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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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und des neuen Geschmacks in den Gärten.
in Deutschland, in Norden, selbst in den ältern Zeiten in England an. [Spaltenumbruch] *) Fast
überall hat er aus den Gärten Laubstädte, aus den Fußwegen Straßen, aus den Ge-
büschen Mauern mit Pfeilern, Wölbungen, Schwibbögen und Fenstern, Cabinette,
Speisesäle, Tanzsäle, Theater, aus einzelnen Bäumen Pyramiden, Obelisken oder
andere seltsame Figuren geformt; fast überall das genaueste Ebenmaaß und die sorg-
fältigste Regelmäßigkeit eingeführt, wo eine Laube der andern, eine Statue der an-
dern, ein Blumenstück dem andern, eine Wasserkunst der andern zuwinkt, wo Frey-
heit, Mannigfaltigkeit und schöne Unordnung von der Genauigkeit ganz verschlungen
sind. Ein regelmäßiges Viereck, eine ganz gerade Ebene, oft durch mühsame Weg-
schaffung der natürlichen Erhöhungen erzwungen, ein breiter Hauptweg in der Mitte,
zu den Seiten eine gerade Hecke oder Allee, zuweilen in possirliche Figuren geschoren,
an den Ecken ein roth angestrichenes Lusthäuschen, Fluren mit bunten Steinchen und
Glas belegt, dann ein mit Buchsbaum oder Porcellainstücken gezogenes Wapen des
hochadelichen Besitzers, Landungeheuer, die Wasser spieen, Waldmänner, die es
aus ihren Brüsten spritzten, eine ganze Völkerschaft von Puppen vom blitzschleudern-
den Zevs bis auf den bockfüßigen Satyr -- dies war ungefähr der niedliche Ge-
schmack in einer langen Reihe der neuern Zeiten, der die Natur gerade da verdrängte,
wo sie vorzüglich ihren reizenden Wohnsitz haben sollte, und der durch die unerträg-
lichste Art von Symmetrie und alberner Künsteley ermüdete. Und wenn diese kleinen
Spielwerke, die man so häufig in die Gärten aufnahm, auch nicht eben zum franzö-
sischen
Geschmack gehörten, so waren sie doch durch ihn veranlaßt und eine natürliche
Folge von ihm. Fast die meisten Gärten konnten nicht leicht eine Ueberschrift am
Eingange finden, die für ihren Charakter treffender gewesen wäre, als diese:

Der Garten ist sehr schön geschmückt!
Hier Statuen und dort Cascaden;
Die ganze Götterzunft, hier Faunen, dort Najaden,
Und schöne Nymphen, die sich baden;
Und Gold vom Ganges hergeschickt,
Und Muschelwerk und güldne Vasen,
Und Porcellan auf ausgeschnittnen Rasen,
Und buntes Gitterwerk, und -- eines such ich nur --
Ists möglich, daß was fehlt? Nichts weiter -- die Natur. **)
Die
*) Delices de la Grand-Bretagne &c.
par Beeverell. Leide 1707. Tom. V.

wo eine Menge von Rissen und Abbildun-
gen der ältern engländischen Gärten vor-
[Spaltenumbruch] kömmt. Der Vitruvius Britannicus, fol.
1731. Tom.
3. enthält ebenfalls viele
Gartenrisse in der alten Manier.
**) Weiße.

und des neuen Geſchmacks in den Gaͤrten.
in Deutſchland, in Norden, ſelbſt in den aͤltern Zeiten in England an. [Spaltenumbruch] *) Faſt
uͤberall hat er aus den Gaͤrten Laubſtaͤdte, aus den Fußwegen Straßen, aus den Ge-
buͤſchen Mauern mit Pfeilern, Woͤlbungen, Schwibboͤgen und Fenſtern, Cabinette,
Speiſeſaͤle, Tanzſaͤle, Theater, aus einzelnen Baͤumen Pyramiden, Obelisken oder
andere ſeltſame Figuren geformt; faſt uͤberall das genaueſte Ebenmaaß und die ſorg-
faͤltigſte Regelmaͤßigkeit eingefuͤhrt, wo eine Laube der andern, eine Statue der an-
dern, ein Blumenſtuͤck dem andern, eine Waſſerkunſt der andern zuwinkt, wo Frey-
heit, Mannigfaltigkeit und ſchoͤne Unordnung von der Genauigkeit ganz verſchlungen
ſind. Ein regelmaͤßiges Viereck, eine ganz gerade Ebene, oft durch muͤhſame Weg-
ſchaffung der natuͤrlichen Erhoͤhungen erzwungen, ein breiter Hauptweg in der Mitte,
zu den Seiten eine gerade Hecke oder Allee, zuweilen in poſſirliche Figuren geſchoren,
an den Ecken ein roth angeſtrichenes Luſthaͤuschen, Fluren mit bunten Steinchen und
Glas belegt, dann ein mit Buchsbaum oder Porcellainſtuͤcken gezogenes Wapen des
hochadelichen Beſitzers, Landungeheuer, die Waſſer ſpieen, Waldmaͤnner, die es
aus ihren Bruͤſten ſpritzten, eine ganze Voͤlkerſchaft von Puppen vom blitzſchleudern-
den Zevs bis auf den bockfuͤßigen Satyr — dies war ungefaͤhr der niedliche Ge-
ſchmack in einer langen Reihe der neuern Zeiten, der die Natur gerade da verdraͤngte,
wo ſie vorzuͤglich ihren reizenden Wohnſitz haben ſollte, und der durch die unertraͤg-
lichſte Art von Symmetrie und alberner Kuͤnſteley ermuͤdete. Und wenn dieſe kleinen
Spielwerke, die man ſo haͤufig in die Gaͤrten aufnahm, auch nicht eben zum franzoͤ-
ſiſchen
Geſchmack gehoͤrten, ſo waren ſie doch durch ihn veranlaßt und eine natuͤrliche
Folge von ihm. Faſt die meiſten Gaͤrten konnten nicht leicht eine Ueberſchrift am
Eingange finden, die fuͤr ihren Charakter treffender geweſen waͤre, als dieſe:

