nem Athem trotzen und bitten, fluchen und segnen -- --
Vielleicht war das menschliche Geschlecht bloss darum so vielem Wechsel von Licht und Finsterniss, von Veredlung und Herabwürdi- gung, von Paradies und Fall ausgesetzt, weil man die Rechnung ohne die schröne Welt machte. Es ebbte und fluthete, je nachdem man von dieser andern Hälfte Notiz nahm und je nachdem man sie als etwas Wesentliches in der Menschheit oder als etwas Beiläufiges ansah, das schon die Ehre haben würde, der Principalsache zu folgen. Man sah das schö- ne Geschlecht, wie den Reim, kaum für etwas mehr, als für eine Krücke an, wodurch sich der Gedanke forthilft; und bei Messiaden und andern Werken der Dichtkunst, wo man ohne Krücken ging -- musste das andere Geschlecht sich gefallen lassen, zu kurz zu kommen. Je- ner Römische Rechtsspruch: Mit dem Rechts- mass, mit dem man Andere misst, muss man sich selbst messen; schien hier völlig seine Kraft verloren zu haben, wenn er gleich zu jenen ins Herz geschriebenen gehört, die zu
nem Athem trotzen und bitten, fluchen und segnen — —
Vielleicht war das menschliche Geschlecht bloſs darum so vielem Wechsel von Licht und Finsterniſs, von Veredlung und Herabwürdi- gung, von Paradies und Fall ausgesetzt, weil man die Rechnung ohne die schröne Welt machte. Es ebbte und fluthete, je nachdem man von dieser andern Hälfte Notiz nahm und je nachdem man sie als etwas Wesentliches in der Menschheit oder als etwas Beiläufiges ansah, das schon die Ehre haben würde, der Principalsache zu folgen. Man sah das schö- ne Geschlecht, wie den Reim, kaum für etwas mehr, als für eine Krücke an, wodurch sich der Gedanke forthilft; und bei Messiaden und andern Werken der Dichtkunst, wo man ohne Krücken ging — muſste das andere Geschlecht sich gefallen lassen, zu kurz zu kommen. Je- ner Römische Rechtsspruch: Mit dem Rechts- maſs, mit dem man Andere miſst, muſs man sich selbst messen; schien hier völlig seine Kraft verloren zu haben, wenn er gleich zu jenen ins Herz geschriebenen gehört, die zu
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nem Athem trotzen und bitten, fluchen und
segnen — —
Vielleicht war das menschliche Geschlecht
bloſs darum so vielem Wechsel von Licht und
Finsterniſs, von Veredlung und Herabwürdi-
gung, von Paradies und Fall ausgesetzt, weil
man die Rechnung ohne die schröne Welt
machte. Es ebbte und fluthete, je nachdem
man von dieser andern Hälfte Notiz nahm und
je nachdem man sie als etwas Wesentliches
in der Menschheit oder als etwas Beiläufiges
ansah, das schon die Ehre haben würde, der
Principalsache zu folgen. Man sah das schö-
ne Geschlecht, wie den Reim, kaum für etwas
mehr, als für eine Krücke an, wodurch sich
der Gedanke forthilft; und bei Messiaden und
andern Werken der Dichtkunst, wo man ohne
Krücken ging — muſste das andere Geschlecht
sich gefallen lassen, zu kurz zu kommen. Je-
ner Römische Rechtsspruch: Mit dem Rechts-
maſs, mit dem man Andere miſst, muſs man
sich selbst messen; schien hier völlig seine
Kraft verloren zu haben, wenn er gleich zu
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/21>, abgerufen am 24.11.2024.
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