Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.und des neuen Geschmacks in den Gärten. Die gar zu zärtliche Anhängigkeit an der neuen Manier hat noch eine sehr ver- Man wird diese Vorwürfe nicht beschuldigen, daß sie übertrieben sind. Ich Dem Deutschen ist es nicht anständig, in seinen Gärten bloßer Nachahmer manches
und des neuen Geſchmacks in den Gaͤrten. Die gar zu zaͤrtliche Anhaͤngigkeit an der neuen Manier hat noch eine ſehr ver- Man wird dieſe Vorwuͤrfe nicht beſchuldigen, daß ſie uͤbertrieben ſind. Ich Dem Deutſchen iſt es nicht anſtaͤndig, in ſeinen Gaͤrten bloßer Nachahmer manches
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und des neuen Geſchmacks in den Gaͤrten.
Die gar zu zaͤrtliche Anhaͤngigkeit an der neuen Manier hat noch eine ſehr ver-
derbliche Wirkung: ſie verleitet zu Verwuͤſtungen. Indem ſie ganz nach ihrem Ei-
genſinn alles in das Gleis der Natur zu bringen vorgiebt, zerſtoͤrt ſie nicht ſelten die
Natur ſelbſt oder doch Anpflanzungen, welche die Natur mit Vergnuͤgen gedeihen
ließ. „Die Axt,“ klagt Chambers, „hat oft in einem Tage den Wuchs einiger
Jahrhunderte verheeret, und tauſend ehrwuͤrdige Pflanzen, ganze Waͤlder davon
ſind weggehauen worden, um ſchlechtem Gras und wenigem amerikaniſchen Un-
kraut Platz zu machen. Unſere Kuͤnſtler haben von Landsend an bis an den Twend
kaum einen Acker Schatten, kaum drey Baͤume in einer Linie gelaſſen; und wenn
ihre Verwuͤſtungslaune noch laͤnger zu raſen fortfaͤhrt, ſo wird im ganzen Koͤnigreich
kein Waldbaum mehr ſtehen bleiben.“ Ohne Zweifel iſt dieſe Klage etwas uͤber-
trieben. Aber gewiß bleibt es immer, daß die Ausbreitung des englaͤndiſchen Ge-
ſchmacks hie und da, und beſonders in Frankreich, zu mancher blinden Verheerung
ſchoͤner Anpflanzungen verfuͤhrt hat. Man hat ſelbſt angefangen, die Alleen in den
Gaͤrten zu Verſailles niederzureißen, die doch, weil ſie einmal da waren, als Gaͤr-
ten fuͤr oͤffentliche Spaziergaͤnge, als Muſter der ſymmetriſchen Gattung, haͤtten
verſchonet werden ſollen. So wenig weiß man, wenn einmal die Nachahmungs-
ſucht treibt, ſich auf dem rechten Punkt ſtillſtehend zu erhalten.
Man wird dieſe Vorwuͤrfe nicht beſchuldigen, daß ſie uͤbertrieben ſind. Ich
verehre den Geiſt der Britten auch in ihren Parks; ich opfere den großen Verdien-
ſten, die ſie um die Verbeſſerung der Gartenkunſt beſitzen; und ich bin nichts weniger
als geneigt, den unmaͤßigen und ungegruͤndeten Tadel zu billigen, den einige par-
teyiſche Verfechter der alten Manier ſich noch immer zu erlauben fortfahren. Es
ſey mir indeſſen vergoͤnnt, mit einer Anmerkung zu ſchließen, die fuͤr meine Lands-
leute gehoͤrt.
Dem Deutſchen iſt es nicht anſtaͤndig, in ſeinen Gaͤrten bloßer Nachahmer
zu ſeyn, ihm, der andere Nationen in ſo mancher Wiſſenſchaft und Kunſt uͤbertrifft.
Es iſt alſo ſehr weit von mir entfernt, blinde Nachahmung anzurathen, da er Geiſt
und Erfindung genug hat, um ſich ſeinen eigenen Weg zu waͤhlen. Alles ohne ei-
gene Pruͤfung, ohne eigene Ueberzeugung, daß es wahr und ſchoͤn ſey, nachmachen,
weil man es bey andern ſieht, das iſt ſklaviſche Nachfolge. Aber von andern Na-
tionen dieſes oder jenes aufnehmen, was man ſelbſt nach angeſtellter Ueberlegung fuͤr
wahr und ſchoͤn erkennen und billigen muß, was man ſelbſt bey ſeinem Klima, bey
ſeinen Landeinrichtungen, bey ſeinen Beduͤrfniſſen anwendbar findet, das iſt vernuͤnf-
tiger Gebrauch der Kenntniſſe. Auf ſolche Weiſe laͤßt ſich in der Gartenkunſt auch
manches
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