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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der Alten und der Neuen.

In der Anlage der Gebäude äußern die chinesischen Künstler eine solche Beur-
theilungskraft, daß sie dadurch die einzelnen Prospecte bereichern und verschönern,
und gleichwohl dabey dem allgemeinen Anblick des Ganzen, aus welchem beynahe
durchgehends die Natur hervorsticht, nichts benehmen. Denn ungeachtet ihre Gär-
ten voll von Gebäuden und andern Kunstwerken sind, so kann man sie doch aus vielen
Gesichtspunkten nicht wahrnehmen, oder man sieht davon nicht mehr, als höchstens
zwey oder drey; so künstlich werden sie in Thälern, hinter Felsen und Bergen, oder
zwischen Gehölze und dickem Gesträuche versteckt.

Aber nichts destoweniger giebt es in den meisten chinesischen Gärten der Ab-
wechselung wegen gewisse Plätze, die den Scenen einer außerordentlichen Natur ge-
widmet sind; wo man alle, oder doch den größten Theil der Gebäude mit einem Blick
übersehen kann, indem sie in amphitheatralischer Ordnung hintereinander hervorragen,
sich eine ziemliche Strecke weit ausdehnen, und durch ihre seltsamen Verbindungen
die prächtigste Unordnung machen, die man sich nur denken kann.

Unter die interessantischen Theile der chinesischen Anpflanzungen gehören ihre
mit schattigen Bäumen besetzte offene Plätze. Man sucht ihnen die angenehmste
Lage zu geben, und sie mit allen Arten natürlicher Schönheiten auszuschmücken. Der
Boden, worauf diese Lustwäldchen gepflanzt sind, ist gemeiniglich uneben, aber nicht
rauh: entweder auf einer Ebene, wo viele Hügel sanft aufschwellen, an dem gelinden
Abhange eines Berges, der über reiche Aussichten herrscht; oder in Thälern, die mit
Wäldern umgeben, und von Quellen und Bächen durchwässert werden. Die, wel-
che frey liegen, sind gemeiniglich mit blumigen Wiesen, weiten Kornfeldern oder
Seen umgeben. Die chinesischen Künstler glauben, daß das Glänzende und
Muntere dieser Gegenstände einen angenehmen Contrast mit dem Dunkeln des Hai-
nes mache; und wenn sie mit Heckengebüschen oder sparsam gepflanzten Gehölzen
umgeben sind, so ist die Anpflanzung so angelegt, daß von jedem Zugange ein Theil
des Lustwäldchens versteckt bleibt, der sodann, wenn er sich dem Auge des Kommen-
den nach und nach öffnet, seine Neubegierde stufenweise befriedigt. Die Bäume,
mit blühenden Gesträuchen untermischt, stehen nicht gedrängt aneinander, sondern es
ist zwischen ihnen so viel Raum gelassen, daß man sich auf den Rasen bequem nieder-
setzen oder spazieren gehen kann. Der Rasen bleibt wegen seiner schattenreichen Lage
beständig grün, und ist im Frühling mit einer Menge allerley frühzeitiger Blumen,
als Veilchen, Krokus, Tuberosen, Schlüsselblumen, Hyacinthen, Aurikeln, Schnee-
glöckchen und Narcissen geschmückt. Zuweilen pflanzen sie auch diese offenen Haine
von Limonen, Orangen, Citronen, Myrthenbäumen; zuweilen von allerhand Gat-
tungen wohlgebildeter Fruchtbäume, die, wenn sie Blüthen tragen, und ihre Früchte

reifen,
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der Alten und der Neuen.

