Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Geitz sieht auf die Folge der Sache.
Wenn andere spazieren fahren, denkt er,
sie werden wieder zu Hause kommen, und
dann sind sie eben so klug, als ich, der ich
zu Hause geblieben. Ich könnte, denkt er,
wenn ich wolte, auch traktiren, und giebt
keinem Salz und Brod!

Mein Vater pflegte sehr artig die Chri-
sten aus diesem Gesichtspunkte des Geitzes
zu beschuldigen, die nur blos bey ihrem
Gutseyn (doch wer ist das, als Gott?) bey
ihrem Bestreben gut zu seyn, auf die andre
Welt sehen! -- Er war kein Feind dieses
Lebens, obgleich er mit einer seligen Faßung
starb, und würklich auch in der Hofnung se-
lig war eines künftigen Lebens.

Er gieng mit der Sonne unter, wie
ich schon gemeldet habe --

Er starb, sich vollständig bewußt, und
nur in einer Stunde, in der er viel grie-
chisch redete, schien die Einbildungskraft der
Vernunft das Uebergewicht abgewonnen zu
haben. Es währte indessen nicht lange, und
alles war wieder an Stell und Ort.

Er
S s

Der Geitz ſieht auf die Folge der Sache.
Wenn andere ſpazieren fahren, denkt er,
ſie werden wieder zu Hauſe kommen, und
dann ſind ſie eben ſo klug, als ich, der ich
zu Hauſe geblieben. Ich koͤnnte, denkt er,
wenn ich wolte, auch traktiren, und giebt
keinem Salz und Brod!

Mein Vater pflegte ſehr artig die Chri-
ſten aus dieſem Geſichtspunkte des Geitzes
zu beſchuldigen, die nur blos bey ihrem
Gutſeyn (doch wer iſt das, als Gott?) bey
ihrem Beſtreben gut zu ſeyn, auf die andre
Welt ſehen! — Er war kein Feind dieſes
Lebens, obgleich er mit einer ſeligen Faßung
ſtarb, und wuͤrklich auch in der Hofnung ſe-
lig war eines kuͤnftigen Lebens.

Er gieng mit der Sonne unter, wie
ich ſchon gemeldet habe —

Er ſtarb, ſich vollſtaͤndig bewußt, und
nur in einer Stunde, in der er viel grie-
chiſch redete, ſchien die Einbildungskraft der
Vernunft das Uebergewicht abgewonnen zu
haben. Es waͤhrte indeſſen nicht lange, und
alles war wieder an Stell und Ort.

Er
S s
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0649" n="641"/>
        <p>Der Geitz &#x017F;ieht auf die Folge der Sache.<lb/>
Wenn andere &#x017F;pazieren fahren, denkt er,<lb/>
&#x017F;ie werden wieder zu Hau&#x017F;e kommen, und<lb/>
dann &#x017F;ind &#x017F;ie eben &#x017F;o klug, als ich, der ich<lb/>
zu Hau&#x017F;e geblieben. Ich ko&#x0364;nnte, denkt er,<lb/>
wenn ich wolte, auch traktiren, und giebt<lb/>
keinem Salz und Brod!</p><lb/>
        <p>Mein Vater pflegte &#x017F;ehr artig die Chri-<lb/>
&#x017F;ten aus die&#x017F;em Ge&#x017F;ichtspunkte des Geitzes<lb/>
zu be&#x017F;chuldigen, die nur blos bey ihrem<lb/>
Gut&#x017F;eyn (doch wer i&#x017F;t das, als Gott?) bey<lb/>
ihrem Be&#x017F;treben gut zu &#x017F;eyn, auf die andre<lb/>
Welt &#x017F;ehen! &#x2014; Er war kein Feind die&#x017F;es<lb/>
Lebens, obgleich er mit einer &#x017F;eligen Faßung<lb/>
&#x017F;tarb, und wu&#x0364;rklich auch in der Hofnung &#x017F;e-<lb/>
lig war eines ku&#x0364;nftigen Lebens.</p><lb/>
        <p>Er gieng mit der Sonne unter, wie<lb/>
ich &#x017F;chon gemeldet habe &#x2014;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;tarb, &#x017F;ich voll&#x017F;ta&#x0364;ndig bewußt, und<lb/>
nur in einer Stunde, in der er viel grie-<lb/>
chi&#x017F;ch redete, &#x017F;chien die Einbildungskraft der<lb/>
Vernunft das Uebergewicht abgewonnen zu<lb/>
haben. Es wa&#x0364;hrte inde&#x017F;&#x017F;en nicht lange, und<lb/>
alles war wieder an Stell und Ort.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">S s</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Er</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[641/0649] Der Geitz ſieht auf die Folge der Sache. Wenn andere ſpazieren fahren, denkt er, ſie werden wieder zu Hauſe kommen, und dann ſind ſie eben ſo klug, als ich, der ich zu Hauſe geblieben. Ich koͤnnte, denkt er, wenn ich wolte, auch traktiren, und giebt keinem Salz und Brod! Mein Vater pflegte ſehr artig die Chri- ſten aus dieſem Geſichtspunkte des Geitzes zu beſchuldigen, die nur blos bey ihrem Gutſeyn (doch wer iſt das, als Gott?) bey ihrem Beſtreben gut zu ſeyn, auf die andre Welt ſehen! — Er war kein Feind dieſes Lebens, obgleich er mit einer ſeligen Faßung ſtarb, und wuͤrklich auch in der Hofnung ſe- lig war eines kuͤnftigen Lebens. Er gieng mit der Sonne unter, wie ich ſchon gemeldet habe — Er ſtarb, ſich vollſtaͤndig bewußt, und nur in einer Stunde, in der er viel grie- chiſch redete, ſchien die Einbildungskraft der Vernunft das Uebergewicht abgewonnen zu haben. Es waͤhrte indeſſen nicht lange, und alles war wieder an Stell und Ort. Er S s

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/649
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 641. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/649>, abgerufen am 22.11.2024.