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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Von den Gegenständen
kurz, sie vergessen nichts, was in ihren nachgebildeten Landschaften den Begriff der
Bewegung und des Lebens erzeugen kann. Weit mehr soll der Gartenkünstler auf
seinen Platz wirkliche Bewegung zu bringen suchen, weil das Vorbild der Natur und
das Bedürfniß seines Werks, zur Gewinnung einer höhern Kraft, ihn dazu auffor-
dert. Man findet gemeiniglich auch in den kleinsten Gärten springendes Wasser,
nicht, wie ich glaube, um allemal in diesem Stück die größern Gärten nachzuahmen,
sondern weil man es wirklich fühlt, wie viel Leben und Anmuth die Bewegung giebt.
In der That erfrischt nichts mehr, als Bewegung in landschaftlichen Gegenständen;
der schönste Baum gewinnt noch einen neuen Reiz, wenn ein sanfter Wind in seinen
Blättern spielt. Wenn der Gartenkünstler das Vergnügen der Bewegung erhalten
will, so scheint es, daß er auf diese Punkte seine Aufmerksamkeit richten muß.

1) So viel von seiner Wahl abhängt, finde er zu seinem Garten einen Platz
aus, bey welchem die umliegende Gegend bewegliche Aussichten (vues mou-
vantes
) gewährt, Aussichten auf Dörfer, Hügel, Felder und Wiesen, wo Heer-
den weiden und der Landmann arbeitet, auf Seen und Flüsse, die von segelnden
Fahrzeugen und Fischern belebt werden, auf Landstraßen in der Ferne, die mit hin
und her wandelnden Figuren bedeckt sind u. s. w.
2) Will er im Garten selbst Bewegung anbringen, so suche er sie in Gegen-
ständen, die ihrer Natur nach einer Bewegung fähig sind. Er vermeide also die
gewöhnlichen Kinderspiele und Künsteleyen, wodurch man unbewegliche Gegen-
stände in Bewegung zu setzen sucht, in der falschen Meynung, dadurch eine gar-
tenmäßige Verzierung hervorzubringen.
3) Weil zu viel oder zu starke Bewegung zerstreut oder betäubt, so bemühe
er sich um eine gemäßigte Bewegung. Ein brausender Wasserfall, der durch den
ganzen Garten stark vernommen wird, stört die Empfindung der sanftern Schön-
heiten, welche die übrigen Gegenstände einflößen. Die tobenden Wasserkünste
sind oft eine Art von Ungeheuern in den Gärten geworden. Ein gelinder Wasser-
fall hingegen erfrischt das Auge und das Ohr durch seine Bewegung.
4) Er überlege, durch welche Mittel er Bewegung und Leben hervorbringen
kann. Nicht alles hat ihm die Natur überlassen; nicht alles ist auch gleichschick-
lich, was er liefern kann. Die Bewegung der Luft und der Wolken, wodurch
die Natur die Schöpfung allmächtig belebt, behielt sie sich vor; aber sie verstattet
ihm, seinen Platz durch andere Mittel zu beleben. Er kann das Wasser bald
stärker, bald gelinder fließen, es von Absätzen sich hinunterwälzen oder von jähen
Anhöhen herabstürzen lassen; er kann es leiten und vertheilen, wo er will. Er
kann seine schlanken Bäume und Gebüsche dem Winde freystellen. Er kann durch
seine

Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden
kurz, ſie vergeſſen nichts, was in ihren nachgebildeten Landſchaften den Begriff der
Bewegung und des Lebens erzeugen kann. Weit mehr ſoll der Gartenkuͤnſtler auf
ſeinen Platz wirkliche Bewegung zu bringen ſuchen, weil das Vorbild der Natur und
das Beduͤrfniß ſeines Werks, zur Gewinnung einer hoͤhern Kraft, ihn dazu auffor-
dert. Man findet gemeiniglich auch in den kleinſten Gaͤrten ſpringendes Waſſer,
nicht, wie ich glaube, um allemal in dieſem Stuͤck die groͤßern Gaͤrten nachzuahmen,
ſondern weil man es wirklich fuͤhlt, wie viel Leben und Anmuth die Bewegung giebt.
In der That erfriſcht nichts mehr, als Bewegung in landſchaftlichen Gegenſtaͤnden;
der ſchoͤnſte Baum gewinnt noch einen neuen Reiz, wenn ein ſanfter Wind in ſeinen
Blaͤttern ſpielt. Wenn der Gartenkuͤnſtler das Vergnuͤgen der Bewegung erhalten
will, ſo ſcheint es, daß er auf dieſe Punkte ſeine Aufmerkſamkeit richten muß.

