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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Zweyter Abschnitt. Von den verschiedenen Charakteren
8.
Wasser.

Das Wasser ist in der Landschaft, was die Spiegel in einem Gebäude sind,
was das Auge an dem menschlichen Körper ist. Es ist, die Vergnügungen der
Fahrt und des Fischfangs nicht einmal gerechnet, so belebend, so erfrischend und frucht-
bar an Einwirkungen, daß seine Gegenwart überall gefällt, und seine Abwesenheit
auch in den schönsten Gegenden mit Bedauren empfunden wird. Schon in der Ferne
reizt ein Gewässer; und nach seiner Größe, Gestalt und Bewegung ist es nicht allein
mannigfaltiger Eindrücke voll, fondern es nimmt auch verschiedene vortheilhafte Ver-
bindungen mit andern Gegenständen an.

Die Ausdehnung und Tiefe des Gewässers ist eine Quelle sehr erhabener Em-
pfindungen. Ein plötzlicher Anblick weiter Massen von Wasser, als des Meeres,
wirket eine starke Ueberraschung; und bey der allmähligen Ueberraschung dieser unge-
heuern Scene verliert sich die Einbildungskraft in die Vorstellung der Unendlichkeit.
Allein so stark auch die Bewegungen sind, die durch das Anschauen des Meeres ent-
springen, so ermatten sie doch bald wieder durch das Einförmige, wenn die Einbil-
dungskraft nicht durch Schiffe und Fahrzeuge, deren Umhersegeln die Scene belebt,
erfrischt wird. Am längsten unterhalten ausgebreitete Gewässer, wenn sie nicht auf
einmal und in ihrer ganzen Strecke, sondern nach und nach, theilweise und in immer
abwechselnden Gesichtspunkten und Durchschnitten erblickt werden; eine Bemerkung,
wovon für unsre Gärten an der Ostsee noch wenig Gebrauch gemacht ist. Auch kleine
zerstreute Inseln von verschiedener Form unterbrechen die Einförmigkeit breiter Wasser-
flächen auf eine angenehme Art; wenn sie in merklichen Entfernungen von einander
liegen, geben sie einem See ein größeres Ansehen. Hohe Küsten, Felsspitzen, Vor-
gebirge, die auf irgend einer Seite in nicht zu weiter Ferne gesehen werden, sind eine
sehr anmuthige Begränzung. -- Bey größerm Gewässer ist es angenehmer, wenn
sein Ursprung und seine Gränze versteckt ist, wenn es an einen Wald oder in ein Ge-
büsch hinläuft, oder sich um einen Hügel herumschlängelt; die scheinbare Größe, die
es dadurch gewinnt, giebt der Einbildungskraft noch immer Beschäftigung, wenn
auch das Auge nichts mehr siehet.

Die Klarheit des Wassers macht seine vorzügliche Schönheit aus, und theilet
allen Gegenständen umher Munterkeit und Freude mit. Der Widerschein der Wol-
ken, der Bäume, der Gesträuche, der Hügel und der Gebäude macht eine der lieblich-
sten Stellen im Gemälde der Landschaft aus. Die Dunkelheit hingegen, die auf
Teichen und andern stillstehenden Gewässern ruhet, verbreitet Melancholie und Trau-

rigkeit.
Zweyter Abſchnitt. Von den verſchiedenen Charakteren
8.
Waſſer.

Das Waſſer iſt in der Landſchaft, was die Spiegel in einem Gebaͤude ſind,
was das Auge an dem menſchlichen Koͤrper iſt. Es iſt, die Vergnuͤgungen der
Fahrt und des Fiſchfangs nicht einmal gerechnet, ſo belebend, ſo erfriſchend und frucht-
bar an Einwirkungen, daß ſeine Gegenwart uͤberall gefaͤllt, und ſeine Abweſenheit
auch in den ſchoͤnſten Gegenden mit Bedauren empfunden wird. Schon in der Ferne
reizt ein Gewaͤſſer; und nach ſeiner Groͤße, Geſtalt und Bewegung iſt es nicht allein
mannigfaltiger Eindruͤcke voll, fondern es nimmt auch verſchiedene vortheilhafte Ver-
bindungen mit andern Gegenſtaͤnden an.

Die Ausdehnung und Tiefe des Gewaͤſſers iſt eine Quelle ſehr erhabener Em-
pfindungen. Ein ploͤtzlicher Anblick weiter Maſſen von Waſſer, als des Meeres,
wirket eine ſtarke Ueberraſchung; und bey der allmaͤhligen Ueberraſchung dieſer unge-
heuern Scene verliert ſich die Einbildungskraft in die Vorſtellung der Unendlichkeit.
Allein ſo ſtark auch die Bewegungen ſind, die durch das Anſchauen des Meeres ent-
ſpringen, ſo ermatten ſie doch bald wieder durch das Einfoͤrmige, wenn die Einbil-
dungskraft nicht durch Schiffe und Fahrzeuge, deren Umherſegeln die Scene belebt,
erfriſcht wird. Am laͤngſten unterhalten ausgebreitete Gewaͤſſer, wenn ſie nicht auf
einmal und in ihrer ganzen Strecke, ſondern nach und nach, theilweiſe und in immer
abwechſelnden Geſichtspunkten und Durchſchnitten erblickt werden; eine Bemerkung,
wovon fuͤr unſre Gaͤrten an der Oſtſee noch wenig Gebrauch gemacht iſt. Auch kleine
zerſtreute Inſeln von verſchiedener Form unterbrechen die Einfoͤrmigkeit breiter Waſſer-
flaͤchen auf eine angenehme Art; wenn ſie in merklichen Entfernungen von einander
liegen, geben ſie einem See ein groͤßeres Anſehen. Hohe Kuͤſten, Felsſpitzen, Vor-
gebirge, die auf irgend einer Seite in nicht zu weiter Ferne geſehen werden, ſind eine
ſehr anmuthige Begraͤnzung. — Bey groͤßerm Gewaͤſſer iſt es angenehmer, wenn
ſein Urſprung und ſeine Graͤnze verſteckt iſt, wenn es an einen Wald oder in ein Ge-
buͤſch hinlaͤuft, oder ſich um einen Huͤgel herumſchlaͤngelt; die ſcheinbare Groͤße, die
es dadurch gewinnt, giebt der Einbildungskraft noch immer Beſchaͤftigung, wenn
auch das Auge nichts mehr ſiehet.

