schwiegenheit beschuldiget; allein unser Ge- schlecht verdient diesen Vorwurf unendlich mehr; -- wenn es voll süssen Weins oder ver- liebt ist, fast immer, und auch oft dann, wenn es sich weder durch Liebe noch durch Wein erhitzt hat -- Nichts kann Manchen zurückhalten, sogar seine selbsteigene Schan- de zu entdecken -- Kein Soldat kann so be- geistert von seinen Siegen erzählen, wie ein Zierling (Elegant) von den seinigen. Hat man nicht Mirabeau, dem goldenen Munde neue- ster Zeit, den Vorwurf gemacht, dass er nichts verschweigen können? Jene Weigerung guter Menschen, Alles hören zu wollen, nur keine Geheimnisse, beweiset, dass wenige Menschen zu solchen Depositis sich Treue genug zutrauen. Viele unseres Geschlechtes haben so viel selbsteigene Geheimnisse zu bewahren, dass sie sich mit fremden Deposi- tis nicht füglich befassen können; viele sind niedrig genug, Depositen-Gebühren auf eine unverschämte Weise zu verlangen -- Wer sich selbst nicht treu ist, und seine eigenen Unthaten unter die Leute zu bringen für un-
schwiegenheit beschuldiget; allein unser Ge- schlecht verdient diesen Vorwurf unendlich mehr; — wenn es voll süſsen Weins oder ver- liebt ist, fast immer, und auch oft dann, wenn es sich weder durch Liebe noch durch Wein erhitzt hat — Nichts kann Manchen zurückhalten, sogar seine selbsteigene Schan- de zu entdecken — Kein Soldat kann so be- geistert von seinen Siegen erzählen, wie ein Zierling (Élégant) von den seinigen. Hat man nicht Mirabeau, dem goldenen Munde neue- ster Zeit, den Vorwurf gemacht, daſs er nichts verschweigen können? Jene Weigerung guter Menschen, Alles hören zu wollen, nur keine Geheimnisse, beweiset, daſs wenige Menschen zu solchen Depositis sich Treue genug zutrauen. Viele unseres Geschlechtes haben so viel selbsteigene Geheimnisse zu bewahren, daſs sie sich mit fremden Deposi- tis nicht füglich befassen können; viele sind niedrig genug, Depositen-Gebühren auf eine unverschämte Weise zu verlangen — Wer sich selbst nicht treu ist, und seine eigenen Unthaten unter die Leute zu bringen für un-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0318"n="310"/>
schwiegenheit beschuldiget; allein unser Ge-<lb/>
schlecht verdient diesen Vorwurf unendlich<lb/>
mehr; — wenn es voll süſsen Weins oder ver-<lb/>
liebt ist, fast immer, und auch oft dann,<lb/>
wenn es sich weder durch Liebe noch durch<lb/>
Wein erhitzt hat — Nichts kann Manchen<lb/>
zurückhalten, sogar seine selbsteigene Schan-<lb/>
de zu entdecken — Kein Soldat kann so be-<lb/>
geistert von seinen Siegen erzählen, wie ein<lb/>
Zierling (<hirendition="#i">Élégant</hi>) von den seinigen. Hat man<lb/>
nicht <hirendition="#i">Mirabeau</hi>, dem goldenen Munde neue-<lb/>
ster Zeit, den Vorwurf gemacht, daſs er<lb/>
nichts verschweigen können? Jene Weigerung<lb/>
guter Menschen, Alles hören zu wollen, nur<lb/>
keine Geheimnisse, beweiset, daſs wenige<lb/>
Menschen zu solchen Depositis sich Treue<lb/>
genug zutrauen. Viele unseres Geschlechtes<lb/>
haben so viel selbsteigene Geheimnisse zu<lb/>
bewahren, daſs sie sich mit fremden Deposi-<lb/>
tis nicht füglich befassen können; viele sind<lb/>
niedrig genug, Depositen-Gebühren auf eine<lb/>
unverschämte Weise zu verlangen — Wer<lb/>
sich selbst nicht treu ist, und seine eigenen<lb/>
Unthaten unter die Leute zu bringen für un-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[310/0318]
schwiegenheit beschuldiget; allein unser Ge-
schlecht verdient diesen Vorwurf unendlich
mehr; — wenn es voll süſsen Weins oder ver-
liebt ist, fast immer, und auch oft dann,
wenn es sich weder durch Liebe noch durch
Wein erhitzt hat — Nichts kann Manchen
zurückhalten, sogar seine selbsteigene Schan-
de zu entdecken — Kein Soldat kann so be-
geistert von seinen Siegen erzählen, wie ein
Zierling (Élégant) von den seinigen. Hat man
nicht Mirabeau, dem goldenen Munde neue-
ster Zeit, den Vorwurf gemacht, daſs er
nichts verschweigen können? Jene Weigerung
guter Menschen, Alles hören zu wollen, nur
keine Geheimnisse, beweiset, daſs wenige
Menschen zu solchen Depositis sich Treue
genug zutrauen. Viele unseres Geschlechtes
haben so viel selbsteigene Geheimnisse zu
bewahren, daſs sie sich mit fremden Deposi-
tis nicht füglich befassen können; viele sind
niedrig genug, Depositen-Gebühren auf eine
unverschämte Weise zu verlangen — Wer
sich selbst nicht treu ist, und seine eigenen
Unthaten unter die Leute zu bringen für un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/318>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.