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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der Landschaft und ihren Wirkungen.
mittelländische See. Es war Mondenschein, und der Kälte ungeachtet war es
doch unmöglich, nicht einen Blick auf das bezaubernde Licht zu werfen, das seine
Silberstralen auf die rauhen Felsen über und unter uns und auf allen Seiten ver-
breitete. Alles um uns her war stille, wie der Tod, bis die tönende Klosterglocke
die Mönche zum mitternächtlichen Gebet rief. -- Ungeduldig verlangte mich nach
der Zurückkunft des Tages, um noch höher zu steigen; wir setzten nach dem Früh-
stück unsre Füße begierig auf die erste Stufe der Einsiedlerleiter; sie war freylich von
Steinen, aber an allen Orten erschrecklich steil. Nachdem wir eine weite Spalte
in dem Felsen, die jedoch voll von Bäumen und Gesträuchen war, von etwa tausend
Schritten hinangestiegen waren, und sehr ermüdet nach einem sichern Ruheplatz uns
sehnten, gelangten wir zu einer kleinen Höhle in dem Felsen, durch welche wir mit
Freuden krochen. Nach einer zweyten Kletterung, die nicht völlig so fürchterlich als
die erste, aber weit länger war, kamen wir in einige blumige und schlangenweise lau-
fende Gänge, die zu zwey oder drey der nächsten, uns nun sichtbaren und nicht weit
entfernten Einsiedeleyen führten; eine derselben hieng über einem so erschrecklichen
Abgrund, daß sie fürchterlich malerisch aussah. Inzwischen waren wir nun nach
meinem Dünken gewiß in dem Garten Eden. Davon bin ich überzeugt, daß Eden
nicht schöner geziert seyn konnte; denn Gott ist hier ebenfalls der Gärtner, und folg-
lich kam alles um uns her gut fort, was das Gesicht, den Geruch und die Einbil-
dungskraft befriedigen konnte. Denn die Myrthe, die Hagebutte, der Jesmin und
alle kleinere Arten von aromatischen Stauden und Blumen blüheten auf allen Seiten
dick und von selbst um uns her, und unsre Füße dufteten von dem Geruch des Laven-
del, Rosmarin und Thymian, bis wir an die erste friedsame Einsiedeley von St.
Jacob
gelangten. Wir besahen den kleinen Garten des heiligen Einwohners, und
wurden von der Nettigkeit und demüthigen Einfalt, die ihn in allen Stücken charak-
terisirte, bezaubert. Seine kleine Kapelle, sein Brunn, seine Weinlaube, seine
hohe Cypresse und die Mauern seiner Zelle, die von allen Seiten mit Immergrün
bewachsen und mit Blumen geziert waren, machten den Ort, wenn man auch die
Lage abrechnet, bewundernswürdig angenehm. Seine Thür war zugemacht, und
inwendig war alles todtstille; wie ich aber anklopfte, ward sie von dem ehrwürdigen
Bewohner geöffnet. Er trug ein braunes tuchnes Kleid; sein Bart war sehr lang,
sein Gesicht blaß, seine Manieren höflich, aber er war mit der Betrachtung der Din-
ge der zukünftigen Welt zu sehr beschäftigt, als daß er mit solchen Dingen, wie wir,
viel Zeit verlieren sollen. Wir thaten daher nur einen Blick in sein Gemach, und
empfiengen seinen Segen. Hierauf gieng er von uns und hinterließ uns alles, was
er in der Welt besaß, außer seinem Strohbette, Büchern und Rosenkranz.

Seine

der Landſchaft und ihren Wirkungen.
mittellaͤndiſche See. Es war Mondenſchein, und der Kaͤlte ungeachtet war es
doch unmoͤglich, nicht einen Blick auf das bezaubernde Licht zu werfen, das ſeine
Silberſtralen auf die rauhen Felſen uͤber und unter uns und auf allen Seiten ver-
breitete. Alles um uns her war ſtille, wie der Tod, bis die toͤnende Kloſterglocke
die Moͤnche zum mitternaͤchtlichen Gebet rief. — Ungeduldig verlangte mich nach
der Zuruͤckkunft des Tages, um noch hoͤher zu ſteigen; wir ſetzten nach dem Fruͤh-
ſtuͤck unſre Fuͤße begierig auf die erſte Stufe der Einſiedlerleiter; ſie war freylich von
Steinen, aber an allen Orten erſchrecklich ſteil. Nachdem wir eine weite Spalte
in dem Felſen, die jedoch voll von Baͤumen und Geſtraͤuchen war, von etwa tauſend
Schritten hinangeſtiegen waren, und ſehr ermuͤdet nach einem ſichern Ruheplatz uns
ſehnten, gelangten wir zu einer kleinen Hoͤhle in dem Felſen, durch welche wir mit
Freuden krochen. Nach einer zweyten Kletterung, die nicht voͤllig ſo fuͤrchterlich als
die erſte, aber weit laͤnger war, kamen wir in einige blumige und ſchlangenweiſe lau-
fende Gaͤnge, die zu zwey oder drey der naͤchſten, uns nun ſichtbaren und nicht weit
entfernten Einſiedeleyen fuͤhrten; eine derſelben hieng uͤber einem ſo erſchrecklichen
Abgrund, daß ſie fuͤrchterlich maleriſch ausſah. Inzwiſchen waren wir nun nach
meinem Duͤnken gewiß in dem Garten Eden. Davon bin ich uͤberzeugt, daß Eden
nicht ſchoͤner geziert ſeyn konnte; denn Gott iſt hier ebenfalls der Gaͤrtner, und folg-
lich kam alles um uns her gut fort, was das Geſicht, den Geruch und die Einbil-
dungskraft befriedigen konnte. Denn die Myrthe, die Hagebutte, der Jesmin und
alle kleinere Arten von aromatiſchen Stauden und Blumen bluͤheten auf allen Seiten
dick und von ſelbſt um uns her, und unſre Fuͤße dufteten von dem Geruch des Laven-
del, Rosmarin und Thymian, bis wir an die erſte friedſame Einſiedeley von St.
Jacob
gelangten. Wir beſahen den kleinen Garten des heiligen Einwohners, und
wurden von der Nettigkeit und demuͤthigen Einfalt, die ihn in allen Stuͤcken charak-
teriſirte, bezaubert. Seine kleine Kapelle, ſein Brunn, ſeine Weinlaube, ſeine
hohe Cypreſſe und die Mauern ſeiner Zelle, die von allen Seiten mit Immergruͤn
bewachſen und mit Blumen geziert waren, machten den Ort, wenn man auch die
Lage abrechnet, bewundernswuͤrdig angenehm. Seine Thuͤr war zugemacht, und
inwendig war alles todtſtille; wie ich aber anklopfte, ward ſie von dem ehrwuͤrdigen
Bewohner geoͤffnet. Er trug ein braunes tuchnes Kleid; ſein Bart war ſehr lang,
ſein Geſicht blaß, ſeine Manieren hoͤflich, aber er war mit der Betrachtung der Din-
ge der zukuͤnftigen Welt zu ſehr beſchaͤftigt, als daß er mit ſolchen Dingen, wie wir,
viel Zeit verlieren ſollen. Wir thaten daher nur einen Blick in ſein Gemach, und
empfiengen ſeinen Segen. Hierauf gieng er von uns und hinterließ uns alles, was
er in der Welt beſaß, außer ſeinem Strohbette, Buͤchern und Roſenkranz.

