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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der Alten und der Neuen.
die einen starken Geruch von sich gaben. Die Gebüsche und Wälder waren alle frisch
und anmuthig; nichts schien verwelkt und abfallend, sondern alles lachte. Die Lust
war heiter und ertönte vom Gesang der Vögel. Die Schiffe und das Meer waren
in einer mittelmäßigen Entfernung. Wohin das Auge irrete, da zeigten sich überall
neue Annehmlichkeiten in einer wunderbaren Mannigfaltigkeit von Gegenständen, die
diesen Aufenthalt reizender machten, als je das berühmte Tempe der Alten gewe-
sen ist.

Bernier, der als ein feiner Beobachter so viele weite Reisen gethan, behaup-
tet, *) es gäbe kein Land in der Welt, das in einem so kleinen Umfang so viel Schön-
heiten vereinigte, als das Königreich Kachimir, das am äußersten Ende von Ind-
ostan
liegt, von den Bergen des Caucasus, und zwischen den Gebirgen von groß
und klein Thibet und Raja-Gamon eingeschlossen. Es ist eine sehr schöne Land-
schaft voll kleiner Hügel, die nicht weniger als dreyßig Meilen Länge und zehn oder
zwölf Meilen Breite hat. Die ersten Berge, die Kachimir begränzen, das ist,
die an die Ebene reichen, sind von mittelmäßiger Höhe, mit Bäumen und Viehwei-
den bedeckt, wo man Kühe, Schafe, Ziegen und Pferde findet. Unter verschiede-
nen Arten von Wildprete, als Rebhüner, Hasen, Gazellen, sieht man auch viele
Bienen. Aber, welches in Indien sehr selten ist, man findet da nie Schlangen,
Tiger, Bären oder Löwen. Bernier sagt daher, man könne sie die unschuldigen
Berge nennen, auf welchen Milch und Honig fließt, wie im gelobten Lande. Ueber
diese erheben sich andere höhere, deren Gipfel allezeit mit Schnee bedeckt ist, und
stets, über die Gegend der Wolken erhoben, ruhig und helle scheint. Von allen die-
sen Bergen fallen überall unzählige Quellen und Bäche herab, welche die Einwohner
in ihre Reißfelder, und vermittelst großer Erddämme selbst auf ihre Hügel zu leiten
wissen. Nachdem diese schönen Gewässer viele Wasserfälle und Bäche gemacht ha-
ben, so vereinigen sie sich endlich, einen Fluß von der Größe der Seine zu bilden,
der langsam das Königreich umfließt, durch die Hauptstadt geht, und seinen Aus-
gang zu Baramoule zwischen zween steilen Felsen findet, von da er sich in verschie-
dene Abstürze zertheilt, eine Menge kleiner Flüsse, die von den Bergen herabkom-
men, fortnimmt und endlich in den Indus fällt. So viel Bäche, die von allen
Bergen herabfließen, machen die Felder und Hügel ungemein fruchtbar; man sollte
alles für einen großen Garten ansehen, in welchem sich Flecken und Dörfer befinden,
wovon man eine Menge zwischen den Bäumen entdeckt. Zur Abwechselung erblickt
man Wiesen, Reißfelder, Fluren voll Getraide, Safran und allerley Hülsenfrüchte,
unter welchen Canäle in mannigfaltigen Gestalten sich durchschlingen. Ein Euro-

päer
*) Allgemeine Historie der Reisen u. s. w. IIter B. S. 115-117.
O 3

der Alten und der Neuen.
die einen ſtarken Geruch von ſich gaben. Die Gebuͤſche und Waͤlder waren alle friſch
und anmuthig; nichts ſchien verwelkt und abfallend, ſondern alles lachte. Die Luſt
war heiter und ertoͤnte vom Geſang der Voͤgel. Die Schiffe und das Meer waren
in einer mittelmaͤßigen Entfernung. Wohin das Auge irrete, da zeigten ſich uͤberall
neue Annehmlichkeiten in einer wunderbaren Mannigfaltigkeit von Gegenſtaͤnden, die
dieſen Aufenthalt reizender machten, als je das beruͤhmte Tempe der Alten gewe-
ſen iſt.

