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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Vom Wasser.

Inzwischen kann ein Fluß in den meisten Fällen noch breiter seyn, als ein
Strom; denn da sich dieser oft in verschiedene Umwege zerstreut, so vermindert sich
die Masse seines Wassers, die jener bey seinem ruhigen Fortgang mehr zusammen-
hält. Doch wenn ein Fluß in eine gar zu ansehnliche Breite ausläuft, so verliert
er seinen Charakter; der Fortgang in der Länge ist, und wird ein Teich, ein stillste-
hendes Wasser.

Seine Ufer müssen, wenn er von einer guten Wirkung seyn soll, von beyden
Seiten sichtbar seyn, sich nicht zu weit von einander verlieren, obgleich die Ent-
fernung bald größer, bald geringer seyn kann. Jedes Auge unterscheidet einen
Fluß von einem andern Gewässer, sobald es ein ansehnliches Wasser, wovon es
weder den Anfang noch das Ende bemerkt, in der Länge sich dahin wälzen sieht.

Eben so sind Buchten bey einem Fluß unangenehm, weil sie seinen Lauf
aufhalten, und seinen Charakter verändern, indem sie sein Wasser stillstehend ma-
chen. Obgleich Wasser in Ruhe an sich gar nicht unangenehm ist, so wird es
doch unter solchen Umständen misfällig, weil der Begriff von Fortgang, womit
wir uns belustigen, auf einmal verschwindet, und wir, anstatt einer sich dahin be-
wegenden Wassermasse, ein bloßes Bassin vor Augen bekommen. Alle Einbuch-
ten, alle Ausläufe auf den Seiten, die bey einem See gefallen, sind bey einem
Fluße verwerflich.

Obgleich der Fluß, seinem Charakter gemäß, in der Länge fortgeht, und
lange Strecken seine Schönheit ausmachen, so kann er doch wegen der natürlichen
Ungleichheiten des Bodens nicht immer die gerade Linie halten, wodurch er auch
dem einförmigen Ansehen eines gegrabenen Canals sich nähern würde. Vielmehr
macht er in der Natur Krümmungen, die ihn mit dem Reiz der Abwechselung
verschönern. Allein diese Krümmungen müssen sanft gewunden, nicht plötzlich ge-
drehet seyn; nichts beleidigt mehr das Auge, als schnelle Uebergänge von der ge-
raden Linie zu der gekrümmten. Auch dürfen die Wendungen nicht gar zu häufig
seyn, weil sie sonst den Begriff von Fortgang in der Länge zu merklich unterbre-
chen würden. Indessen geben verschiedene Krümmungen eines Flußes, zwischen
grünen Flächen und kleinen Gebüschen, zwischen einzelnen Hütten und Baumgrup-
pen, die man von einer Anhöhe auf einmal übersehen kann, eins der schönsten
Schauspiele des Lichts und der Bewegung, bey dessen Betrachtung man gerne
verweilt.

Die
O 2
Vom Waſſer.

Inzwiſchen kann ein Fluß in den meiſten Faͤllen noch breiter ſeyn, als ein
Strom; denn da ſich dieſer oft in verſchiedene Umwege zerſtreut, ſo vermindert ſich
die Maſſe ſeines Waſſers, die jener bey ſeinem ruhigen Fortgang mehr zuſammen-
haͤlt. Doch wenn ein Fluß in eine gar zu anſehnliche Breite auslaͤuft, ſo verliert
er ſeinen Charakter; der Fortgang in der Laͤnge iſt, und wird ein Teich, ein ſtillſte-
hendes Waſſer.

Seine Ufer muͤſſen, wenn er von einer guten Wirkung ſeyn ſoll, von beyden
Seiten ſichtbar ſeyn, ſich nicht zu weit von einander verlieren, obgleich die Ent-
fernung bald groͤßer, bald geringer ſeyn kann. Jedes Auge unterſcheidet einen
Fluß von einem andern Gewaͤſſer, ſobald es ein anſehnliches Waſſer, wovon es
weder den Anfang noch das Ende bemerkt, in der Laͤnge ſich dahin waͤlzen ſieht.

Eben ſo ſind Buchten bey einem Fluß unangenehm, weil ſie ſeinen Lauf
aufhalten, und ſeinen Charakter veraͤndern, indem ſie ſein Waſſer ſtillſtehend ma-
chen. Obgleich Waſſer in Ruhe an ſich gar nicht unangenehm iſt, ſo wird es
doch unter ſolchen Umſtaͤnden misfaͤllig, weil der Begriff von Fortgang, womit
wir uns beluſtigen, auf einmal verſchwindet, und wir, anſtatt einer ſich dahin be-
wegenden Waſſermaſſe, ein bloßes Baſſin vor Augen bekommen. Alle Einbuch-
ten, alle Auslaͤufe auf den Seiten, die bey einem See gefallen, ſind bey einem
Fluße verwerflich.

