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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

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Schauspiele ringender, wenn gleich oft auch
unterliegender, Kräfte ist uns zuweilen mehr,
als an der Entscheidung und an prahlenden
Siegen gelegen; und schlummert nicht zuwei-
len auch selbst der grosse Homer? Werden
nicht selbst sehr wache Augen vom Schlaf
überwunden? schläft nicht zuweilen Brutus?
Schöne Künste und schöne Wissenschaften
erfordern einen weiten Spielraum, leiden
keinen drückenden Zwang, und gedeihen nur
da, wo der Geist, sich keiner Fesseln be-
wusst, das Gebiet der Einbildungskraft, jenes
Reich der Unsichtbarkeit, durchkreuzen kann.
Auch bei der grössten Empfänglichkeit für
schöne Formen und Gefühle, auch bei der
glücklichsten Organisation, wird, so lange der
jetzige Druck dauert, nichts Grosses, nichts
Vollendetes das Theil der Weiber seyn; eben
so wenig wie der Griechen, die bei den
nämlichen Anlagen, bei dem nämlichen mil-
den Himmel, nie etwas, den unerreichbaren
Meisterstücken ihrer Vorfahren Ähnliches her-
vorbringen werden, so lange ihr Nacken noch
in das eiserne Joch der Türken eingezwängt

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Schauspiele ringender, wenn gleich oft auch
unterliegender, Kräfte ist uns zuweilen mehr,
als an der Entscheidung und an prahlenden
Siegen gelegen; und schlummert nicht zuwei-
len auch selbst der groſse Homer? Werden
nicht selbst sehr wache Augen vom Schlaf
überwunden? schläft nicht zuweilen Brutus?
Schöne Künste und schöne Wissenschaften
erfordern einen weiten Spielraum, leiden
keinen drückenden Zwang, und gedeihen nur
da, wo der Geist, sich keiner Fesseln be-
wuſst, das Gebiet der Einbildungskraft, jenes
Reich der Unsichtbarkeit, durchkreuzen kann.
Auch bei der gröſsten Empfänglichkeit für
schöne Formen und Gefühle, auch bei der
glücklichsten Organisation, wird, so lange der
jetzige Druck dauert, nichts Groſses, nichts
Vollendetes das Theil der Weiber seyn; eben
so wenig wie der Griechen, die bei den
nämlichen Anlagen, bei dem nämlichen mil-
den Himmel, nie etwas, den unerreichbaren
Meisterstücken ihrer Vorfahren Ähnliches her-
vorbringen werden, so lange ihr Nacken noch
in das eiserne Joch der Türken eingezwängt

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[259/0267] Schauspiele ringender, wenn gleich oft auch unterliegender, Kräfte ist uns zuweilen mehr, als an der Entscheidung und an prahlenden Siegen gelegen; und schlummert nicht zuwei- len auch selbst der groſse Homer? Werden nicht selbst sehr wache Augen vom Schlaf überwunden? schläft nicht zuweilen Brutus? Schöne Künste und schöne Wissenschaften erfordern einen weiten Spielraum, leiden keinen drückenden Zwang, und gedeihen nur da, wo der Geist, sich keiner Fesseln be- wuſst, das Gebiet der Einbildungskraft, jenes Reich der Unsichtbarkeit, durchkreuzen kann. Auch bei der gröſsten Empfänglichkeit für schöne Formen und Gefühle, auch bei der glücklichsten Organisation, wird, so lange der jetzige Druck dauert, nichts Groſses, nichts Vollendetes das Theil der Weiber seyn; eben so wenig wie der Griechen, die bei den nämlichen Anlagen, bei dem nämlichen mil- den Himmel, nie etwas, den unerreichbaren Meisterstücken ihrer Vorfahren Ähnliches her- vorbringen werden, so lange ihr Nacken noch in das eiserne Joch der Türken eingezwängt R 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/267>, abgerufen am 24.11.2024.