1) So viel von ſeiner Wahl abhaͤngt, finde er zu ſeinem Garten einen Platz
aus, bey welchem die umliegende Gegend bewegliche Ausſichten (vues mou-
vantes
) gewaͤhrt, Ausſichten auf Doͤrfer, Huͤgel, Felder und Wieſen, wo Heer-
den weiden und der Landmann arbeitet, auf Seen und Fluͤſſe, die von ſegelnden
Fahrzeugen und Fiſchern belebt werden, auf Landſtraßen in der Ferne, die mit hin
und her wandelnden Figuren bedeckt ſind u. ſ. w.
2) Will er im Garten ſelbſt Bewegung anbringen, ſo ſuche er ſie in Gegen-
ſtaͤnden, die ihrer Natur nach einer Bewegung faͤhig ſind. Er vermeide alſo die
gewoͤhnlichen Kinderſpiele und Kuͤnſteleyen, wodurch man unbewegliche Gegen-
ſtaͤnde in Bewegung zu ſetzen ſucht, in der falſchen Meynung, dadurch eine gar-
tenmaͤßige Verzierung hervorzubringen.
3) Weil zu viel oder zu ſtarke Bewegung zerſtreut oder betaͤubt, ſo bemuͤhe
er ſich um eine gemaͤßigte Bewegung. Ein brauſender Waſſerfall, der durch den
ganzen Garten ſtark vernommen wird, ſtoͤrt die Empfindung der ſanftern Schoͤn-
heiten, welche die uͤbrigen Gegenſtaͤnde einfloͤßen. Die tobenden Waſſerkuͤnſte
ſind oft eine Art von Ungeheuern in den Gaͤrten geworden. Ein gelinder Waſſer-
fall hingegen erfriſcht das Auge und das Ohr durch ſeine Bewegung.
4) Er uͤberlege, durch welche Mittel er Bewegung und Leben hervorbringen
kann. Nicht alles hat ihm die Natur uͤberlaſſen; nicht alles iſt auch gleichſchick-
lich, was er liefern kann. Die Bewegung der Luft und der Wolken, wodurch
die Natur die Schoͤpfung allmaͤchtig belebt, behielt ſie ſich vor; aber ſie verſtattet
ihm, ſeinen Platz durch andere Mittel zu beleben. Er kann das Waſſer bald
ſtaͤrker, bald gelinder fließen, es von Abſaͤtzen ſich hinunterwaͤlzen oder von jaͤhen
Anhoͤhen herabſtuͤrzen laſſen; er kann es leiten und vertheilen, wo er will. Er
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[172/0186] Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden kurz, ſie vergeſſen nichts, was in ihren nachgebildeten Landſchaften den Begriff der Bewegung und des Lebens erzeugen kann. Weit mehr ſoll der Gartenkuͤnſtler auf ſeinen Platz wirkliche Bewegung zu bringen ſuchen, weil das Vorbild der Natur und das Beduͤrfniß ſeines Werks, zur Gewinnung einer hoͤhern Kraft, ihn dazu auffor- dert. Man findet gemeiniglich auch in den kleinſten Gaͤrten ſpringendes Waſſer, nicht, wie ich glaube, um allemal in dieſem Stuͤck die groͤßern Gaͤrten nachzuahmen, ſondern weil man es wirklich fuͤhlt, wie viel Leben und Anmuth die Bewegung giebt. In der That erfriſcht nichts mehr, als Bewegung in landſchaftlichen Gegenſtaͤnden; der ſchoͤnſte Baum gewinnt noch einen neuen Reiz, wenn ein ſanfter Wind in ſeinen Blaͤttern ſpielt. Wenn der Gartenkuͤnſtler das Vergnuͤgen der Bewegung erhalten will, ſo ſcheint es, daß er auf dieſe Punkte ſeine Aufmerkſamkeit richten muß. 1) So viel von ſeiner Wahl abhaͤngt, finde er zu ſeinem Garten einen Platz aus, bey welchem die umliegende Gegend bewegliche Ausſichten (vues mou- vantes) gewaͤhrt, Ausſichten auf Doͤrfer, Huͤgel, Felder und Wieſen, wo Heer- den weiden und der Landmann arbeitet, auf Seen und Fluͤſſe, die von ſegelnden Fahrzeugen und Fiſchern belebt werden, auf Landſtraßen in der Ferne, die mit hin und her wandelnden Figuren bedeckt ſind u. ſ. w. 2) Will er im Garten ſelbſt Bewegung anbringen, ſo ſuche er ſie in Gegen- ſtaͤnden, die ihrer Natur nach einer Bewegung faͤhig ſind. Er vermeide alſo die gewoͤhnlichen Kinderſpiele und Kuͤnſteleyen, wodurch man unbewegliche Gegen- ſtaͤnde in Bewegung zu ſetzen ſucht, in der falſchen Meynung, dadurch eine gar- tenmaͤßige Verzierung hervorzubringen. 3) Weil zu viel oder zu ſtarke Bewegung zerſtreut oder betaͤubt, ſo bemuͤhe er ſich um eine gemaͤßigte Bewegung. Ein brauſender Waſſerfall, der durch den ganzen Garten ſtark vernommen wird, ſtoͤrt die Empfindung der ſanftern Schoͤn- heiten, welche die uͤbrigen Gegenſtaͤnde einfloͤßen. Die tobenden Waſſerkuͤnſte ſind oft eine Art von Ungeheuern in den Gaͤrten geworden. Ein gelinder Waſſer- fall hingegen erfriſcht das Auge und das Ohr durch ſeine Bewegung. 4) Er uͤberlege, durch welche Mittel er Bewegung und Leben hervorbringen kann. Nicht alles hat ihm die Natur uͤberlaſſen; nicht alles iſt auch gleichſchick- lich, was er liefern kann. Die Bewegung der Luft und der Wolken, wodurch die Natur die Schoͤpfung allmaͤchtig belebt, behielt ſie ſich vor; aber ſie verſtattet ihm, ſeinen Platz durch andere Mittel zu beleben. Er kann das Waſſer bald ſtaͤrker, bald gelinder fließen, es von Abſaͤtzen ſich hinunterwaͤlzen oder von jaͤhen Anhoͤhen herabſtuͤrzen laſſen; er kann es leiten und vertheilen, wo er will. Er kann ſeine ſchlanken Baͤume und Gebuͤſche dem Winde freyſtellen. Er kann durch ſeine

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/186>, abgerufen am 24.11.2024.