Seine
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[223/0237] der Landſchaft und ihren Wirkungen. mittellaͤndiſche See. Es war Mondenſchein, und der Kaͤlte ungeachtet war es doch unmoͤglich, nicht einen Blick auf das bezaubernde Licht zu werfen, das ſeine Silberſtralen auf die rauhen Felſen uͤber und unter uns und auf allen Seiten ver- breitete. Alles um uns her war ſtille, wie der Tod, bis die toͤnende Kloſterglocke die Moͤnche zum mitternaͤchtlichen Gebet rief. — Ungeduldig verlangte mich nach der Zuruͤckkunft des Tages, um noch hoͤher zu ſteigen; wir ſetzten nach dem Fruͤh- ſtuͤck unſre Fuͤße begierig auf die erſte Stufe der Einſiedlerleiter; ſie war freylich von Steinen, aber an allen Orten erſchrecklich ſteil. Nachdem wir eine weite Spalte in dem Felſen, die jedoch voll von Baͤumen und Geſtraͤuchen war, von etwa tauſend Schritten hinangeſtiegen waren, und ſehr ermuͤdet nach einem ſichern Ruheplatz uns ſehnten, gelangten wir zu einer kleinen Hoͤhle in dem Felſen, durch welche wir mit Freuden krochen. Nach einer zweyten Kletterung, die nicht voͤllig ſo fuͤrchterlich als die erſte, aber weit laͤnger war, kamen wir in einige blumige und ſchlangenweiſe lau- fende Gaͤnge, die zu zwey oder drey der naͤchſten, uns nun ſichtbaren und nicht weit entfernten Einſiedeleyen fuͤhrten; eine derſelben hieng uͤber einem ſo erſchrecklichen Abgrund, daß ſie fuͤrchterlich maleriſch ausſah. Inzwiſchen waren wir nun nach meinem Duͤnken gewiß in dem Garten Eden. Davon bin ich uͤberzeugt, daß Eden nicht ſchoͤner geziert ſeyn konnte; denn Gott iſt hier ebenfalls der Gaͤrtner, und folg- lich kam alles um uns her gut fort, was das Geſicht, den Geruch und die Einbil- dungskraft befriedigen konnte. Denn die Myrthe, die Hagebutte, der Jesmin und alle kleinere Arten von aromatiſchen Stauden und Blumen bluͤheten auf allen Seiten dick und von ſelbſt um uns her, und unſre Fuͤße dufteten von dem Geruch des Laven- del, Rosmarin und Thymian, bis wir an die erſte friedſame Einſiedeley von St. Jacob gelangten. Wir beſahen den kleinen Garten des heiligen Einwohners, und wurden von der Nettigkeit und demuͤthigen Einfalt, die ihn in allen Stuͤcken charak- teriſirte, bezaubert. Seine kleine Kapelle, ſein Brunn, ſeine Weinlaube, ſeine hohe Cypreſſe und die Mauern ſeiner Zelle, die von allen Seiten mit Immergruͤn bewachſen und mit Blumen geziert waren, machten den Ort, wenn man auch die Lage abrechnet, bewundernswuͤrdig angenehm. Seine Thuͤr war zugemacht, und inwendig war alles todtſtille; wie ich aber anklopfte, ward ſie von dem ehrwuͤrdigen Bewohner geoͤffnet. Er trug ein braunes tuchnes Kleid; ſein Bart war ſehr lang, ſein Geſicht blaß, ſeine Manieren hoͤflich, aber er war mit der Betrachtung der Din- ge der zukuͤnftigen Welt zu ſehr beſchaͤftigt, als daß er mit ſolchen Dingen, wie wir, viel Zeit verlieren ſollen. Wir thaten daher nur einen Blick in ſein Gemach, und empfiengen ſeinen Segen. Hierauf gieng er von uns und hinterließ uns alles, was er in der Welt beſaß, außer ſeinem Strohbette, Buͤchern und Roſenkranz. Seine

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/237>, abgerufen am 22.11.2024.