Die Klarheit des Waſſers macht ſeine vorzuͤgliche Schoͤnheit aus, und theilet
allen Gegenſtaͤnden umher Munterkeit und Freude mit. Der Widerſchein der Wol-
ken, der Baͤume, der Geſtraͤuche, der Huͤgel und der Gebaͤude macht eine der lieblich-
ſten Stellen im Gemaͤlde der Landſchaft aus. Die Dunkelheit hingegen, die auf
Teichen und andern ſtillſtehenden Gewaͤſſern ruhet, verbreitet Melancholie und Trau-

rigkeit.
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[200/0214] Zweyter Abſchnitt. Von den verſchiedenen Charakteren 8. Waſſer. Das Waſſer iſt in der Landſchaft, was die Spiegel in einem Gebaͤude ſind, was das Auge an dem menſchlichen Koͤrper iſt. Es iſt, die Vergnuͤgungen der Fahrt und des Fiſchfangs nicht einmal gerechnet, ſo belebend, ſo erfriſchend und frucht- bar an Einwirkungen, daß ſeine Gegenwart uͤberall gefaͤllt, und ſeine Abweſenheit auch in den ſchoͤnſten Gegenden mit Bedauren empfunden wird. Schon in der Ferne reizt ein Gewaͤſſer; und nach ſeiner Groͤße, Geſtalt und Bewegung iſt es nicht allein mannigfaltiger Eindruͤcke voll, fondern es nimmt auch verſchiedene vortheilhafte Ver- bindungen mit andern Gegenſtaͤnden an. Die Ausdehnung und Tiefe des Gewaͤſſers iſt eine Quelle ſehr erhabener Em- pfindungen. Ein ploͤtzlicher Anblick weiter Maſſen von Waſſer, als des Meeres, wirket eine ſtarke Ueberraſchung; und bey der allmaͤhligen Ueberraſchung dieſer unge- heuern Scene verliert ſich die Einbildungskraft in die Vorſtellung der Unendlichkeit. Allein ſo ſtark auch die Bewegungen ſind, die durch das Anſchauen des Meeres ent- ſpringen, ſo ermatten ſie doch bald wieder durch das Einfoͤrmige, wenn die Einbil- dungskraft nicht durch Schiffe und Fahrzeuge, deren Umherſegeln die Scene belebt, erfriſcht wird. Am laͤngſten unterhalten ausgebreitete Gewaͤſſer, wenn ſie nicht auf einmal und in ihrer ganzen Strecke, ſondern nach und nach, theilweiſe und in immer abwechſelnden Geſichtspunkten und Durchſchnitten erblickt werden; eine Bemerkung, wovon fuͤr unſre Gaͤrten an der Oſtſee noch wenig Gebrauch gemacht iſt. Auch kleine zerſtreute Inſeln von verſchiedener Form unterbrechen die Einfoͤrmigkeit breiter Waſſer- flaͤchen auf eine angenehme Art; wenn ſie in merklichen Entfernungen von einander liegen, geben ſie einem See ein groͤßeres Anſehen. Hohe Kuͤſten, Felsſpitzen, Vor- gebirge, die auf irgend einer Seite in nicht zu weiter Ferne geſehen werden, ſind eine ſehr anmuthige Begraͤnzung. — Bey groͤßerm Gewaͤſſer iſt es angenehmer, wenn ſein Urſprung und ſeine Graͤnze verſteckt iſt, wenn es an einen Wald oder in ein Ge- buͤſch hinlaͤuft, oder ſich um einen Huͤgel herumſchlaͤngelt; die ſcheinbare Groͤße, die es dadurch gewinnt, giebt der Einbildungskraft noch immer Beſchaͤftigung, wenn auch das Auge nichts mehr ſiehet. Die Klarheit des Waſſers macht ſeine vorzuͤgliche Schoͤnheit aus, und theilet allen Gegenſtaͤnden umher Munterkeit und Freude mit. Der Widerſchein der Wol- ken, der Baͤume, der Geſtraͤuche, der Huͤgel und der Gebaͤude macht eine der lieblich- ſten Stellen im Gemaͤlde der Landſchaft aus. Die Dunkelheit hingegen, die auf Teichen und andern ſtillſtehenden Gewaͤſſern ruhet, verbreitet Melancholie und Trau- rigkeit.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/214>, abgerufen am 22.11.2024.