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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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sen unerhörten Fall bescheine! -- Käm es
auf sie an, sie würde unsre Ehe noch bis die-
sen Augenblick ungültig erklären -- Sie
zählt zehn Ahnen mehr, als nach Sethi Calui-
sii
Berechnung (der doch auch sein Exempel
zu rechnen wußte) die Welt gestanden. O
der stifts und turnierfähigen Frauen! --
Doch! warum von ihr Auskunft, da mir
noch Jemand weit näher ist --

Der alte Herr hat jetzt seine Freystatt
beym Herrn v. W --. Seine dürftige Um-
stände erforderten Beyhülfe, und wer wird
sich nicht freuen, daß Herrman, der, nach dem
betrübten Sündenfall, den Apfelbaum aus
seinem Garten rottete und der Tugendbelob-
ten Jungfer Dene einen Scheidebrief er-
theilte, nicht Noth leidet. Herr v. W --
konnte aber auch sich selbst nicht besser rathen,
als auf diese Weise.

Herrmann gieng nach Minens Tode
krumm und gebückt, und meine Mutter fand
sich verpflichtet, ihm Nahrung und Kleider
zuzuwenden. Diese Sorgfalt, versprach sie,
so lange sie lebte für ihn zu haben. Sie hielt
mehr, als sie versprochen, und noch nach ih-
rem Tode empfand er ihre milde kalte Hand.

In
N n 2

ſen unerhoͤrten Fall beſcheine! — Kaͤm es
auf ſie an, ſie wuͤrde unſre Ehe noch bis die-
ſen Augenblick unguͤltig erklaͤren — Sie
zaͤhlt zehn Ahnen mehr, als nach Sethi Calui-
ſii
Berechnung (der doch auch ſein Exempel
zu rechnen wußte) die Welt geſtanden. O
der ſtifts und turnierfaͤhigen Frauen! —
Doch! warum von ihr Auskunft, da mir
noch Jemand weit naͤher iſt —

Der alte Herr hat jetzt ſeine Freyſtatt
beym Herrn v. W —. Seine duͤrftige Um-
ſtaͤnde erforderten Beyhuͤlfe, und wer wird
ſich nicht freuen, daß Herrman, der, nach dem
betruͤbten Suͤndenfall, den Apfelbaum aus
ſeinem Garten rottete und der Tugendbelob-
ten Jungfer Dene einen Scheidebrief er-
theilte, nicht Noth leidet. Herr v. W —
konnte aber auch ſich ſelbſt nicht beſſer rathen,
als auf dieſe Weiſe.

Herrmann gieng nach Minens Tode
krumm und gebuͤckt, und meine Mutter fand
ſich verpflichtet, ihm Nahrung und Kleider
zuzuwenden. Dieſe Sorgfalt, verſprach ſie,
ſo lange ſie lebte fuͤr ihn zu haben. Sie hielt
mehr, als ſie verſprochen, und noch nach ih-
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[563/0573] ſen unerhoͤrten Fall beſcheine! — Kaͤm es auf ſie an, ſie wuͤrde unſre Ehe noch bis die- ſen Augenblick unguͤltig erklaͤren — Sie zaͤhlt zehn Ahnen mehr, als nach Sethi Calui- ſii Berechnung (der doch auch ſein Exempel zu rechnen wußte) die Welt geſtanden. O der ſtifts und turnierfaͤhigen Frauen! — Doch! warum von ihr Auskunft, da mir noch Jemand weit naͤher iſt — Der alte Herr hat jetzt ſeine Freyſtatt beym Herrn v. W —. Seine duͤrftige Um- ſtaͤnde erforderten Beyhuͤlfe, und wer wird ſich nicht freuen, daß Herrman, der, nach dem betruͤbten Suͤndenfall, den Apfelbaum aus ſeinem Garten rottete und der Tugendbelob- ten Jungfer Dene einen Scheidebrief er- theilte, nicht Noth leidet. Herr v. W — konnte aber auch ſich ſelbſt nicht beſſer rathen, als auf dieſe Weiſe. Herrmann gieng nach Minens Tode krumm und gebuͤckt, und meine Mutter fand ſich verpflichtet, ihm Nahrung und Kleider zuzuwenden. Dieſe Sorgfalt, verſprach ſie, ſo lange ſie lebte fuͤr ihn zu haben. Sie hielt mehr, als ſie verſprochen, und noch nach ih- rem Tode empfand er ihre milde kalte Hand. In N n 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/573>, abgerufen am 24.11.2024.