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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Fünfter Abschnitt.

Die Ufer eines Flußes sind einer großen Abwechselung, in Ansehung sowohl
ihrer Form, als auch ihrer Verzierung, fähig. Bald erscheinen sie hoch, bald
niedrig, bald steil, bald sanftabhängend oder wellenförmig hinabsteigend, bald eben,
bald ungleich und gebrochen. Ihre natürliche Bekleidung besteht in Gras, Blu-
men, Gebüsche und Bäumen. Ein nacktes Ufer bezeichnet zuweilen den Lauf
des reißenden Stroms; aber den Fluß ziert ein fruchtbares und anmuthig bekleide-
tes Ufer. Bald versammeln sich die Bäume in schattenreiche Gruppen, und hän-
gen mit einer lieblichen Dämmerung über das Wasser hin; bald zerstreuen sie sich
wieder einzeln, oder weichen ein wenig vom Ufer zurück, oder wechseln mit niedri-
gen Gebüschen und Sträuchern ab, zwischen welchen der helle Schein der freyen
Massen wieder hervorbricht. Ein Fluß ist schon sehr schön, wenn er sich frey zeigt;
allein hie und da hingestreute Baumgruppen und Büsche können so viele malerische
Durchsichten auf das lebendige Wasser, das zwischen ihnen spielt, so viel anmu-
thige Brechungen der Sonnenstralen bilden, daß diese Verzierung ihn noch schöner
macht. Nur darf sie ihn nicht überall verfolgen. Er windet sich jenseits mit neuem
Reiz aus der Ueberschattung wieder heraus, und wälzt sich frey und glänzend im Stolz
über seine eigene Schönheit dahin.

Auch künstliche Gegenstände können dem Ufer eines Flußes zu einer schicklichen
Verzierung dienen. Fast alle Arten von Gebäuden mögen hier eine Stelle erhalten,
indem sie durch die Vorstellung, daß ein Fluß neben fruchtbaren Wohnplätzen des
Menschen sich vorüberschlängelt, und Fischerey und Schifffahrt veranlaßt, natürlich
werden. Lusthäuser mit Austritten zu Wasserfahrten, mit Plätzen zum Fischfang,
allerley Mühlen, Fischerhütten u. a. mögen hier alle Mannichfaltigkeit von Anpflan-
zungen noch mehr beleben helfen. Außer allen diesen kann ein Fluß, der schon an
sich selbst ein so schöner Gegenstand ist, auch ein Mittel der Verschönerung in den
angränzenden Plätzen werden: man kann Bäche und Wasserfälle von ihm ableiten;
man kann ihn zur Bildung kleiner Inseln sich erweitern lassen.

Das rege Wasser und die Ufer eines Flußes ergötzen das Auge; durch seine
fortgehende Bewegung wird die Einbildungskraft beschäftigt, die mit ihm gleichsam
dahin schwebt, ohne zu wissen, wohin sie geleitet wird, noch wo sie ruhen soll. Ein
Fluß ist das wichtigste Mittel zur Belebung aller Scenen. Er gehört nicht für die
einsame und melancholische Gegend; die muntere und reizende betrachtet ihn als ihr
Eigenthum. Empfindungen einer hohen Wonne sind seine Wirkungen, wenn er
groß, frey, und edel durch einen Wald emporragender Bäume rauscht, und in ver-

schiedenen
Fuͤnfter Abſchnitt.

Die Ufer eines Flußes ſind einer großen Abwechſelung, in Anſehung ſowohl
ihrer Form, als auch ihrer Verzierung, faͤhig. Bald erſcheinen ſie hoch, bald
niedrig, bald ſteil, bald ſanftabhaͤngend oder wellenfoͤrmig hinabſteigend, bald eben,
bald ungleich und gebrochen. Ihre natuͤrliche Bekleidung beſteht in Gras, Blu-
men, Gebuͤſche und Baͤumen. Ein nacktes Ufer bezeichnet zuweilen den Lauf
des reißenden Stroms; aber den Fluß ziert ein fruchtbares und anmuthig bekleide-
tes Ufer. Bald verſammeln ſich die Baͤume in ſchattenreiche Gruppen, und haͤn-
gen mit einer lieblichen Daͤmmerung uͤber das Waſſer hin; bald zerſtreuen ſie ſich
wieder einzeln, oder weichen ein wenig vom Ufer zuruͤck, oder wechſeln mit niedri-
gen Gebuͤſchen und Straͤuchern ab, zwiſchen welchen der helle Schein der freyen
Maſſen wieder hervorbricht. Ein Fluß iſt ſchon ſehr ſchoͤn, wenn er ſich frey zeigt;
allein hie und da hingeſtreute Baumgruppen und Buͤſche koͤnnen ſo viele maleriſche
Durchſichten auf das lebendige Waſſer, das zwiſchen ihnen ſpielt, ſo viel anmu-
thige Brechungen der Sonnenſtralen bilden, daß dieſe Verzierung ihn noch ſchoͤner
macht. Nur darf ſie ihn nicht uͤberall verfolgen. Er windet ſich jenſeits mit neuem
Reiz aus der Ueberſchattung wieder heraus, und waͤlzt ſich frey und glaͤnzend im Stolz
uͤber ſeine eigene Schoͤnheit dahin.