Obgleich der Fluß, ſeinem Charakter gemaͤß, in der Laͤnge fortgeht, und
lange Strecken ſeine Schoͤnheit ausmachen, ſo kann er doch wegen der natuͤrlichen
Ungleichheiten des Bodens nicht immer die gerade Linie halten, wodurch er auch
dem einfoͤrmigen Anſehen eines gegrabenen Canals ſich naͤhern wuͤrde. Vielmehr
macht er in der Natur Kruͤmmungen, die ihn mit dem Reiz der Abwechſelung
verſchoͤnern. Allein dieſe Kruͤmmungen muͤſſen ſanft gewunden, nicht ploͤtzlich ge-
drehet ſeyn; nichts beleidigt mehr das Auge, als ſchnelle Uebergaͤnge von der ge-
raden Linie zu der gekruͤmmten. Auch duͤrfen die Wendungen nicht gar zu haͤufig
ſeyn, weil ſie ſonſt den Begriff von Fortgang in der Laͤnge zu merklich unterbre-
chen wuͤrden. Indeſſen geben verſchiedene Kruͤmmungen eines Flußes, zwiſchen
gruͤnen Flaͤchen und kleinen Gebuͤſchen, zwiſchen einzelnen Huͤtten und Baumgrup-
pen, die man von einer Anhoͤhe auf einmal uͤberſehen kann, eins der ſchoͤnſten
Schauſpiele des Lichts und der Bewegung, bey deſſen Betrachtung man gerne
verweilt.

Die
O 2
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[107/0111] Vom Waſſer. Inzwiſchen kann ein Fluß in den meiſten Faͤllen noch breiter ſeyn, als ein Strom; denn da ſich dieſer oft in verſchiedene Umwege zerſtreut, ſo vermindert ſich die Maſſe ſeines Waſſers, die jener bey ſeinem ruhigen Fortgang mehr zuſammen- haͤlt. Doch wenn ein Fluß in eine gar zu anſehnliche Breite auslaͤuft, ſo verliert er ſeinen Charakter; der Fortgang in der Laͤnge iſt, und wird ein Teich, ein ſtillſte- hendes Waſſer. Seine Ufer muͤſſen, wenn er von einer guten Wirkung ſeyn ſoll, von beyden Seiten ſichtbar ſeyn, ſich nicht zu weit von einander verlieren, obgleich die Ent- fernung bald groͤßer, bald geringer ſeyn kann. Jedes Auge unterſcheidet einen Fluß von einem andern Gewaͤſſer, ſobald es ein anſehnliches Waſſer, wovon es weder den Anfang noch das Ende bemerkt, in der Laͤnge ſich dahin waͤlzen ſieht. Eben ſo ſind Buchten bey einem Fluß unangenehm, weil ſie ſeinen Lauf aufhalten, und ſeinen Charakter veraͤndern, indem ſie ſein Waſſer ſtillſtehend ma- chen. Obgleich Waſſer in Ruhe an ſich gar nicht unangenehm iſt, ſo wird es doch unter ſolchen Umſtaͤnden misfaͤllig, weil der Begriff von Fortgang, womit wir uns beluſtigen, auf einmal verſchwindet, und wir, anſtatt einer ſich dahin be- wegenden Waſſermaſſe, ein bloßes Baſſin vor Augen bekommen. Alle Einbuch- ten, alle Auslaͤufe auf den Seiten, die bey einem See gefallen, ſind bey einem Fluße verwerflich. Obgleich der Fluß, ſeinem Charakter gemaͤß, in der Laͤnge fortgeht, und lange Strecken ſeine Schoͤnheit ausmachen, ſo kann er doch wegen der natuͤrlichen Ungleichheiten des Bodens nicht immer die gerade Linie halten, wodurch er auch dem einfoͤrmigen Anſehen eines gegrabenen Canals ſich naͤhern wuͤrde. Vielmehr macht er in der Natur Kruͤmmungen, die ihn mit dem Reiz der Abwechſelung verſchoͤnern. Allein dieſe Kruͤmmungen muͤſſen ſanft gewunden, nicht ploͤtzlich ge- drehet ſeyn; nichts beleidigt mehr das Auge, als ſchnelle Uebergaͤnge von der ge- raden Linie zu der gekruͤmmten. Auch duͤrfen die Wendungen nicht gar zu haͤufig ſeyn, weil ſie ſonſt den Begriff von Fortgang in der Laͤnge zu merklich unterbre- chen wuͤrden. Indeſſen geben verſchiedene Kruͤmmungen eines Flußes, zwiſchen gruͤnen Flaͤchen und kleinen Gebuͤſchen, zwiſchen einzelnen Huͤtten und Baumgrup- pen, die man von einer Anhoͤhe auf einmal uͤberſehen kann, eins der ſchoͤnſten Schauſpiele des Lichts und der Bewegung, bey deſſen Betrachtung man gerne verweilt. Die O 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/111>, abgerufen am 24.11.2024.