Es giebt eigentlich nur Naturgesetze, oder solche, welche aus der menschlichen Natur faß- lich sind. Zwar haben auch Gesellschaften, Völker, Staaten Gesetze, die außer dieser Grenze zu liegen scheinen; allein wenn diese Gesetze anders, als aus der Natur des Men- schen erkläret werden, so sind es nicht Gesetze, sondern Unmenschlichkeiten. Es sind Land- plagen, ärger als Frösche, Heuschrecken, und auch ärger als, wenn die menschliche Erstge- burt unter die Soldaten genommen wird, fiel Herr v. G -- bey dieser Gelegenheit ein.
Mein Vater hielt ein wenig an, und fuhr fort, ohne zu antworten: Der Mensch ist ein geselliges Thier, es ist nicht gut, daß er allein sey. Die Menschen werden nur Menschen, und können sich als Menschen zeigen, wenn sie in Gesellschaft treten. "Einer ist keiner. Ein Mensch ist kein Mensch" würde meine Frau sagen; Ein Mensch aber ist kein guter Mensch. Nicht der Müßiggang, sondern die Einsamkeit ist die Mutter alles Bösen. Es ist indessen Grund und Folge; allein seyn und müßig seyn, ist ziemlich einerley. Große Er- findungen selbst sind in Gesellschaft gemacht; alle Künsteley in der Einsamkeit. Gott allein ist Einer. Hier gilt nicht, Eins ist keins.
Der
Es giebt eigentlich nur Naturgeſetze, oder ſolche, welche aus der menſchlichen Natur faß- lich ſind. Zwar haben auch Geſellſchaften, Voͤlker, Staaten Geſetze, die außer dieſer Grenze zu liegen ſcheinen; allein wenn dieſe Geſetze anders, als aus der Natur des Men- ſchen erklaͤret werden, ſo ſind es nicht Geſetze, ſondern Unmenſchlichkeiten. Es ſind Land- plagen, aͤrger als Froͤſche, Heuſchrecken, und auch aͤrger als, wenn die menſchliche Erſtge- burt unter die Soldaten genommen wird, fiel Herr v. G — bey dieſer Gelegenheit ein.
Mein Vater hielt ein wenig an, und fuhr fort, ohne zu antworten: Der Menſch iſt ein geſelliges Thier, es iſt nicht gut, daß er allein ſey. Die Menſchen werden nur Menſchen, und koͤnnen ſich als Menſchen zeigen, wenn ſie in Geſellſchaft treten. „Einer iſt keiner. Ein Menſch iſt kein Menſch“ wuͤrde meine Frau ſagen; Ein Menſch aber iſt kein guter Menſch. Nicht der Muͤßiggang, ſondern die Einſamkeit iſt die Mutter alles Boͤſen. Es iſt indeſſen Grund und Folge; allein ſeyn und muͤßig ſeyn, iſt ziemlich einerley. Große Er- findungen ſelbſt ſind in Geſellſchaft gemacht; alle Kuͤnſteley in der Einſamkeit. Gott allein iſt Einer. Hier gilt nicht, Eins iſt keins.
Der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0186"n="180"/>
Es giebt eigentlich nur Naturgeſetze, oder<lb/>ſolche, welche aus der menſchlichen Natur faß-<lb/>
lich ſind. Zwar haben auch Geſellſchaften,<lb/>
Voͤlker, Staaten Geſetze, die außer dieſer<lb/>
Grenze zu liegen ſcheinen; allein wenn dieſe<lb/>
Geſetze anders, als aus der Natur des Men-<lb/>ſchen erklaͤret werden, ſo ſind es nicht Geſetze,<lb/>ſondern Unmenſchlichkeiten. Es ſind Land-<lb/>
plagen, aͤrger als Froͤſche, Heuſchrecken, und<lb/>
auch aͤrger als, wenn die menſchliche Erſtge-<lb/>
burt unter die Soldaten genommen wird, fiel<lb/>
Herr v. G — bey dieſer Gelegenheit ein.</p><lb/><p>Mein Vater hielt ein wenig an, und fuhr<lb/>
fort, ohne zu antworten: Der Menſch iſt ein<lb/>
geſelliges Thier, es iſt nicht gut, daß er allein<lb/>ſey. Die Menſchen werden nur Menſchen,<lb/>
und koͤnnen ſich als Menſchen zeigen, wenn<lb/>ſie in Geſellſchaft treten. „<hirendition="#fr">Einer iſt keiner.<lb/>
Ein Menſch iſt kein Menſch</hi>“ wuͤrde meine<lb/>
Frau ſagen; Ein Menſch aber iſt kein guter<lb/>
Menſch. Nicht der Muͤßiggang, ſondern die<lb/>
Einſamkeit iſt die Mutter alles Boͤſen. Es<lb/>
iſt indeſſen Grund und Folge; allein ſeyn und<lb/>
muͤßig ſeyn, iſt ziemlich einerley. Große Er-<lb/>
findungen ſelbſt ſind in Geſellſchaft gemacht;<lb/>
alle Kuͤnſteley in der Einſamkeit. Gott allein<lb/>
iſt Einer. Hier gilt nicht, Eins iſt keins.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Der</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[180/0186]
Es giebt eigentlich nur Naturgeſetze, oder
ſolche, welche aus der menſchlichen Natur faß-
lich ſind. Zwar haben auch Geſellſchaften,
Voͤlker, Staaten Geſetze, die außer dieſer
Grenze zu liegen ſcheinen; allein wenn dieſe
Geſetze anders, als aus der Natur des Men-
ſchen erklaͤret werden, ſo ſind es nicht Geſetze,
ſondern Unmenſchlichkeiten. Es ſind Land-
plagen, aͤrger als Froͤſche, Heuſchrecken, und
auch aͤrger als, wenn die menſchliche Erſtge-
burt unter die Soldaten genommen wird, fiel
Herr v. G — bey dieſer Gelegenheit ein.
Mein Vater hielt ein wenig an, und fuhr
fort, ohne zu antworten: Der Menſch iſt ein
geſelliges Thier, es iſt nicht gut, daß er allein
ſey. Die Menſchen werden nur Menſchen,
und koͤnnen ſich als Menſchen zeigen, wenn
ſie in Geſellſchaft treten. „Einer iſt keiner.
Ein Menſch iſt kein Menſch“ wuͤrde meine
Frau ſagen; Ein Menſch aber iſt kein guter
Menſch. Nicht der Muͤßiggang, ſondern die
Einſamkeit iſt die Mutter alles Boͤſen. Es
iſt indeſſen Grund und Folge; allein ſeyn und
muͤßig ſeyn, iſt ziemlich einerley. Große Er-
findungen ſelbſt ſind in Geſellſchaft gemacht;
alle Kuͤnſteley in der Einſamkeit. Gott allein
iſt Einer. Hier gilt nicht, Eins iſt keins.
Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/186>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.