Auch kuͤnſtliche Gegenſtaͤnde koͤnnen dem Ufer eines Flußes zu einer ſchicklichen
Verzierung dienen. Faſt alle Arten von Gebaͤuden moͤgen hier eine Stelle erhalten,
indem ſie durch die Vorſtellung, daß ein Fluß neben fruchtbaren Wohnplaͤtzen des
Menſchen ſich voruͤberſchlaͤngelt, und Fiſcherey und Schifffahrt veranlaßt, natuͤrlich
werden. Luſthaͤuſer mit Austritten zu Waſſerfahrten, mit Plaͤtzen zum Fiſchfang,
allerley Muͤhlen, Fiſcherhuͤtten u. a. moͤgen hier alle Mannichfaltigkeit von Anpflan-
zungen noch mehr beleben helfen. Außer allen dieſen kann ein Fluß, der ſchon an
ſich ſelbſt ein ſo ſchoͤner Gegenſtand iſt, auch ein Mittel der Verſchoͤnerung in den
angraͤnzenden Plaͤtzen werden: man kann Baͤche und Waſſerfaͤlle von ihm ableiten;
man kann ihn zur Bildung kleiner Inſeln ſich erweitern laſſen.

Das rege Waſſer und die Ufer eines Flußes ergoͤtzen das Auge; durch ſeine
fortgehende Bewegung wird die Einbildungskraft beſchaͤftigt, die mit ihm gleichſam
dahin ſchwebt, ohne zu wiſſen, wohin ſie geleitet wird, noch wo ſie ruhen ſoll. Ein
Fluß iſt das wichtigſte Mittel zur Belebung aller Scenen. Er gehoͤrt nicht fuͤr die
einſame und melancholiſche Gegend; die muntere und reizende betrachtet ihn als ihr
Eigenthum. Empfindungen einer hohen Wonne ſind ſeine Wirkungen, wenn er
groß, frey, und edel durch einen Wald emporragender Baͤume rauſcht, und in ver-

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[108/0112] Fuͤnfter Abſchnitt. Die Ufer eines Flußes ſind einer großen Abwechſelung, in Anſehung ſowohl ihrer Form, als auch ihrer Verzierung, faͤhig. Bald erſcheinen ſie hoch, bald niedrig, bald ſteil, bald ſanftabhaͤngend oder wellenfoͤrmig hinabſteigend, bald eben, bald ungleich und gebrochen. Ihre natuͤrliche Bekleidung beſteht in Gras, Blu- men, Gebuͤſche und Baͤumen. Ein nacktes Ufer bezeichnet zuweilen den Lauf des reißenden Stroms; aber den Fluß ziert ein fruchtbares und anmuthig bekleide- tes Ufer. Bald verſammeln ſich die Baͤume in ſchattenreiche Gruppen, und haͤn- gen mit einer lieblichen Daͤmmerung uͤber das Waſſer hin; bald zerſtreuen ſie ſich wieder einzeln, oder weichen ein wenig vom Ufer zuruͤck, oder wechſeln mit niedri- gen Gebuͤſchen und Straͤuchern ab, zwiſchen welchen der helle Schein der freyen Maſſen wieder hervorbricht. Ein Fluß iſt ſchon ſehr ſchoͤn, wenn er ſich frey zeigt; allein hie und da hingeſtreute Baumgruppen und Buͤſche koͤnnen ſo viele maleriſche Durchſichten auf das lebendige Waſſer, das zwiſchen ihnen ſpielt, ſo viel anmu- thige Brechungen der Sonnenſtralen bilden, daß dieſe Verzierung ihn noch ſchoͤner macht. Nur darf ſie ihn nicht uͤberall verfolgen. Er windet ſich jenſeits mit neuem Reiz aus der Ueberſchattung wieder heraus, und waͤlzt ſich frey und glaͤnzend im Stolz uͤber ſeine eigene Schoͤnheit dahin. Auch kuͤnſtliche Gegenſtaͤnde koͤnnen dem Ufer eines Flußes zu einer ſchicklichen Verzierung dienen. Faſt alle Arten von Gebaͤuden moͤgen hier eine Stelle erhalten, indem ſie durch die Vorſtellung, daß ein Fluß neben fruchtbaren Wohnplaͤtzen des Menſchen ſich voruͤberſchlaͤngelt, und Fiſcherey und Schifffahrt veranlaßt, natuͤrlich werden. Luſthaͤuſer mit Austritten zu Waſſerfahrten, mit Plaͤtzen zum Fiſchfang, allerley Muͤhlen, Fiſcherhuͤtten u. a. moͤgen hier alle Mannichfaltigkeit von Anpflan- zungen noch mehr beleben helfen. Außer allen dieſen kann ein Fluß, der ſchon an ſich ſelbſt ein ſo ſchoͤner Gegenſtand iſt, auch ein Mittel der Verſchoͤnerung in den angraͤnzenden Plaͤtzen werden: man kann Baͤche und Waſſerfaͤlle von ihm ableiten; man kann ihn zur Bildung kleiner Inſeln ſich erweitern laſſen. Das rege Waſſer und die Ufer eines Flußes ergoͤtzen das Auge; durch ſeine fortgehende Bewegung wird die Einbildungskraft beſchaͤftigt, die mit ihm gleichſam dahin ſchwebt, ohne zu wiſſen, wohin ſie geleitet wird, noch wo ſie ruhen ſoll. Ein Fluß iſt das wichtigſte Mittel zur Belebung aller Scenen. Er gehoͤrt nicht fuͤr die einſame und melancholiſche Gegend; die muntere und reizende betrachtet ihn als ihr Eigenthum. Empfindungen einer hohen Wonne ſind ſeine Wirkungen, wenn er groß, frey, und edel durch einen Wald emporragender Baͤume rauſcht, und in ver- ſchiedenen

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/112>, abgerufen am 24.11.2024.