Natur drunter war. So konnte er sich über Naif und Laune nicht zufrieden geben, ob- gleich diese ganze Lehre viel Kopfputz enthält! Ich habe die Schule durchgelaufen, pflegt' er zu sagen, spornstreichs, setzt' er hinzu. Was thuts! Er hatte mehr beym Fensterein- werfen und beym Ständchen, bey einer Pro- fessor-Cour, und was weis ich wo mehr, ge- lernt, als hundert seiner Gesellen in den Col- legiis, die sich ärgerten, wennn jemand dem natürlichen Wink seiner Nase folgte, und sie mit dem Schnupftuch in der Hand störte. Da seh' ich noch so manchen Nachschreiber lebhaft, der gern dem guten Pastor nachge- fragt hätte: Wer grunzet in der Gemeine? wenn dies Milchknäbchen nicht befürchten müs- sen, es würde ihn ein Spiesgeselle angewie- sen haben, seine weise Nase ins Heft zu stecken --
Herr v. G -- behauptete, Gelehrsamkeit sey nur um nachzuschlagen, und wenn man ein so gutes Lexicon in der Nähe hätte, wie mein Vater; so wäre nichts überflüßiger, als sich den Kopf mit Worten zu überladen, oder mit der Schale zu schöpfen!
Es giebt Schrift- und Redgelehrte, So- krate und Platone, so wie es gehende und
sitzen-
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Natur drunter war. So konnte er ſich uͤber Naif und Laune nicht zufrieden geben, ob- gleich dieſe ganze Lehre viel Kopfputz enthaͤlt! Ich habe die Schule durchgelaufen, pflegt’ er zu ſagen, ſpornſtreichs, ſetzt’ er hinzu. Was thuts! Er hatte mehr beym Fenſterein- werfen und beym Staͤndchen, bey einer Pro- feſſor-Cour, und was weis ich wo mehr, ge- lernt, als hundert ſeiner Geſellen in den Col- legiis, die ſich aͤrgerten, wennn jemand dem natuͤrlichen Wink ſeiner Naſe folgte, und ſie mit dem Schnupftuch in der Hand ſtoͤrte. Da ſeh’ ich noch ſo manchen Nachſchreiber lebhaft, der gern dem guten Paſtor nachge- fragt haͤtte: Wer grunzet in der Gemeine? wenn dies Milchknaͤbchen nicht befuͤrchten muͤſ- ſen, es wuͤrde ihn ein Spiesgeſelle angewie- ſen haben, ſeine weiſe Naſe ins Heft zu ſtecken —
Herr v. G — behauptete, Gelehrſamkeit ſey nur um nachzuſchlagen, und wenn man ein ſo gutes Lexicon in der Naͤhe haͤtte, wie mein Vater; ſo waͤre nichts uͤberfluͤßiger, als ſich den Kopf mit Worten zu uͤberladen, oder mit der Schale zu ſchoͤpfen!
Es giebt Schrift- und Redgelehrte, So- krate und Platone, ſo wie es gehende und
ſitzen-
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Natur drunter war. So konnte er ſich uͤber
Naif und Laune nicht zufrieden geben, ob-
gleich dieſe ganze Lehre viel Kopfputz enthaͤlt!
Ich habe die Schule durchgelaufen, pflegt’
er zu ſagen, ſpornſtreichs, ſetzt’ er hinzu.
Was thuts! Er hatte mehr beym Fenſterein-
werfen und beym Staͤndchen, bey einer Pro-
feſſor-Cour, und was weis ich wo mehr, ge-
lernt, als hundert ſeiner Geſellen in den Col-
legiis, die ſich aͤrgerten, wennn jemand dem
natuͤrlichen Wink ſeiner Naſe folgte, und ſie
mit dem Schnupftuch in der Hand ſtoͤrte.
Da ſeh’ ich noch ſo manchen Nachſchreiber
lebhaft, der gern dem guten Paſtor nachge-
fragt haͤtte: Wer grunzet in der Gemeine?
wenn dies Milchknaͤbchen nicht befuͤrchten muͤſ-
ſen, es wuͤrde ihn ein Spiesgeſelle angewie-
ſen haben, ſeine weiſe Naſe ins Heft zu
ſtecken —
Herr v. G — behauptete, Gelehrſamkeit
ſey nur um nachzuſchlagen, und wenn man
ein ſo gutes Lexicon in der Naͤhe haͤtte, wie
mein Vater; ſo waͤre nichts uͤberfluͤßiger, als
ſich den Kopf mit Worten zu uͤberladen, oder
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Es giebt Schrift- und Redgelehrte, So-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/169>, abgerufen am 26.11.2024.
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