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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der schönen ländlichen Natur überhaupt.
und Verschmelzungen, durch abwechselnde und unerwartete Einfälle des Lichts, durch
Spiel und Widerschein ein Schauspiel vorstellen, welches das Auge in der weiten
Schöpfung nicht prächtiger oder schöner finden kann. Und diesen Schauplatz der
Farbenergötzung eröffnet die Natur nicht blos dem Landschaftmaler, sondern auch sei-
nem Nebenbuhler, dem Gartenkünstler.

Man werfe das Auge auf eine reiche Blumenflur, besonders wenn das königli-
che Geschlecht der Tulpen blühet. Was für eine wunderbare Mannigfaltigkeit und
Herrlichkeit der Farben! Es ist kaum zu begreifen, wie der Britte sein sonst so
empfindliches Auge diesen Schönheiten weniger zu gönnen scheint, da indessen der
Holländer sie als den höchsten Reiz der Gärten ansieht. Wenn gleich ein Garten
oder Park ohne Blumen schön seyn kann, und ein Platz mit den herrlichsten Blumen
erfüllt noch kein Garten ist; so bietet doch die Natur allein schon durch die Farben der
Blumen, wenn wir auch nicht auf ihre balsamischen Ausduftungen achten wollen,
so viel Ergötzung an, daß man, ohne ungerecht zu seyn, sie im Garten nicht ganz
vernachläßigen kann.

So groß auch die Farbenpracht im Blumenreiche ist, so wird sie doch von einem
andern Schauspiel noch übertroffen. Dieses Schauspiel, das erhabenste und schönste
der uns sichtbaren Natur, auch in Ansehung der Farben, ist die Morgenröthe und die
untergehende Sonne, mit den unendlich abwechselnden Erscheinungen, die sie beglei-
ten: ein Schauspiel, das die größten Dichter zu den trefflichsten Beschreibungen ent-
zückte, das einen Lukas van Uden und einen Claude Gille'e, und neben ihnen so
viele malerische Genies zu Nachbildungen begeisterte, so weit sie nur der Kunst er-
reichbar waren; aber auch ein Schauspiel, das selbst gröbern Werkzeugen des Auges
seine Schönheit empfindbar eindrückt. Immer habe ich manche Landhäuser und
Gärten mit einem geheimen Mitleiden angesehen, die durch umzingelnde Gebäude,
Mauern oder hohe Bäume der freyen Aussicht auf dieses höchfte Schauspiel der Na-
tur beraubt sind. Möchte doch nie der Baumeister und der Gartenkünstler vergessen,
dem Auge die Oeffnung zu lassen, wodurch es den Genuß des herrlichsten Anblicks
in der Schöpfung gewinnen kann!

Aber außer der kurzen Pracht der Farben im Blumenreich und beym Aufgange
und Untergange der Sonne, hat die Natur für eine zwar weniger herrliche, allein
dauerhaftere, Schönheit der Farben in der allgemeinen Bekleidung der Landschaft ge-
sorgt. Das Grüne, wohlthätig stärkend und erquickend für das Auge, ist die Haupt-
farbe der schönen Landschaft. Aber welche unendliche Abwechselung dieser Farbe durch
Erhöhung, Verminderung und Verschmelzung, schon in einer einzigen Gegend, und
zwar nicht blos durch die Wirkung der allmählig entweichenden und duftigen Ferne,

sondern
I Band. Y

der ſchoͤnen laͤndlichen Natur uͤberhaupt.
und Verſchmelzungen, durch abwechſelnde und unerwartete Einfaͤlle des Lichts, durch
Spiel und Widerſchein ein Schauſpiel vorſtellen, welches das Auge in der weiten
Schoͤpfung nicht praͤchtiger oder ſchoͤner finden kann. Und dieſen Schauplatz der
Farbenergoͤtzung eroͤffnet die Natur nicht blos dem Landſchaftmaler, ſondern auch ſei-
nem Nebenbuhler, dem Gartenkuͤnſtler.

Man werfe das Auge auf eine reiche Blumenflur, beſonders wenn das koͤnigli-
che Geſchlecht der Tulpen bluͤhet. Was fuͤr eine wunderbare Mannigfaltigkeit und
Herrlichkeit der Farben! Es iſt kaum zu begreifen, wie der Britte ſein ſonſt ſo
empfindliches Auge dieſen Schoͤnheiten weniger zu goͤnnen ſcheint, da indeſſen der
Hollaͤnder ſie als den hoͤchſten Reiz der Gaͤrten anſieht. Wenn gleich ein Garten
oder Park ohne Blumen ſchoͤn ſeyn kann, und ein Platz mit den herrlichſten Blumen
erfuͤllt noch kein Garten iſt; ſo bietet doch die Natur allein ſchon durch die Farben der
Blumen, wenn wir auch nicht auf ihre balſamiſchen Ausduftungen achten wollen,
ſo viel Ergoͤtzung an, daß man, ohne ungerecht zu ſeyn, ſie im Garten nicht ganz
vernachlaͤßigen kann.

