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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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war weibliche Schwachheit, im Arm männ-
licher Stärke. Vater und Sohn können an
einem Tage taufen lassen. Ein Pomeranzen-
baum hat Blüthe und Früchte.

In Betref ihrer Krankheit; so verstellte
sie nicht ihre Geberde. Schon bey meines
Vaters Leben hatte sie eine alte Priesterwitt-
we, anstatt einer Diakonin zu sich genom-
men, und von ihr hab ich empfangen,
was ich meinen Lesern erzähle, und zwar so,
als wär ich Augenzeuge gewesen. Auf meine
Sünde wider Mine steht Gewissensbiß in der
vorletzten Stunde, pflegte meine Mutter oft
zu sagen, die lezte aber, setzte sie hinzu, wird
heiter seyn. Es nagte und plagte sie noch
heftig, wenn gleich sie bis auf die vorletzte
Stunde überwunden zu haben glaubte. Sie
sagte in einer schweren Stunde der Anfech-
tung, in Rücksicht der schon erkämpften und
sie jetzt wieder fliehenden Ruhe auf eine schreck-
liche Weise: wie gewonnen so zerronnen; in-
dessen wurden ihre Hände bald, bald, wieder
gestärkt, die strauchelnden Knie erquickt und
der zerbrochene Rohrstab geleimt -- ihre blut-
rothe Schuld war dann wieder Schneeweiß.
Geschieht das am grünen Holz, geschieht das
an Minen, die auch noch vor ihrem Ende

man-
E 3

war weibliche Schwachheit, im Arm maͤnn-
licher Staͤrke. Vater und Sohn koͤnnen an
einem Tage taufen laſſen. Ein Pomeranzen-
baum hat Bluͤthe und Fruͤchte.

In Betref ihrer Krankheit; ſo verſtellte
ſie nicht ihre Geberde. Schon bey meines
Vaters Leben hatte ſie eine alte Prieſterwitt-
we, anſtatt einer Diakonin zu ſich genom-
men, und von ihr hab ich empfangen,
was ich meinen Leſern erzaͤhle, und zwar ſo,
als waͤr ich Augenzeuge geweſen. Auf meine
Suͤnde wider Mine ſteht Gewiſſensbiß in der
vorletzten Stunde, pflegte meine Mutter oft
zu ſagen, die lezte aber, ſetzte ſie hinzu, wird
heiter ſeyn. Es nagte und plagte ſie noch
heftig, wenn gleich ſie bis auf die vorletzte
Stunde uͤberwunden zu haben glaubte. Sie
ſagte in einer ſchweren Stunde der Anfech-
tung, in Ruͤckſicht der ſchon erkaͤmpften und
ſie jetzt wieder fliehenden Ruhe auf eine ſchreck-
liche Weiſe: wie gewonnen ſo zerronnen; in-
deſſen wurden ihre Haͤnde bald, bald, wieder
geſtaͤrkt, die ſtrauchelnden Knie erquickt und
der zerbrochene Rohrſtab geleimt — ihre blut-
rothe Schuld war dann wieder Schneeweiß.
Geſchieht das am gruͤnen Holz, geſchieht das
an Minen, die auch noch vor ihrem Ende

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[69/0075] war weibliche Schwachheit, im Arm maͤnn- licher Staͤrke. Vater und Sohn koͤnnen an einem Tage taufen laſſen. Ein Pomeranzen- baum hat Bluͤthe und Fruͤchte. In Betref ihrer Krankheit; ſo verſtellte ſie nicht ihre Geberde. Schon bey meines Vaters Leben hatte ſie eine alte Prieſterwitt- we, anſtatt einer Diakonin zu ſich genom- men, und von ihr hab ich empfangen, was ich meinen Leſern erzaͤhle, und zwar ſo, als waͤr ich Augenzeuge geweſen. Auf meine Suͤnde wider Mine ſteht Gewiſſensbiß in der vorletzten Stunde, pflegte meine Mutter oft zu ſagen, die lezte aber, ſetzte ſie hinzu, wird heiter ſeyn. Es nagte und plagte ſie noch heftig, wenn gleich ſie bis auf die vorletzte Stunde uͤberwunden zu haben glaubte. Sie ſagte in einer ſchweren Stunde der Anfech- tung, in Ruͤckſicht der ſchon erkaͤmpften und ſie jetzt wieder fliehenden Ruhe auf eine ſchreck- liche Weiſe: wie gewonnen ſo zerronnen; in- deſſen wurden ihre Haͤnde bald, bald, wieder geſtaͤrkt, die ſtrauchelnden Knie erquickt und der zerbrochene Rohrſtab geleimt — ihre blut- rothe Schuld war dann wieder Schneeweiß. Geſchieht das am gruͤnen Holz, geſchieht das an Minen, die auch noch vor ihrem Ende man- E 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/75>, abgerufen am 24.11.2024.