rung? Der Geist, der in uns ist, bleibt im- mer die beste Quelle aller Geschichte; er gleicht im Wesentlichen dem Geiste aller de- rer, die vor uns waren, und giebt dem, der sich mit ihm einlassen kann, und jedem, der sich selbst verständlich zu machen weiss, wich- tige Fingerzeige von Nachrichten, die weit über den Zeitpunkt schriftlicher Zeugnisse, und weit über die historische Gewissheit hin- ausreichen. Jedes Kind bringt das Andenken an die Kindheit der menschlichen Vernunft in Anregung, und die Hauptzüge derselben drän- gen sich Jedem auf, der Augen zu sehen, Oh- ren zu hören, ein Herz zu fühlen, und Ver- nunft zu ergänzen, zu vergleichen und zu ver- binden hat. Mit Meinungen der Vorzeit kann uns nicht gedient seyn; und die Handvoll auf- behaltener Thatsachen sind so sehr mit jenen Meinungen in Verbindung dass man ohne Phi- losophie bei den historischen Quellen der Vor- zeit ausserordentlich zu kurz schiesst. Kann man ohne philosophischen Kopf bei den histo- rischen Quellen auslangen? In uns liegt das Vermögen, aus jenen Bruchstucken der alten
rung? Der Geist, der in uns ist, bleibt im- mer die beste Quelle aller Geschichte; er gleicht im Wesentlichen dem Geiste aller de- rer, die vor uns waren, und giebt dem, der sich mit ihm einlassen kann, und jedem, der sich selbst verständlich zu machen weiſs, wich- tige Fingerzeige von Nachrichten, die weit über den Zeitpunkt schriftlicher Zeugnisse, und weit über die historische Gewiſsheit hin- ausreichen. Jedes Kind bringt das Andenken an die Kindheit der menschlichen Vernunft in Anregung, und die Hauptzüge derselben drän- gen sich Jedem auf, der Augen zu sehen, Oh- ren zu hören, ein Herz zu fühlen, und Ver- nunft zu ergänzen, zu vergleichen und zu ver- binden hat. Mit Meinungen der Vorzeit kann uns nicht gedient seyn; und die Handvoll auf- behaltener Thatsachen sind so sehr mit jenen Meinungen in Verbindung daſs man ohne Phi- losophie bei den historischen Quellen der Vor- zeit auſserordentlich zu kurz schieſst. Kann man ohne philosophischen Kopf bei den histo- rischen Quellen auslangen? In uns liegt das Vermögen, aus jenen Bruchstucken der alten
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rung? Der Geist, der in uns ist, bleibt im-
mer die beste Quelle aller Geschichte; er
gleicht im Wesentlichen dem Geiste aller de-
rer, die vor uns waren, und giebt dem, der
sich mit ihm einlassen kann, und jedem, der
sich selbst verständlich zu machen weiſs, wich-
tige Fingerzeige von Nachrichten, die weit
über den Zeitpunkt schriftlicher Zeugnisse,
und weit über die historische Gewiſsheit hin-
ausreichen. Jedes Kind bringt das Andenken
an die Kindheit der menschlichen Vernunft in
Anregung, und die Hauptzüge derselben drän-
gen sich Jedem auf, der Augen zu sehen, Oh-
ren zu hören, ein Herz zu fühlen, und Ver-
nunft zu ergänzen, zu vergleichen und zu ver-
binden hat. Mit Meinungen der Vorzeit kann
uns nicht gedient seyn; und die Handvoll auf-
behaltener Thatsachen sind so sehr mit jenen
Meinungen in Verbindung daſs man ohne Phi-
losophie bei den historischen Quellen der Vor-
zeit auſserordentlich zu kurz schieſst. Kann
man ohne philosophischen Kopf bei den histo-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/110>, abgerufen am 26.11.2024.
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