So groß auch die Farbenpracht im Blumenreiche iſt, ſo wird ſie doch von einem
andern Schauſpiel noch uͤbertroffen. Dieſes Schauſpiel, das erhabenſte und ſchoͤnſte
der uns ſichtbaren Natur, auch in Anſehung der Farben, iſt die Morgenroͤthe und die
untergehende Sonne, mit den unendlich abwechſelnden Erſcheinungen, die ſie beglei-
ten: ein Schauſpiel, das die groͤßten Dichter zu den trefflichſten Beſchreibungen ent-
zuͤckte, das einen Lukas van Uden und einen Claude Gille’e, und neben ihnen ſo
viele maleriſche Genies zu Nachbildungen begeiſterte, ſo weit ſie nur der Kunſt er-
reichbar waren; aber auch ein Schauſpiel, das ſelbſt groͤbern Werkzeugen des Auges
ſeine Schoͤnheit empfindbar eindruͤckt. Immer habe ich manche Landhaͤuſer und
Gaͤrten mit einem geheimen Mitleiden angeſehen, die durch umzingelnde Gebaͤude,
Mauern oder hohe Baͤume der freyen Ausſicht auf dieſes hoͤchfte Schauſpiel der Na-
tur beraubt ſind. Moͤchte doch nie der Baumeiſter und der Gartenkuͤnſtler vergeſſen,
dem Auge die Oeffnung zu laſſen, wodurch es den Genuß des herrlichſten Anblicks
in der Schoͤpfung gewinnen kann!

Aber außer der kurzen Pracht der Farben im Blumenreich und beym Aufgange
und Untergange der Sonne, hat die Natur fuͤr eine zwar weniger herrliche, allein
dauerhaftere, Schoͤnheit der Farben in der allgemeinen Bekleidung der Landſchaft ge-
ſorgt. Das Gruͤne, wohlthaͤtig ſtaͤrkend und erquickend fuͤr das Auge, iſt die Haupt-
farbe der ſchoͤnen Landſchaft. Aber welche unendliche Abwechſelung dieſer Farbe durch
Erhoͤhung, Verminderung und Verſchmelzung, ſchon in einer einzigen Gegend, und
zwar nicht blos durch die Wirkung der allmaͤhlig entweichenden und duftigen Ferne,

ſondern
I Band. Y
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[169/0183] der ſchoͤnen laͤndlichen Natur uͤberhaupt. und Verſchmelzungen, durch abwechſelnde und unerwartete Einfaͤlle des Lichts, durch Spiel und Widerſchein ein Schauſpiel vorſtellen, welches das Auge in der weiten Schoͤpfung nicht praͤchtiger oder ſchoͤner finden kann. Und dieſen Schauplatz der Farbenergoͤtzung eroͤffnet die Natur nicht blos dem Landſchaftmaler, ſondern auch ſei- nem Nebenbuhler, dem Gartenkuͤnſtler. Man werfe das Auge auf eine reiche Blumenflur, beſonders wenn das koͤnigli- che Geſchlecht der Tulpen bluͤhet. Was fuͤr eine wunderbare Mannigfaltigkeit und Herrlichkeit der Farben! Es iſt kaum zu begreifen, wie der Britte ſein ſonſt ſo empfindliches Auge dieſen Schoͤnheiten weniger zu goͤnnen ſcheint, da indeſſen der Hollaͤnder ſie als den hoͤchſten Reiz der Gaͤrten anſieht. Wenn gleich ein Garten oder Park ohne Blumen ſchoͤn ſeyn kann, und ein Platz mit den herrlichſten Blumen erfuͤllt noch kein Garten iſt; ſo bietet doch die Natur allein ſchon durch die Farben der Blumen, wenn wir auch nicht auf ihre balſamiſchen Ausduftungen achten wollen, ſo viel Ergoͤtzung an, daß man, ohne ungerecht zu ſeyn, ſie im Garten nicht ganz vernachlaͤßigen kann. So groß auch die Farbenpracht im Blumenreiche iſt, ſo wird ſie doch von einem andern Schauſpiel noch uͤbertroffen. Dieſes Schauſpiel, das erhabenſte und ſchoͤnſte der uns ſichtbaren Natur, auch in Anſehung der Farben, iſt die Morgenroͤthe und die untergehende Sonne, mit den unendlich abwechſelnden Erſcheinungen, die ſie beglei- ten: ein Schauſpiel, das die groͤßten Dichter zu den trefflichſten Beſchreibungen ent- zuͤckte, das einen Lukas van Uden und einen Claude Gille’e, und neben ihnen ſo viele maleriſche Genies zu Nachbildungen begeiſterte, ſo weit ſie nur der Kunſt er- reichbar waren; aber auch ein Schauſpiel, das ſelbſt groͤbern Werkzeugen des Auges ſeine Schoͤnheit empfindbar eindruͤckt. Immer habe ich manche Landhaͤuſer und Gaͤrten mit einem geheimen Mitleiden angeſehen, die durch umzingelnde Gebaͤude, Mauern oder hohe Baͤume der freyen Ausſicht auf dieſes hoͤchfte Schauſpiel der Na- tur beraubt ſind. Moͤchte doch nie der Baumeiſter und der Gartenkuͤnſtler vergeſſen, dem Auge die Oeffnung zu laſſen, wodurch es den Genuß des herrlichſten Anblicks in der Schoͤpfung gewinnen kann! Aber außer der kurzen Pracht der Farben im Blumenreich und beym Aufgange und Untergange der Sonne, hat die Natur fuͤr eine zwar weniger herrliche, allein dauerhaftere, Schoͤnheit der Farben in der allgemeinen Bekleidung der Landſchaft ge- ſorgt. Das Gruͤne, wohlthaͤtig ſtaͤrkend und erquickend fuͤr das Auge, iſt die Haupt- farbe der ſchoͤnen Landſchaft. Aber welche unendliche Abwechſelung dieſer Farbe durch Erhoͤhung, Verminderung und Verſchmelzung, ſchon in einer einzigen Gegend, und zwar nicht blos durch die Wirkung der allmaͤhlig entweichenden und duftigen Ferne, ſondern I Band. Y

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/183>, abgerufen am 24.11.2024.