#x0364;llender Wa&#x017F;&#x017F;erfall<lb/>
die &#x017F;anftern Eindru&#x0364;cke der andern Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zer&#x017F;to&#x0364;ren.</p><lb/>
          <p>Die Natur &#x017F;cheint die Bildung der Katarakten allein ihrer &#x017F;cho&#x0364;pferi&#x017F;chen Macht<lb/>
vorbehalten zu haben; die Kun&#x017F;t wird hier, nach vergebens ver&#x017F;chwendeter Mu&#x0364;he und<lb/>
Aufwand, zuru&#x0364;ckweichen und ihre Schwa&#x0364;che fu&#x0364;hlen. Schon die Um&#x017F;ta&#x0364;nde, daß<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;tu&#x0364;rze keine rechte Wirkung haben, wenn &#x017F;ie nicht von fel&#x017F;igten Anho&#x0364;hen herab-<lb/>
fallen, und daß nur eine von der Natur &#x017F;elb&#x017F;t gebildete Wildniß natu&#x0364;rlich &#x017F;cheint, la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en die Schwierigkeiten bald erkennen. Außerdem &#x017F;ind Katarakten mit &#x017F;o mancherley<lb/>
Zufa&#x0364;lligkeiten verbunden, die zu ihrem Charakter zu geho&#x0364;ren &#x017F;cheinen, daß es u&#x0364;ber-<lb/>
aus &#x017F;chwer i&#x017F;t, auch nur einen Theil in der Nachahnung zu erreichen.</p><lb/>
          <p>Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;tu&#x0364;rze von der er&#x017F;ten Gro&#x0364;ße &#x017F;ind immer als &#x017F;o merkwu&#x0364;rdige Natur&#x017F;cenen<lb/>
auf un&#x017F;erer Erdfla&#x0364;che ange&#x017F;ehen worden, daß &#x017F;ie die Aufmerk&#x017F;amkeit nicht blos der Geo-<lb/>
graphen, &#x017F;ondern auch der Dichter und Maler erregt haben. Ohne Zweifel wird es<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0123] Vom Waſſer. 10. Waſſerſturz. Schon der Name unterſcheidet den Waſſerſturz von dem Waſſerfall, mit dem Charakter einer groͤßern Schnelligkeit und Heftigkeit. Ungeſtuͤm und Wildheit in der dahinreißenden Bewegung, ein Ueberfluß von truͤbem und immer empoͤrtem Waſ- ſer, oder große, weiße Maſſen von Schaum, ein tobendes Brauſen, ein gewaltthaͤ- tiges Fortjagen und Zerſtoͤren der aufſtoßenden Geſtaͤnde, umherſchwebende Nebel und der Widerhall von den Felſen, alle dieſe Eigenſchaften und Umſtaͤnde bezeichnen mehr oder weniger den Waſſerſturz oder Katarakt. Seine Heimat iſt in gebuͤrgigten und ber- gigten Gegenden, in Felſenhoͤhen, in engen Zwiſchenraͤumen, in Wildniſſen, wo oft Stuͤrme, Wolkenbruͤche, Ueberſchwemmungen und Vulcane toben. Sein Bett traͤgt die Spuren der Gewaltthaͤtigkeit und der Wut; es iſt ungleich, zerriſſen, zer- wuͤhlt, mit Steinen und Felſenſtuͤcken angefuͤllt; umher trauren Geſtraͤuche an ihrer Wurzel entbloͤßt, oder hangende Baͤume, die den nahen Fall ankuͤndigen. Die Wirkung der Katarakten iſt Ungewißheit, Unruhe, Staunen, oft eine Art von Schrecken. Sie gehoͤren nicht zur angenehmen Gegend, vielweniger zu ſanftmelancholiſchen; ſie machen einen Theil von dem Charakter romantiſcher, am mei- ſten aber feyerlicher Reviere aus. In ausgedehnten Parks, beſonders in Scenen, die den Charakter des Feyerli- chen an ſich tragen, koͤnnen Waſſerſtuͤrze ſich allerdings in ihrer ganzen Groͤße zeigen, weil theils der mehr ausgebreitete Raum es verſtattet, theils die Empfindung des Er- habenen, die ſie erregen, mit den uͤbrigen Auftritten ſich leichter in Verbindung ſetzen laͤßt. In einem eingeſchraͤnkten Garten aber wuͤrde ein wuͤtend bruͤllender Waſſerfall die ſanftern Eindruͤcke der andern Gegenſtaͤnde zerſtoͤren. Die Natur ſcheint die Bildung der Katarakten allein ihrer ſchoͤpferiſchen Macht vorbehalten zu haben; die Kunſt wird hier, nach vergebens verſchwendeter Muͤhe und Aufwand, zuruͤckweichen und ihre Schwaͤche fuͤhlen. Schon die Umſtaͤnde, daß Waſſerſtuͤrze keine rechte Wirkung haben, wenn ſie nicht von felſigten Anhoͤhen herab- fallen, und daß nur eine von der Natur ſelbſt gebildete Wildniß natuͤrlich ſcheint, laſ- ſen die Schwierigkeiten bald erkennen. Außerdem ſind Katarakten mit ſo mancherley Zufaͤlligkeiten verbunden, die zu ihrem Charakter zu gehoͤren ſcheinen, daß es uͤber- aus ſchwer iſt, auch nur einen Theil in der Nachahnung zu erreichen. Waſſerſtuͤrze von der erſten Groͤße ſind immer als ſo merkwuͤrdige Naturſcenen auf unſerer Erdflaͤche angeſehen worden, daß ſie die Aufmerkſamkeit nicht blos der Geo- graphen, ſondern auch der Dichter und Maler erregt haben. Ohne Zweifel wird es nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/123
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/123>, abgerufen am 05.12.2024.