sieht, denen er die nemliche Vernunft, die nemliche Quelle zu Zwangsmitteln ansieht; so flieht er. Hobbes hat dem ungeachtet Recht, wenn er behauptet, daß der natürliche Mensch den Begrif von Bothmäßigkeit und Herrschsucht in sich trägt. Herrschsucht, Ty- ranney und Furcht, sind sich so nahe ver- wandt, als möglich. Ein Grad mehr Furcht am andern zu erblicken, macht den Wilden nachdenkend. Jener läuft, dieser verfolgt ihn. Jener verkriecht sich, dieser spürt ihm nach. Freylich wenn sich jener umsehen, nur umsehen, nur hervorblicken möchte, würde dieser umkehren; allein da jener sich nicht um- sieht, da er nicht hervorblickt; so wird dieser sein Meister. Aus Furcht wird er ihn beherr- schen, damit er sich nicht mehr vor ihm fürch- ten dürfe. Im wilden Naturstande müßte man also den Herrn blos als ganzen Men- schen, die Unterthanen aber als verstümmelt, blind, krumm und lahm sehen. Mit der Zeit würde sich der Mensch besser kennen lernen; es würde dem herrschenden Scharfrichter leid thun, daß er diesem die Hand, jenem das Bein gelähmt, und man würde sich in Ver- bindungen mit einander setzen. Wenn sich gleich beym Anfange ein Paar warmherzige
begeg-
ſieht, denen er die nemliche Vernunft, die nemliche Quelle zu Zwangsmitteln anſieht; ſo flieht er. Hobbes hat dem ungeachtet Recht, wenn er behauptet, daß der natuͤrliche Menſch den Begrif von Bothmaͤßigkeit und Herrſchſucht in ſich traͤgt. Herrſchſucht, Ty- ranney und Furcht, ſind ſich ſo nahe ver- wandt, als moͤglich. Ein Grad mehr Furcht am andern zu erblicken, macht den Wilden nachdenkend. Jener laͤuft, dieſer verfolgt ihn. Jener verkriecht ſich, dieſer ſpuͤrt ihm nach. Freylich wenn ſich jener umſehen, nur umſehen, nur hervorblicken moͤchte, wuͤrde dieſer umkehren; allein da jener ſich nicht um- ſieht, da er nicht hervorblickt; ſo wird dieſer ſein Meiſter. Aus Furcht wird er ihn beherr- ſchen, damit er ſich nicht mehr vor ihm fuͤrch- ten duͤrfe. Im wilden Naturſtande muͤßte man alſo den Herrn blos als ganzen Men- ſchen, die Unterthanen aber als verſtuͤmmelt, blind, krumm und lahm ſehen. Mit der Zeit wuͤrde ſich der Menſch beſſer kennen lernen; es wuͤrde dem herrſchenden Scharfrichter leid thun, daß er dieſem die Hand, jenem das Bein gelaͤhmt, und man wuͤrde ſich in Ver- bindungen mit einander ſetzen. Wenn ſich gleich beym Anfange ein Paar warmherzige
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ſieht, denen er die nemliche Vernunft, die
nemliche Quelle zu Zwangsmitteln anſieht;
ſo flieht er. Hobbes hat dem ungeachtet
Recht, wenn er behauptet, daß der natuͤrliche
Menſch den Begrif von Bothmaͤßigkeit und
Herrſchſucht in ſich traͤgt. Herrſchſucht, Ty-
ranney und Furcht, ſind ſich ſo nahe ver-
wandt, als moͤglich. Ein Grad mehr Furcht
am andern zu erblicken, macht den Wilden
nachdenkend. Jener laͤuft, dieſer verfolgt
ihn. Jener verkriecht ſich, dieſer ſpuͤrt ihm
nach. Freylich wenn ſich jener umſehen, nur
umſehen, nur hervorblicken moͤchte, wuͤrde
dieſer umkehren; allein da jener ſich nicht um-
ſieht, da er nicht hervorblickt; ſo wird dieſer
ſein Meiſter. Aus Furcht wird er ihn beherr-
ſchen, damit er ſich nicht mehr vor ihm fuͤrch-
ten duͤrfe. Im wilden Naturſtande muͤßte
man alſo den Herrn blos als ganzen Men-
ſchen, die Unterthanen aber als verſtuͤmmelt,
blind, krumm und lahm ſehen. Mit der Zeit
wuͤrde ſich der Menſch beſſer kennen lernen;
es wuͤrde dem herrſchenden Scharfrichter leid
thun, daß er dieſem die Hand, jenem das
Bein gelaͤhmt, und man wuͤrde ſich in Ver-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/193>, abgerufen am 24.11.2024.
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