lichkeit, die Einschränkung ihrer Freiheit diesseits des Grabes, und das Verhältniss, das ihnen nicht das Schicksal sondern die Männer zumassen, zu ihrer Lebensgleichgültigkeit bei. Vorzüglich aber bewirken sie jene grösseren Leiden, welche die Natur ihnen als Menschen auferlegte, wogegen die Mannspersonen, zu ei- niger Entschädigung, sich grössere bürgerliche Lasten aufgebürdet zu haben scheinen -- "Viel Glück, Diogenes!" sagte der Philosoph Speu sippus, der wassersüchtig war und sich tra- gen liess. "Wenig Glück!" antwortete Dio- genes, "da du das Leben in einem solchen Zustande ertragen kannst." -- So selten in- dess weibliche Thränen Murren und Unwillen anzeigen, und so oft sie ein leise gewagtes sanftes Sehnen nach mehr bürgerlicher Freiheit sind; so hilft allerdings auch der Überdruss eines Lebens, das kaum diesen Namen ver- diente, ihren freudigen Weg zum Grabe eb- nen. Dass es in der andern Welt gewiss nicht schlechter für sie seyn könne, ist die Na- tivität, die sie sich bei ihrem Ausgange aus die- ser Welt (wahrlich für sie einem Jammerthale)
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lichkeit, die Einschränkung ihrer Freiheit diesseits des Grabes, und das Verhältniſs, das ihnen nicht das Schicksal sondern die Männer zumaſsen, zu ihrer Lebensgleichgültigkeit bei. Vorzüglich aber bewirken sie jene gröſseren Leiden, welche die Natur ihnen als Menschen auferlegte, wogegen die Mannspersonen, zu ei- niger Entschädigung, sich gröſsere bürgerliche Lasten aufgebürdet zu haben scheinen — »Viel Glück, Diogenes!» sagte der Philosoph Speu sippus, der wassersüchtig war und sich tra- gen lieſs. »Wenig Glück!» antwortete Dio- genes, »da du das Leben in einem solchen Zustande ertragen kannst.» — So selten in- deſs weibliche Thränen Murren und Unwillen anzeigen, und so oft sie ein leise gewagtes sanftes Sehnen nach mehr bürgerlicher Freiheit sind; so hilft allerdings auch der Überdruſs eines Lebens, das kaum diesen Namen ver- diente, ihren freudigen Weg zum Grabe eb- nen. Daſs es in der andern Welt gewiſs nicht schlechter für sie seyn könne, ist die Na- tivität, die sie sich bei ihrem Ausgange aus die- ser Welt (wahrlich für sie einem Jammerthale)
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lichkeit, die Einschränkung ihrer Freiheit
diesseits des Grabes, und das Verhältniſs, das
ihnen nicht das Schicksal sondern die Männer
zumaſsen, zu ihrer Lebensgleichgültigkeit bei.
Vorzüglich aber bewirken sie jene gröſseren
Leiden, welche die Natur ihnen als Menschen
auferlegte, wogegen die Mannspersonen, zu ei-
niger Entschädigung, sich gröſsere bürgerliche
Lasten aufgebürdet zu haben scheinen — »Viel
Glück, Diogenes!» sagte der Philosoph Speu
sippus, der wassersüchtig war und sich tra-
gen lieſs. »Wenig Glück!» antwortete Dio-
genes, »da du das Leben in einem solchen
Zustande ertragen kannst.» — So selten in-
deſs weibliche Thränen Murren und Unwillen
anzeigen, und so oft sie ein leise gewagtes
sanftes Sehnen nach mehr bürgerlicher Freiheit
sind; so hilft allerdings auch der Überdruſs
eines Lebens, das kaum diesen Namen ver-
diente, ihren freudigen Weg zum Grabe eb-
nen. Daſs es in der andern Welt gewiſs
nicht schlechter für sie seyn könne, ist die Na-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/299>, abgerufen am 22.11.2024.
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