Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.Erster Abschnitt. Von den Gegenständen in der Nähe, bald in der Entfernung, bald frey, bald halb verdeckt, bald in dieser,bald in jener Stellung und Verbindung erblickt, kann er wenigstens auf einige Au- genblicke eine solche täuschende Wirkung gewinnen, als wenn an seiner Stelle immer ein ganz neuer Gegenstand hervorträte. In der Wissenschaft, durch neue Gesichts- punkte den Sachen selbst eine Art von Neuheit zu verschaffen, liegt einer der größten Vortheile für den Gartenkünstler. -- Daß auch in Abwechselung und in Bewegung Neuheit seyn kann, darf nur angezeigt und nicht erst entwickelt werden. Mit dem Neuen ist das Unerwartete zwar nicht einerley, aber doch nahe ver- Weil das öftere Wiedersehen einerley Gegenstände und die längere Bekannt- manche
Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden in der Naͤhe, bald in der Entfernung, bald frey, bald halb verdeckt, bald in dieſer,bald in jener Stellung und Verbindung erblickt, kann er wenigſtens auf einige Au- genblicke eine ſolche taͤuſchende Wirkung gewinnen, als wenn an ſeiner Stelle immer ein ganz neuer Gegenſtand hervortraͤte. In der Wiſſenſchaft, durch neue Geſichts- punkte den Sachen ſelbſt eine Art von Neuheit zu verſchaffen, liegt einer der groͤßten Vortheile fuͤr den Gartenkuͤnſtler. — Daß auch in Abwechſelung und in Bewegung Neuheit ſeyn kann, darf nur angezeigt und nicht erſt entwickelt werden. Mit dem Neuen iſt das Unerwartete zwar nicht einerley, aber doch nahe ver- Weil das oͤftere Wiederſehen einerley Gegenſtaͤnde und die laͤngere Bekannt- manche
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0192" n="178"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden</hi></fw><lb/> in der Naͤhe, bald in der Entfernung, bald frey, bald halb verdeckt, bald in dieſer,<lb/> bald in jener Stellung und Verbindung erblickt, kann er wenigſtens auf einige Au-<lb/> genblicke eine ſolche taͤuſchende Wirkung gewinnen, als wenn an ſeiner Stelle immer<lb/> ein ganz neuer Gegenſtand hervortraͤte. In der Wiſſenſchaft, durch neue Geſichts-<lb/> punkte den Sachen ſelbſt eine Art von Neuheit zu verſchaffen, liegt einer der groͤßten<lb/> Vortheile fuͤr den Gartenkuͤnſtler. — Daß auch in Abwechſelung und in Bewegung<lb/> Neuheit ſeyn kann, darf nur angezeigt und nicht erſt entwickelt werden.</p><lb/> <p>Mit dem Neuen iſt das Unerwartete zwar nicht einerley, aber doch nahe ver-<lb/> wandt. Die Wirkung des Neuen bey angenehmen Gegenſtaͤnden iſt Verwunderung,<lb/> die beluſtigt; die Wirkung des Unerwa<supplied>rteten</supplied> bey eben einer ſolchen Art von Gegen-<lb/> ſtaͤnden iſt Ueberraſchung, ein lebhafteres Gefuͤhl, das in einem hoͤhern Grade belu-<lb/> ſtigt. Es iſt ſichtbar, daß der Gegenſtand, der angenehm uͤberraſchen ſoll, auch<lb/> die dazu erforderlichen Eigenſchaften haben muß; und dabey wird man auch leicht<lb/> eingeſtehen, daß keine andere als ſolche Gegenſtaͤnde ſich fuͤr die Beſtimmung des<lb/> Gartens ſchicken, indem widrige, ekelhafte und fuͤrchterliche Ueberraſchungen nicht<lb/> damit uͤbereinſtimmen. Da Ueberraſchung aus der unerwarteten oder ploͤtzlichen<lb/> Erſcheinung eines Gegenſtandes entſteht, und indem ſie auf einmal die gewoͤhnliche<lb/> Folge unſrer Ideen unterbricht, ſich durch eine ſtarke Bewegung aͤußert; ſo iſt ſie<lb/> als ein treffliches Mittel anzuſehen, die Eindruͤcke eines Gartenplatzes, der dazu frey-<lb/> lich Ausdehnung und viel natuͤrliche Anlage haben muß, zu erhoͤhen.</p><lb/> <p>Weil das oͤftere Wiederſehen einerley Gegenſtaͤnde und die laͤngere Bekannt-<lb/> ſchaft mit ihnen, auch in den angenehmſten Gegenden, allmaͤhlig den Geſchmack an<lb/> denſelben ſchwaͤcht, eine gewoͤhnliche Wirkung, die nicht in den Dingen, ſondern in<lb/> der Einrichtung unſrer Natur ihren Grund hat; ſo ſoll das Unerwartete dem Ge-<lb/> ſchmack wieder eine Staͤrke geben. Die Beobachtung dieſes Geſetzes iſt nicht ohne<lb/> Schwierigkeit; und ſelbſt das, was das erſtemal unerwartet war und als unerwartet<lb/> uͤberraſchte, iſt es das zweyte und drittemal nicht mehr, wenigſtens nicht in dem<lb/> Grade, wie vorher. Die ganze Fuͤlle der Ueberraſchung gewaͤhrt die wunderbar bil-<lb/> dende Natur mehr dem Reiſenden in groͤßern Landſchaften, beſonders in denen, die<lb/> viele Huͤgel und Berge haben, wie die <hi rendition="#fr">Schweiz.