der Vernunft, kann wenig oder nichts ausrich- ten; es muss geistisch gerichtet seyn -- Wenn der Philosoph, der Wortführer der Vernunft, nicht wäre; was würde der Dichter, der sich nach dem Haufen richten und selbst zu Volks- unarten sich herablassen muss. Gutes stiften? Der Dichter muss seine Weihe im Tempel der Vernunft erhalten und die süssesten Ge- fühle an Grundsätze knüpfen, wenn er un- sterblich seyn will. Weiber verstehen jene Chemie, die man die höhere nennen könnte, Grundsätze in Gefühle aufzulösen, und das, was der theoretische Hexenmeister der Philo- sophie in schweren Worten ausdrückt, zur Leichtigkeit einer Gewohnheit zu bringen -- Weiber haben Sitten, Männer Manieren: diese werden durch Erziehung erworben, durch Nachahmung erlernt, durch Umgang mitge- theilt; jene hangen von Herz und Vernunft ab. Man sagt: Weiber wären kärglicher in ihren Wohlthaten, und an sich und von Na- tur geitzig. Nicht also; ihre Neigungen des Wohlwollens entstehen aus Grundsätzen, nicht aber aus dem vorübergehenden Rausche
der Vernunft, kann wenig oder nichts ausrich- ten; es muſs geistisch gerichtet seyn — Wenn der Philosoph, der Wortführer der Vernunft, nicht wäre; was würde der Dichter, der sich nach dem Haufen richten und selbst zu Volks- unarten sich herablassen muſs. Gutes stiften? Der Dichter muſs seine Weihe im Tempel der Vernunft erhalten und die süſsesten Ge- fühle an Grundsätze knüpfen, wenn er un- sterblich seyn will. Weiber verstehen jene Chemie, die man die höhere nennen könnte, Grundsätze in Gefühle aufzulösen, und das, was der theoretische Hexenmeister der Philo- sophie in schweren Worten ausdrückt, zur Leichtigkeit einer Gewohnheit zu bringen — Weiber haben Sitten, Männer Manieren: diese werden durch Erziehung erworben, durch Nachahmung erlernt, durch Umgang mitge- theilt; jene hangen von Herz und Vernunft ab. Man sagt: Weiber wären kärglicher in ihren Wohlthaten, und an sich und von Na- tur geitzig. Nicht also; ihre Neigungen des Wohlwollens entstehen aus Grundsätzen, nicht aber aus dem vorübergehenden Rausche
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der Vernunft, kann wenig oder nichts ausrich-
ten; es muſs geistisch gerichtet seyn — Wenn
der Philosoph, der Wortführer der Vernunft,
nicht wäre; was würde der Dichter, der sich
nach dem Haufen richten und selbst zu Volks-
unarten sich herablassen muſs. Gutes stiften?
Der Dichter muſs seine Weihe im Tempel
der Vernunft erhalten und die süſsesten Ge-
fühle an Grundsätze knüpfen, wenn er un-
sterblich seyn will. Weiber verstehen jene
Chemie, die man die höhere nennen könnte,
Grundsätze in Gefühle aufzulösen, und das,
was der theoretische Hexenmeister der Philo-
sophie in schweren Worten ausdrückt, zur
Leichtigkeit einer Gewohnheit zu bringen —
Weiber haben Sitten, Männer Manieren: diese
werden durch Erziehung erworben, durch
Nachahmung erlernt, durch Umgang mitge-
theilt; jene hangen von Herz und Vernunft
ab. Man sagt: Weiber wären kärglicher in
ihren Wohlthaten, und an sich und von Na-
tur geitzig. Nicht also; ihre Neigungen des
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/263>, abgerufen am 24.11.2024.
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