Bernier, der als ein feiner Beobachter ſo viele weite Reiſen gethan, behaup-
tet, *) es gaͤbe kein Land in der Welt, das in einem ſo kleinen Umfang ſo viel Schoͤn-
heiten vereinigte, als das Koͤnigreich Kachimir, das am aͤußerſten Ende von Ind-
oſtan
liegt, von den Bergen des Caucaſus, und zwiſchen den Gebirgen von groß
und klein Thibet und Raja-Gamon eingeſchloſſen. Es iſt eine ſehr ſchoͤne Land-
ſchaft voll kleiner Huͤgel, die nicht weniger als dreyßig Meilen Laͤnge und zehn oder
zwoͤlf Meilen Breite hat. Die erſten Berge, die Kachimir begraͤnzen, das iſt,
die an die Ebene reichen, ſind von mittelmaͤßiger Hoͤhe, mit Baͤumen und Viehwei-
den bedeckt, wo man Kuͤhe, Schafe, Ziegen und Pferde findet. Unter verſchiede-
nen Arten von Wildprete, als Rebhuͤner, Haſen, Gazellen, ſieht man auch viele
Bienen. Aber, welches in Indien ſehr ſelten iſt, man findet da nie Schlangen,
Tiger, Baͤren oder Loͤwen. Bernier ſagt daher, man koͤnne ſie die unſchuldigen
Berge nennen, auf welchen Milch und Honig fließt, wie im gelobten Lande. Ueber
dieſe erheben ſich andere hoͤhere, deren Gipfel allezeit mit Schnee bedeckt iſt, und
ſtets, uͤber die Gegend der Wolken erhoben, ruhig und helle ſcheint. Von allen die-
ſen Bergen fallen uͤberall unzaͤhlige Quellen und Baͤche herab, welche die Einwohner
in ihre Reißfelder, und vermittelſt großer Erddaͤmme ſelbſt auf ihre Huͤgel zu leiten
wiſſen. Nachdem dieſe ſchoͤnen Gewaͤſſer viele Waſſerfaͤlle und Baͤche gemacht ha-
ben, ſo vereinigen ſie ſich endlich, einen Fluß von der Groͤße der Seine zu bilden,
der langſam das Koͤnigreich umfließt, durch die Hauptſtadt geht, und ſeinen Aus-
gang zu Baramoule zwiſchen zween ſteilen Felſen findet, von da er ſich in verſchie-
dene Abſtuͤrze zertheilt, eine Menge kleiner Fluͤſſe, die von den Bergen herabkom-
men, fortnimmt und endlich in den Indus faͤllt. So viel Baͤche, die von allen
Bergen herabfließen, machen die Felder und Huͤgel ungemein fruchtbar; man ſollte
alles fuͤr einen großen Garten anſehen, in welchem ſich Flecken und Doͤrfer befinden,
wovon man eine Menge zwiſchen den Baͤumen entdeckt. Zur Abwechſelung erblickt
man Wieſen, Reißfelder, Fluren voll Getraide, Safran und allerley Huͤlſenfruͤchte,
unter welchen Canaͤle in mannigfaltigen Geſtalten ſich durchſchlingen. Ein Euro-

paͤer
*) Allgemeine Hiſtorie der Reiſen u. ſ. w. IIter B. S. 115-117.
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[109/0123] der Alten und der Neuen. die einen ſtarken Geruch von ſich gaben. Die Gebuͤſche und Waͤlder waren alle friſch und anmuthig; nichts ſchien verwelkt und abfallend, ſondern alles lachte. Die Luſt war heiter und ertoͤnte vom Geſang der Voͤgel. Die Schiffe und das Meer waren in einer mittelmaͤßigen Entfernung. Wohin das Auge irrete, da zeigten ſich uͤberall neue Annehmlichkeiten in einer wunderbaren Mannigfaltigkeit von Gegenſtaͤnden, die dieſen Aufenthalt reizender machten, als je das beruͤhmte Tempe der Alten gewe- ſen iſt. Bernier, der als ein feiner Beobachter ſo viele weite Reiſen gethan, behaup- tet, *) es gaͤbe kein Land in der Welt, das in einem ſo kleinen Umfang ſo viel Schoͤn- heiten vereinigte, als das Koͤnigreich Kachimir, das am aͤußerſten Ende von Ind- oſtan liegt, von den Bergen des Caucaſus, und zwiſchen den Gebirgen von groß und klein Thibet und Raja-Gamon eingeſchloſſen. Es iſt eine ſehr ſchoͤne Land- ſchaft voll kleiner Huͤgel, die nicht weniger als dreyßig Meilen Laͤnge und zehn oder zwoͤlf Meilen Breite hat. Die erſten Berge, die Kachimir begraͤnzen, das iſt, die an die Ebene reichen, ſind von mittelmaͤßiger Hoͤhe, mit Baͤumen und Viehwei- den bedeckt, wo man Kuͤhe, Schafe, Ziegen und Pferde findet. Unter verſchiede- nen Arten von Wildprete, als Rebhuͤner, Haſen, Gazellen, ſieht man auch viele Bienen. Aber, welches in Indien ſehr ſelten iſt, man findet da nie Schlangen, Tiger, Baͤren oder Loͤwen. Bernier ſagt daher, man koͤnne ſie die unſchuldigen Berge nennen, auf welchen Milch und Honig fließt, wie im gelobten Lande. Ueber dieſe erheben ſich andere hoͤhere, deren Gipfel allezeit mit Schnee bedeckt iſt, und ſtets, uͤber die Gegend der Wolken erhoben, ruhig und helle ſcheint. Von allen die- ſen Bergen fallen uͤberall unzaͤhlige Quellen und Baͤche herab, welche die Einwohner in ihre Reißfelder, und vermittelſt großer Erddaͤmme ſelbſt auf ihre Huͤgel zu leiten wiſſen. Nachdem dieſe ſchoͤnen Gewaͤſſer viele Waſſerfaͤlle und Baͤche gemacht ha- ben, ſo vereinigen ſie ſich endlich, einen Fluß von der Groͤße der Seine zu bilden, der langſam das Koͤnigreich umfließt, durch die Hauptſtadt geht, und ſeinen Aus- gang zu Baramoule zwiſchen zween ſteilen Felſen findet, von da er ſich in verſchie- dene Abſtuͤrze zertheilt, eine Menge kleiner Fluͤſſe, die von den Bergen herabkom- men, fortnimmt und endlich in den Indus faͤllt. So viel Baͤche, die von allen Bergen herabfließen, machen die Felder und Huͤgel ungemein fruchtbar; man ſollte alles fuͤr einen großen Garten anſehen, in welchem ſich Flecken und Doͤrfer befinden, wovon man eine Menge zwiſchen den Baͤumen entdeckt. Zur Abwechſelung erblickt man Wieſen, Reißfelder, Fluren voll Getraide, Safran und allerley Huͤlſenfruͤchte, unter welchen Canaͤle in mannigfaltigen Geſtalten ſich durchſchlingen. Ein Euro- paͤer *) Allgemeine Hiſtorie der Reiſen u. ſ. w. IIter B. S. 115-117. O 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/123>, abgerufen am 25.11.2024.