Der Garten iſt ſehr ſchoͤn geſchmuͤckt!
Hier Statuen und dort Caſcaden;
Die ganze Goͤtterzunft, hier Faunen, dort Najaden,
Und ſchoͤne Nymphen, die ſich baden;
Und Gold vom Ganges hergeſchickt,
Und Muſchelwerk und guͤldne Vaſen,
Und Porcellan auf ausgeſchnittnen Raſen,
Und buntes Gitterwerk, und — eines ſuch ich nur —
Iſts moͤglich, daß was fehlt? Nichts weiter — die Natur. **)
Die
*) Délices de la Grand-Bretagne &c.
par Beeverell. Leide 1707. Tom. V.

wo eine Menge von Riſſen und Abbildun-
gen der aͤltern englaͤndiſchen Gaͤrten vor-
[Spaltenumbruch] koͤmmt. Der Vitruvius Britannicus, fol.
1731. Tom.
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Gartenriſſe in der alten Manier.
**) Weiße.
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[119/0133] und des neuen Geſchmacks in den Gaͤrten. in Deutſchland, in Norden, ſelbſt in den aͤltern Zeiten in England an. *) Faſt uͤberall hat er aus den Gaͤrten Laubſtaͤdte, aus den Fußwegen Straßen, aus den Ge- buͤſchen Mauern mit Pfeilern, Woͤlbungen, Schwibboͤgen und Fenſtern, Cabinette, Speiſeſaͤle, Tanzſaͤle, Theater, aus einzelnen Baͤumen Pyramiden, Obelisken oder andere ſeltſame Figuren geformt; faſt uͤberall das genaueſte Ebenmaaß und die ſorg- faͤltigſte Regelmaͤßigkeit eingefuͤhrt, wo eine Laube der andern, eine Statue der an- dern, ein Blumenſtuͤck dem andern, eine Waſſerkunſt der andern zuwinkt, wo Frey- heit, Mannigfaltigkeit und ſchoͤne Unordnung von der Genauigkeit ganz verſchlungen ſind. Ein regelmaͤßiges Viereck, eine ganz gerade Ebene, oft durch muͤhſame Weg- ſchaffung der natuͤrlichen Erhoͤhungen erzwungen, ein breiter Hauptweg in der Mitte, zu den Seiten eine gerade Hecke oder Allee, zuweilen in poſſirliche Figuren geſchoren, an den Ecken ein roth angeſtrichenes Luſthaͤuschen, Fluren mit bunten Steinchen und Glas belegt, dann ein mit Buchsbaum oder Porcellainſtuͤcken gezogenes Wapen des hochadelichen Beſitzers, Landungeheuer, die Waſſer ſpieen, Waldmaͤnner, die es aus ihren Bruͤſten ſpritzten, eine ganze Voͤlkerſchaft von Puppen vom blitzſchleudern- den Zevs bis auf den bockfuͤßigen Satyr — dies war ungefaͤhr der niedliche Ge- ſchmack in einer langen Reihe der neuern Zeiten, der die Natur gerade da verdraͤngte, wo ſie vorzuͤglich ihren reizenden Wohnſitz haben ſollte, und der durch die unertraͤg- lichſte Art von Symmetrie und alberner Kuͤnſteley ermuͤdete. Und wenn dieſe kleinen Spielwerke, die man ſo haͤufig in die Gaͤrten aufnahm, auch nicht eben zum franzoͤ- ſiſchen Geſchmack gehoͤrten, ſo waren ſie doch durch ihn veranlaßt und eine natuͤrliche Folge von ihm. Faſt die meiſten Gaͤrten konnten nicht leicht eine Ueberſchrift am Eingange finden, die fuͤr ihren Charakter treffender geweſen waͤre, als dieſe: Der Garten iſt ſehr ſchoͤn geſchmuͤckt! Hier Statuen und dort Caſcaden; Die ganze Goͤtterzunft, hier Faunen, dort Najaden, Und ſchoͤne Nymphen, die ſich baden; Und Gold vom Ganges hergeſchickt, Und Muſchelwerk und guͤldne Vaſen, Und Porcellan auf ausgeſchnittnen Raſen, Und buntes Gitterwerk, und — eines ſuch ich nur — Iſts moͤglich, daß was fehlt? Nichts weiter — die Natur. **) Die *) Délices de la Grand-Bretagne &c. par Beeverell. Leide 1707. Tom. V. wo eine Menge von Riſſen und Abbildun- gen der aͤltern englaͤndiſchen Gaͤrten vor- koͤmmt. Der Vitruvius Britannicus, fol. 1731. Tom. 3. enthaͤlt ebenfalls viele Gartenriſſe in der alten Manier. **) Weiße.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/133>, abgerufen am 22.11.2024.