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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Herr v. G -- verstand freylich kein Grie-
chisch; wie konnt' er aber auch verlangen,
daß Diogenes seinetwegen deutsch oder lettisch
lernen solte! Beyläufig, sagte mein Vater,
die drey Theile, in welche die Leichenrede des
Diogenes gelegt sind.

Sokrates war ein Herzensredner, ein
Moralist und der erste philosophische Mär-
tyrer.

Der erste? fragte Herr v. G -- der erste,
antwortete mein Vater; denn wenn gleich
in der Recension über diese Standrede be-
merkt worden, daß Zeno noch vor dem So-
krates ums Leben gekommen; so starb doch
Zeno nicht der Philosophie halber! --

Die Schächer litten, was ihre Thaten
werth waren. Zeno, als General, in Sa-
chen seines Vaterlandes wider den Tyrannen
Nearchus. Sokrates starb und katadikastheis
durch ein Criminalurtel unschuldig ver-
dammt --

Theurer Sokrates, du woltest die Men-
schen zur Erkenntnis Gottes und seines
Willens bringen, du woltest die Menschen
gehen lehren, die gen Himmel sahen und
darüber das Bein brachen. War das dein
Lohn?

Socra-
R 3

Herr v. G — verſtand freylich kein Grie-
chiſch; wie konnt’ er aber auch verlangen,
daß Diogenes ſeinetwegen deutſch oder lettiſch
lernen ſolte! Beylaͤufig, ſagte mein Vater,
die drey Theile, in welche die Leichenrede des
Diogenes gelegt ſind.

Sokrates war ein Herzensredner, ein
Moraliſt und der erſte philoſophiſche Maͤr-
tyrer.

Der erſte? fragte Herr v. G — der erſte,
antwortete mein Vater; denn wenn gleich
in der Recenſion uͤber dieſe Standrede be-
merkt worden, daß Zeno noch vor dem So-
krates ums Leben gekommen; ſo ſtarb doch
Zeno nicht der Philoſophie halber! —

Die Schaͤcher litten, was ihre Thaten
werth waren. Zeno, als General, in Sa-
chen ſeines Vaterlandes wider den Tyrannen
Nearchus. Sokrates ſtarb und καταδικασϑεις
durch ein Criminalurtel unſchuldig ver-
dammt —

Theurer Sokrates, du wolteſt die Men-
ſchen zur Erkenntnis Gottes und ſeines
Willens bringen, du wolteſt die Menſchen
gehen lehren, die gen Himmel ſahen und
daruͤber das Bein brachen. War das dein
Lohn?

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[261/0267] Herr v. G — verſtand freylich kein Grie- chiſch; wie konnt’ er aber auch verlangen, daß Diogenes ſeinetwegen deutſch oder lettiſch lernen ſolte! Beylaͤufig, ſagte mein Vater, die drey Theile, in welche die Leichenrede des Diogenes gelegt ſind. Sokrates war ein Herzensredner, ein Moraliſt und der erſte philoſophiſche Maͤr- tyrer. Der erſte? fragte Herr v. G — der erſte, antwortete mein Vater; denn wenn gleich in der Recenſion uͤber dieſe Standrede be- merkt worden, daß Zeno noch vor dem So- krates ums Leben gekommen; ſo ſtarb doch Zeno nicht der Philoſophie halber! — Die Schaͤcher litten, was ihre Thaten werth waren. Zeno, als General, in Sa- chen ſeines Vaterlandes wider den Tyrannen Nearchus. Sokrates ſtarb und καταδικασϑεις durch ein Criminalurtel unſchuldig ver- dammt — Theurer Sokrates, du wolteſt die Men- ſchen zur Erkenntnis Gottes und ſeines Willens bringen, du wolteſt die Menſchen gehen lehren, die gen Himmel ſahen und daruͤber das Bein brachen. War das dein Lohn? Socra- R 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/267>, abgerufen am 28.11.2024.