</hi> Allein weil doch der Gartenkuͤnſt-<lb/> ler daran arbeiten ſoll, daß die Gegenſtaͤnde nicht blos unterhaltend bleiben, ſondern<lb/> auch lange und ſtark beſchaͤftigen; ſo ſoll er keine Gelegenheit verſaͤumen, wo er ange-<lb/> nehm uͤberraſchen kann. Hiezu kommt noch die Betrachtung, daß, wenn auch die<lb/> erſte Bewegung ſich wieder verliert, doch immer eine angenehme Wiedererinnerung<lb/> zuruͤckkehrt, ſo oft wir an den Ort kommen, wo die Ueberraſchung geſchah, oder den<lb/> Gegenſtand ſehen, der dieſe Wirkung auf uns hatte. Und wenn alljaͤhrlich ein ge-<lb/> wiſſer Aufwand fuͤr einen Garten gemacht werden kann, ſo wird es leicht ſeyn, durch<lb/> <fw place="bottom" type="catch">manche</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [178/0192]
Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden
in der Naͤhe, bald in der Entfernung, bald frey, bald halb verdeckt, bald in dieſer,
bald in jener Stellung und Verbindung erblickt, kann er wenigſtens auf einige Au-
genblicke eine ſolche taͤuſchende Wirkung gewinnen, als wenn an ſeiner Stelle immer
ein ganz neuer Gegenſtand hervortraͤte. In der Wiſſenſchaft, durch neue Geſichts-
punkte den Sachen ſelbſt eine Art von Neuheit zu verſchaffen, liegt einer der groͤßten
Vortheile fuͤr den Gartenkuͤnſtler. — Daß auch in Abwechſelung und in Bewegung
Neuheit ſeyn kann, darf nur angezeigt und nicht erſt entwickelt werden.
Mit dem Neuen iſt das Unerwartete zwar nicht einerley, aber doch nahe ver-
wandt. Die Wirkung des Neuen bey angenehmen Gegenſtaͤnden iſt Verwunderung,
die beluſtigt; die Wirkung des Unerwarteten bey eben einer ſolchen Art von Gegen-
ſtaͤnden iſt Ueberraſchung, ein lebhafteres Gefuͤhl, das in einem hoͤhern Grade belu-
ſtigt. Es iſt ſichtbar, daß der Gegenſtand, der angenehm uͤberraſchen ſoll, auch
die dazu erforderlichen Eigenſchaften haben muß; und dabey wird man auch leicht
eingeſtehen, daß keine andere als ſolche Gegenſtaͤnde ſich fuͤr die Beſtimmung des
Gartens ſchicken, indem widrige, ekelhafte und fuͤrchterliche Ueberraſchungen nicht
damit uͤbereinſtimmen. Da Ueberraſchung aus der unerwarteten oder ploͤtzlichen
Erſcheinung eines Gegenſtandes entſteht, und indem ſie auf einmal die gewoͤhnliche
Folge unſrer Ideen unterbricht, ſich durch eine ſtarke Bewegung aͤußert; ſo iſt ſie
als ein treffliches Mittel anzuſehen, die Eindruͤcke eines Gartenplatzes, der dazu frey-
lich Ausdehnung und viel natuͤrliche Anlage haben muß, zu erhoͤhen.
Weil das oͤftere Wiederſehen einerley Gegenſtaͤnde und die laͤngere Bekannt-
ſchaft mit ihnen, auch in den angenehmſten Gegenden, allmaͤhlig den Geſchmack an
denſelben ſchwaͤcht, eine gewoͤhnliche Wirkung, die nicht in den Dingen, ſondern in
der Einrichtung unſrer Natur ihren Grund hat; ſo ſoll das Unerwartete dem Ge-
ſchmack wieder eine Staͤrke geben. Die Beobachtung dieſes Geſetzes iſt nicht ohne
Schwierigkeit; und ſelbſt das, was das erſtemal unerwartet war und als unerwartet
uͤberraſchte, iſt es das zweyte und drittemal nicht mehr, wenigſtens nicht in dem
Grade, wie vorher. Die ganze Fuͤlle der Ueberraſchung gewaͤhrt die wunderbar bil-
dende Natur mehr dem Reiſenden in groͤßern Landſchaften, beſonders in denen, die
viele Huͤgel und Berge haben, wie die Schweiz. Allein weil doch der Gartenkuͤnſt-
ler daran arbeiten ſoll, daß die Gegenſtaͤnde nicht blos unterhaltend bleiben, ſondern
auch lange und ſtark beſchaͤftigen; ſo ſoll er keine Gelegenheit verſaͤumen, wo er ange-
nehm uͤberraſchen kann. Hiezu kommt noch die Betrachtung, daß, wenn auch die
erſte Bewegung ſich wieder verliert, doch immer eine angenehme Wiedererinnerung
zuruͤckkehrt, ſo oft wir an den Ort kommen, wo die Ueberraſchung geſchah, oder den
Gegenſtand ſehen, der dieſe Wirkung auf uns hatte. Und wenn alljaͤhrlich ein ge-
wiſſer Aufwand fuͤr einen Garten gemacht werden kann, ſo wird es leicht ſeyn, durch
manche
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |