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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten
päer erkennt da überall unsere Pflanzen, Blumen und Bäume, Apfelbäume, Birn-
bäume, Pflaumen, Apricosen, Nüsse und Weinstöcke mit ihren Früchten beladen.
In der Hauptstadt, die den Namen des Königreichs führt, hat jedes Haus seinen
anmuthigen Garten, die alle an dem Ufer eines ausgedehnten Sees liegen. Die
Schönheit des Sees wird durch eine Menge kleiner Inseln vermehrt, die gleichsam
so viele allezeit grünende Gärten vorstellen, weil sie voll Obstbäume und mit großblät-
terigen Espen von einer erstaunlichen Höhe eingefaßt sind. Ueber dem See auf den
Abhängen der Berge entdeckt man nichts als Lusthäuser und Gärten. Die Natur
scheint so schöne Oerter nur zu diesem Gebrauche bestimmt zu haben. Sie sind voll
Quellen und Bäche. Die Luft ist da allezeit rein. Von allen Seiten hat man die
Aussicht auf den See, die Inseln und die Stadt. Der schönste dieser Gärten ist der
königliche. Man geht in denselben vermittelst eines großen mit Rasen eingefaßten
Canals, der sich fünfhundert Schritte weit zwischen zwo schönen Alleen von Pappel-
bäumen streckt. Er führet an den Fuß eines großen Lusthauses, das sich in der
Mitte des Gartens befindet, und da fängt ein anderer viel prächtigerer Canal an,
der bis an das Aeußere der Einfassung geht. Dieser zweyte Canal ist mit großen
Bruchsteinen gepflastert. Seine Ufer von eben dem Stein erheben sich schief; und
in der Mitte sieht man von funfzehn zu funfzehn Schritten eine lange Reihe von
Wasserkünsten, ohne viele andere mitzurechnen, die hie und da in verschiedenen run-
den Wasserbehältnissen, womit er eingefaßt ist, springen. Er endigt sich am Fuße
eines andern, jenem sehr ähnlichen Lusthauses. Diese Lusthäuser sind wie runde
Thürmchen bedeckt, und auf dem Wasser selbst zwischen den beyden großen Alleen
von Pappelbäumen erbauet. Sie haben eine Gallerie, die rings um sie geht, und
vier einander gegenüber stehende Thüren. Zwo derselben gehen nach den Alleen,
wohin man über Brücken kömmt; zwo andere auf die gegenüber liegenden Canäle.
Jedes Lusthaus besteht aus einem großen Saale in der Mitte von vier Cabinettern,
welche die vier Ecken ausmachen. Alles ist inwendig gemalt und vergoldet, und mit
Sprüchen von großen persischen Buchstaben gezieret. Bernier fügt zu dieser Be-
schreibung hinzu, daß die Mogolen mit Recht Kachimir das irdische Paradies in
Indien nennten, und daß alle witzige Köpfe unter ihnen sogleich nach ihrer An-
kunft sich bestrebten, die Reize dieses Landes in verschiedenen schönen Gedichten zu
preisen.

Wie manche Gegenden, wo die Natur ohne den Beystand der Kunst eine
Menge ihrer zauberischen Schönheiten verschwendet hat, liegen nicht hie und da in
einem Winkel oder auf entfernten Inseln versteckt und unbewundert! Jahrhunderte
vergehen oft, ehe ein empfindsamer Beobachter sie bemerkt, unterdessen sie nicht auf-

hören,

Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten
paͤer erkennt da uͤberall unſere Pflanzen, Blumen und Baͤume, Apfelbaͤume, Birn-
baͤume, Pflaumen, Apricoſen, Nuͤſſe und Weinſtoͤcke mit ihren Fruͤchten beladen.
In der Hauptſtadt, die den Namen des Koͤnigreichs fuͤhrt, hat jedes Haus ſeinen
anmuthigen Garten, die alle an dem Ufer eines ausgedehnten Sees liegen. Die
Schoͤnheit des Sees wird durch eine Menge kleiner Inſeln vermehrt, die gleichſam
ſo viele allezeit gruͤnende Gaͤrten vorſtellen, weil ſie voll Obſtbaͤume und mit großblaͤt-
terigen Eſpen von einer erſtaunlichen Hoͤhe eingefaßt ſind. Ueber dem See auf den
Abhaͤngen der Berge entdeckt man nichts als Luſthaͤuſer und Gaͤrten. Die Natur
ſcheint ſo ſchoͤne Oerter nur zu dieſem Gebrauche beſtimmt zu haben. Sie ſind voll
Quellen und Baͤche. Die Luft iſt da allezeit rein. Von allen Seiten hat man die
Ausſicht auf den See, die Inſeln und die Stadt. Der ſchoͤnſte dieſer Gaͤrten iſt der
koͤnigliche. Man geht in denſelben vermittelſt eines großen mit Raſen eingefaßten
Canals, der ſich fuͤnfhundert Schritte weit zwiſchen zwo ſchoͤnen Alleen von Pappel-
baͤumen ſtreckt. Er fuͤhret an den Fuß eines großen Luſthauſes, das ſich in der
Mitte des Gartens befindet, und da faͤngt ein anderer viel praͤchtigerer Canal an,
der bis an das Aeußere der Einfaſſung geht. Dieſer zweyte Canal iſt mit großen
Bruchſteinen gepflaſtert. Seine Ufer von eben dem Stein erheben ſich ſchief; und
in der Mitte ſieht man von funfzehn zu funfzehn Schritten eine lange Reihe von
Waſſerkuͤnſten, ohne viele andere mitzurechnen, die hie und da in verſchiedenen run-
den Waſſerbehaͤltniſſen, womit er eingefaßt iſt, ſpringen. Er endigt ſich am Fuße
eines andern, jenem ſehr aͤhnlichen Luſthauſes. Dieſe Luſthaͤuſer ſind wie runde
Thuͤrmchen bedeckt, und auf dem Waſſer ſelbſt zwiſchen den beyden großen Alleen
von Pappelbaͤumen erbauet. Sie haben eine Gallerie, die rings um ſie geht, und
vier einander gegenuͤber ſtehende Thuͤren. Zwo derſelben gehen nach den Alleen,
wohin man uͤber Bruͤcken koͤmmt; zwo andere auf die gegenuͤber liegenden Canaͤle.
Jedes Luſthaus beſteht aus einem großen Saale in der Mitte von vier Cabinettern,
welche die vier Ecken ausmachen. Alles iſt inwendig gemalt und vergoldet, und mit
Spruͤchen von großen perſiſchen Buchſtaben gezieret. Bernier fuͤgt zu dieſer Be-
ſchreibung hinzu, daß die Mogolen mit Recht Kachimir das irdiſche Paradies in
Indien nennten, und daß alle witzige Koͤpfe unter ihnen ſogleich nach ihrer An-
kunft ſich beſtrebten, die Reize dieſes Landes in verſchiedenen ſchoͤnen Gedichten zu
preiſen.

Wie manche Gegenden, wo die Natur ohne den Beyſtand der Kunſt eine
Menge ihrer zauberiſchen Schoͤnheiten verſchwendet hat, liegen nicht hie und da in
einem Winkel oder auf entfernten Inſeln verſteckt und unbewundert! Jahrhunderte
vergehen oft, ehe ein empfindſamer Beobachter ſie bemerkt, unterdeſſen ſie nicht auf-

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[110/0124] Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten paͤer erkennt da uͤberall unſere Pflanzen, Blumen und Baͤume, Apfelbaͤume, Birn- baͤume, Pflaumen, Apricoſen, Nuͤſſe und Weinſtoͤcke mit ihren Fruͤchten beladen. In der Hauptſtadt, die den Namen des Koͤnigreichs fuͤhrt, hat jedes Haus ſeinen anmuthigen Garten, die alle an dem Ufer eines ausgedehnten Sees liegen. Die Schoͤnheit des Sees wird durch eine Menge kleiner Inſeln vermehrt, die gleichſam ſo viele allezeit gruͤnende Gaͤrten vorſtellen, weil ſie voll Obſtbaͤume und mit großblaͤt- terigen Eſpen von einer erſtaunlichen Hoͤhe eingefaßt ſind. Ueber dem See auf den Abhaͤngen der Berge entdeckt man nichts als Luſthaͤuſer und Gaͤrten. Die Natur ſcheint ſo ſchoͤne Oerter nur zu dieſem Gebrauche beſtimmt zu haben. Sie ſind voll Quellen und Baͤche. Die Luft iſt da allezeit rein. Von allen Seiten hat man die Ausſicht auf den See, die Inſeln und die Stadt. Der ſchoͤnſte dieſer Gaͤrten iſt der koͤnigliche. Man geht in denſelben vermittelſt eines großen mit Raſen eingefaßten Canals, der ſich fuͤnfhundert Schritte weit zwiſchen zwo ſchoͤnen Alleen von Pappel- baͤumen ſtreckt. Er fuͤhret an den Fuß eines großen Luſthauſes, das ſich in der Mitte des Gartens befindet, und da faͤngt ein anderer viel praͤchtigerer Canal an, der bis an das Aeußere der Einfaſſung geht. Dieſer zweyte Canal iſt mit großen Bruchſteinen gepflaſtert. Seine Ufer von eben dem Stein erheben ſich ſchief; und in der Mitte ſieht man von funfzehn zu funfzehn Schritten eine lange Reihe von Waſſerkuͤnſten, ohne viele andere mitzurechnen, die hie und da in verſchiedenen run- den Waſſerbehaͤltniſſen, womit er eingefaßt iſt, ſpringen. Er endigt ſich am Fuße eines andern, jenem ſehr aͤhnlichen Luſthauſes. Dieſe Luſthaͤuſer ſind wie runde Thuͤrmchen bedeckt, und auf dem Waſſer ſelbſt zwiſchen den beyden großen Alleen von Pappelbaͤumen erbauet. Sie haben eine Gallerie, die rings um ſie geht, und vier einander gegenuͤber ſtehende Thuͤren. Zwo derſelben gehen nach den Alleen, wohin man uͤber Bruͤcken koͤmmt; zwo andere auf die gegenuͤber liegenden Canaͤle. Jedes Luſthaus beſteht aus einem großen Saale in der Mitte von vier Cabinettern, welche die vier Ecken ausmachen. Alles iſt inwendig gemalt und vergoldet, und mit Spruͤchen von großen perſiſchen Buchſtaben gezieret. Bernier fuͤgt zu dieſer Be- ſchreibung hinzu, daß die Mogolen mit Recht Kachimir das irdiſche Paradies in Indien nennten, und daß alle witzige Koͤpfe unter ihnen ſogleich nach ihrer An- kunft ſich beſtrebten, die Reize dieſes Landes in verſchiedenen ſchoͤnen Gedichten zu preiſen. Wie manche Gegenden, wo die Natur ohne den Beyſtand der Kunſt eine Menge ihrer zauberiſchen Schoͤnheiten verſchwendet hat, liegen nicht hie und da in einem Winkel oder auf entfernten Inſeln verſteckt und unbewundert! Jahrhunderte vergehen oft, ehe ein empfindſamer Beobachter ſie bemerkt, unterdeſſen ſie nicht auf- hoͤren,

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/124>, abgerufen am 22.11.2024.