In der Anlage der Gebaͤude aͤußern die chineſiſchen Kuͤnſtler eine ſolche Beur-
theilungskraft, daß ſie dadurch die einzelnen Proſpecte bereichern und verſchoͤnern,
und gleichwohl dabey dem allgemeinen Anblick des Ganzen, aus welchem beynahe
durchgehends die Natur hervorſticht, nichts benehmen. Denn ungeachtet ihre Gaͤr-
ten voll von Gebaͤuden und andern Kunſtwerken ſind, ſo kann man ſie doch aus vielen
Geſichtspunkten nicht wahrnehmen, oder man ſieht davon nicht mehr, als hoͤchſtens
zwey oder drey; ſo kuͤnſtlich werden ſie in Thaͤlern, hinter Felſen und Bergen, oder
zwiſchen Gehoͤlze und dickem Geſtraͤuche verſteckt.

Aber nichts deſtoweniger giebt es in den meiſten chineſiſchen Gaͤrten der Ab-
wechſelung wegen gewiſſe Plaͤtze, die den Scenen einer außerordentlichen Natur ge-
widmet ſind; wo man alle, oder doch den groͤßten Theil der Gebaͤude mit einem Blick
uͤberſehen kann, indem ſie in amphitheatraliſcher Ordnung hintereinander hervorragen,
ſich eine ziemliche Strecke weit ausdehnen, und durch ihre ſeltſamen Verbindungen
die praͤchtigſte Unordnung machen, die man ſich nur denken kann.

Unter die intereſſantiſchen Theile der chineſiſchen Anpflanzungen gehoͤren ihre
mit ſchattigen Baͤumen beſetzte offene Plaͤtze. Man ſucht ihnen die angenehmſte
Lage zu geben, und ſie mit allen Arten natuͤrlicher Schoͤnheiten auszuſchmuͤcken. Der
Boden, worauf dieſe Luſtwaͤldchen gepflanzt ſind, iſt gemeiniglich uneben, aber nicht
rauh: entweder auf einer Ebene, wo viele Huͤgel ſanft aufſchwellen, an dem gelinden
Abhange eines Berges, der uͤber reiche Ausſichten herrſcht; oder in Thaͤlern, die mit
Waͤldern umgeben, und von Quellen und Baͤchen durchwaͤſſert werden. Die, wel-
che frey liegen, ſind gemeiniglich mit blumigen Wieſen, weiten Kornfeldern oder
Seen umgeben. Die chineſiſchen Kuͤnſtler glauben, daß das Glaͤnzende und
Muntere dieſer Gegenſtaͤnde einen angenehmen Contraſt mit dem Dunkeln des Hai-
nes mache; und wenn ſie mit Heckengebuͤſchen oder ſparſam gepflanzten Gehoͤlzen
umgeben ſind, ſo iſt die Anpflanzung ſo angelegt, daß von jedem Zugange ein Theil
des Luſtwaͤldchens verſteckt bleibt, der ſodann, wenn er ſich dem Auge des Kommen-
den nach und nach oͤffnet, ſeine Neubegierde ſtufenweiſe befriedigt. Die Baͤume,
mit bluͤhenden Geſtraͤuchen untermiſcht, ſtehen nicht gedraͤngt aneinander, ſondern es
iſt zwiſchen ihnen ſo viel Raum gelaſſen, daß man ſich auf den Raſen bequem nieder-
ſetzen oder ſpazieren gehen kann. Der Raſen bleibt wegen ſeiner ſchattenreichen Lage
beſtaͤndig gruͤn, und iſt im Fruͤhling mit einer Menge allerley fruͤhzeitiger Blumen,
als Veilchen, Krokus, Tuberoſen, Schluͤſſelblumen, Hyacinthen, Aurikeln, Schnee-
gloͤckchen und Narciſſen geſchmuͤckt. Zuweilen pflanzen ſie auch dieſe offenen Haine
von Limonen, Orangen, Citronen, Myrthenbaͤumen; zuweilen von allerhand Gat-
tungen wohlgebildeter Fruchtbaͤume, die, wenn ſie Bluͤthen tragen, und ihre Fruͤchte

