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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Wenn die Blätter gros sind, sagte die Kran-
ke -- Messer und Gabel und Teller, fuhr die
Kranke fort -- Weg damit, versetzte meine
Mutter. In der Auferstehung werden sie
weder freyen, noch sich freyen lassen, sondern
sie sind gleich wie die Engel Gottes im Him-
mel. Die Kranke reichte meiner Mutter die
Hand, und mit ihr den Tod. Mit einem
Schauer trat er ihr in alle Glieder. Sie
wußt' es, daß er eingetreten war und gieng
heim. Die Nachbarin starb in wenigen Stun-
den, um bey Minen Gesang und Manna nicht
zu versäumen. Meine Mutter ward krank,
ohne daß sie und D. Saft wußten, was ihr
fehle. Sie starb an der Einbildung, wenn
ich mich nicht irre, an der mehr Leute sterben,
als man glauben sollte. Daß viele daran
krank sind, ist eine ohnedem bekannte Sache.
Sie hatte, wie der Graf -- in Preußen, das
himmlische Heimweh, nur mit dem Unter-
schiede, daß es beym Grafen eine lange zeh-
rende, bey meiner Mutter eine hitzige Krank-
heit war. Ein Lied war ein Springwasser,
das ihr zuweilen Kühlung bot, und mit wel-
cher Inbrunst sang sie! Ihr Trost war ohne
allen Aufwand -- Sie sah nicht in die Son-
ne. Der Mond war ihr Planet, der Planet

eines
E 2

Wenn die Blaͤtter gros ſind, ſagte die Kran-
ke — Meſſer und Gabel und Teller, fuhr die
Kranke fort — Weg damit, verſetzte meine
Mutter. In der Auferſtehung werden ſie
weder freyen, noch ſich freyen laſſen, ſondern
ſie ſind gleich wie die Engel Gottes im Him-
mel. Die Kranke reichte meiner Mutter die
Hand, und mit ihr den Tod. Mit einem
Schauer trat er ihr in alle Glieder. Sie
wußt’ es, daß er eingetreten war und gieng
heim. Die Nachbarin ſtarb in wenigen Stun-
den, um bey Minen Geſang und Manna nicht
zu verſaͤumen. Meine Mutter ward krank,
ohne daß ſie und D. Saft wußten, was ihr
fehle. Sie ſtarb an der Einbildung, wenn
ich mich nicht irre, an der mehr Leute ſterben,
als man glauben ſollte. Daß viele daran
krank ſind, iſt eine ohnedem bekannte Sache.
Sie hatte, wie der Graf — in Preußen, das
himmliſche Heimweh, nur mit dem Unter-
ſchiede, daß es beym Grafen eine lange zeh-
rende, bey meiner Mutter eine hitzige Krank-
heit war. Ein Lied war ein Springwaſſer,
das ihr zuweilen Kuͤhlung bot, und mit wel-
cher Inbrunſt ſang ſie! Ihr Troſt war ohne
allen Aufwand — Sie ſah nicht in die Son-
ne. Der Mond war ihr Planet, der Planet

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[67/0073] Wenn die Blaͤtter gros ſind, ſagte die Kran- ke — Meſſer und Gabel und Teller, fuhr die Kranke fort — Weg damit, verſetzte meine Mutter. In der Auferſtehung werden ſie weder freyen, noch ſich freyen laſſen, ſondern ſie ſind gleich wie die Engel Gottes im Him- mel. Die Kranke reichte meiner Mutter die Hand, und mit ihr den Tod. Mit einem Schauer trat er ihr in alle Glieder. Sie wußt’ es, daß er eingetreten war und gieng heim. Die Nachbarin ſtarb in wenigen Stun- den, um bey Minen Geſang und Manna nicht zu verſaͤumen. Meine Mutter ward krank, ohne daß ſie und D. Saft wußten, was ihr fehle. Sie ſtarb an der Einbildung, wenn ich mich nicht irre, an der mehr Leute ſterben, als man glauben ſollte. Daß viele daran krank ſind, iſt eine ohnedem bekannte Sache. Sie hatte, wie der Graf — in Preußen, das himmliſche Heimweh, nur mit dem Unter- ſchiede, daß es beym Grafen eine lange zeh- rende, bey meiner Mutter eine hitzige Krank- heit war. Ein Lied war ein Springwaſſer, das ihr zuweilen Kuͤhlung bot, und mit wel- cher Inbrunſt ſang ſie! Ihr Troſt war ohne allen Aufwand — Sie ſah nicht in die Son- ne. Der Mond war ihr Planet, der Planet eines E 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/73>, abgerufen am 22.11.2024.