Wir verehren nicht gemeine Dinge und versündigen uns oft schwer an ihnen. Was sel- ten ist, gefällt! -- Man haßt den, der im Klei- nen betrügt. Thut ers im Großen; so finden wir so viel nicht auszusetzen. Das Spiel ver- lohnt das Licht nicht! -- Große Diebe lau- fen, kleine hängen! Der Beobachter wen- det sich nur an kleine Züge, und überläßt gern die Hauptstücke andern, blos weil sie mehr ins Auge fallen. Das Gemüth, das Herz, schlägt im Winkel an seine Brust, wie der Zöllner, es will durchaus nicht gesehen seyn; allein jeder hat auch seinen Pharisäer bey sich, der geflissentlich bemüht ist, sich vorzudrengen, wenn man den Menschen mah- len will.
-- Gern! gern! verzeih ich allen, die mich trüglich behandelt, mit Lügen und mit falschem Gedicht, durch notas selectas und variorum. Scire leges non est, verba earum tenere, sed vim et potestatem.
Der, der aller Welt Richter ist und recht richtet, der das rechte Recht spricht, das sich schlafen gelegt hat, weiß den innersten Gedanken meiner Seele und den Rath mei-
nes
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ein unſchuldiges frommes Maͤdchen und eine Nonne.
Wir verehren nicht gemeine Dinge und verſuͤndigen uns oft ſchwer an ihnen. Was ſel- ten iſt, gefaͤllt! — Man haßt den, der im Klei- nen betruͤgt. Thut ers im Großen; ſo finden wir ſo viel nicht auszuſetzen. Das Spiel ver- lohnt das Licht nicht! — Große Diebe lau- fen, kleine haͤngen! Der Beobachter wen- det ſich nur an kleine Zuͤge, und uͤberlaͤßt gern die Hauptſtuͤcke andern, blos weil ſie mehr ins Auge fallen. Das Gemuͤth, das Herz, ſchlaͤgt im Winkel an ſeine Bruſt, wie der Zoͤllner, es will durchaus nicht geſehen ſeyn; allein jeder hat auch ſeinen Phariſaͤer bey ſich, der gefliſſentlich bemuͤht iſt, ſich vorzudrengen, wenn man den Menſchen mah- len will.
— Gern! gern! verzeih ich allen, die mich truͤglich behandelt, mit Luͤgen und mit falſchem Gedicht, durch notas ſelectas und variorum. Scire leges non eſt, verba earum tenere, ſed vim et poteſtatem.
Der, der aller Welt Richter iſt und recht richtet, der das rechte Recht ſpricht, das ſich ſchlafen gelegt hat, weiß den innerſten Gedanken meiner Seele und den Rath mei-
nes
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ein unſchuldiges frommes Maͤdchen und eine
Nonne.
Wir verehren nicht gemeine Dinge und
verſuͤndigen uns oft ſchwer an ihnen. Was ſel-
ten iſt, gefaͤllt! — Man haßt den, der im Klei-
nen betruͤgt. Thut ers im Großen; ſo finden
wir ſo viel nicht auszuſetzen. Das Spiel ver-
lohnt das Licht nicht! — Große Diebe lau-
fen, kleine haͤngen! Der Beobachter wen-
det ſich nur an kleine Zuͤge, und uͤberlaͤßt
gern die Hauptſtuͤcke andern, blos weil ſie
mehr ins Auge fallen. Das Gemuͤth, das
Herz, ſchlaͤgt im Winkel an ſeine Bruſt, wie
der Zoͤllner, es will durchaus nicht geſehen
ſeyn; allein jeder hat auch ſeinen Phariſaͤer
bey ſich, der gefliſſentlich bemuͤht iſt, ſich
vorzudrengen, wenn man den Menſchen mah-
len will.
— Gern! gern! verzeih ich allen, die
mich truͤglich behandelt, mit Luͤgen und mit
falſchem Gedicht, durch notas ſelectas und
variorum. Scire leges non eſt, verba earum
tenere, ſed vim et poteſtatem.
Der, der aller Welt Richter iſt und recht
richtet, der das rechte Recht ſpricht, das
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/593>, abgerufen am 24.11.2024.
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