reifen,
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[93/0107] der Alten und der Neuen. In der Anlage der Gebaͤude aͤußern die chineſiſchen Kuͤnſtler eine ſolche Beur- theilungskraft, daß ſie dadurch die einzelnen Proſpecte bereichern und verſchoͤnern, und gleichwohl dabey dem allgemeinen Anblick des Ganzen, aus welchem beynahe durchgehends die Natur hervorſticht, nichts benehmen. Denn ungeachtet ihre Gaͤr- ten voll von Gebaͤuden und andern Kunſtwerken ſind, ſo kann man ſie doch aus vielen Geſichtspunkten nicht wahrnehmen, oder man ſieht davon nicht mehr, als hoͤchſtens zwey oder drey; ſo kuͤnſtlich werden ſie in Thaͤlern, hinter Felſen und Bergen, oder zwiſchen Gehoͤlze und dickem Geſtraͤuche verſteckt. Aber nichts deſtoweniger giebt es in den meiſten chineſiſchen Gaͤrten der Ab- wechſelung wegen gewiſſe Plaͤtze, die den Scenen einer außerordentlichen Natur ge- widmet ſind; wo man alle, oder doch den groͤßten Theil der Gebaͤude mit einem Blick uͤberſehen kann, indem ſie in amphitheatraliſcher Ordnung hintereinander hervorragen, ſich eine ziemliche Strecke weit ausdehnen, und durch ihre ſeltſamen Verbindungen die praͤchtigſte Unordnung machen, die man ſich nur denken kann. Unter die intereſſantiſchen Theile der chineſiſchen Anpflanzungen gehoͤren ihre mit ſchattigen Baͤumen beſetzte offene Plaͤtze. Man ſucht ihnen die angenehmſte Lage zu geben, und ſie mit allen Arten natuͤrlicher Schoͤnheiten auszuſchmuͤcken. Der Boden, worauf dieſe Luſtwaͤldchen gepflanzt ſind, iſt gemeiniglich uneben, aber nicht rauh: entweder auf einer Ebene, wo viele Huͤgel ſanft aufſchwellen, an dem gelinden Abhange eines Berges, der uͤber reiche Ausſichten herrſcht; oder in Thaͤlern, die mit Waͤldern umgeben, und von Quellen und Baͤchen durchwaͤſſert werden. Die, wel- che frey liegen, ſind gemeiniglich mit blumigen Wieſen, weiten Kornfeldern oder Seen umgeben. Die chineſiſchen Kuͤnſtler glauben, daß das Glaͤnzende und Muntere dieſer Gegenſtaͤnde einen angenehmen Contraſt mit dem Dunkeln des Hai- nes mache; und wenn ſie mit Heckengebuͤſchen oder ſparſam gepflanzten Gehoͤlzen umgeben ſind, ſo iſt die Anpflanzung ſo angelegt, daß von jedem Zugange ein Theil des Luſtwaͤldchens verſteckt bleibt, der ſodann, wenn er ſich dem Auge des Kommen- den nach und nach oͤffnet, ſeine Neubegierde ſtufenweiſe befriedigt. Die Baͤume, mit bluͤhenden Geſtraͤuchen untermiſcht, ſtehen nicht gedraͤngt aneinander, ſondern es iſt zwiſchen ihnen ſo viel Raum gelaſſen, daß man ſich auf den Raſen bequem nieder- ſetzen oder ſpazieren gehen kann. Der Raſen bleibt wegen ſeiner ſchattenreichen Lage beſtaͤndig gruͤn, und iſt im Fruͤhling mit einer Menge allerley fruͤhzeitiger Blumen, als Veilchen, Krokus, Tuberoſen, Schluͤſſelblumen, Hyacinthen, Aurikeln, Schnee- gloͤckchen und Narciſſen geſchmuͤckt. Zuweilen pflanzen ſie auch dieſe offenen Haine von Limonen, Orangen, Citronen, Myrthenbaͤumen; zuweilen von allerhand Gat- tungen wohlgebildeter Fruchtbaͤume, die, wenn ſie Bluͤthen tragen, und ihre Fruͤchte reifen, M 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/107>, abgerufen am 25.11.2024.