Gedächtnis beschone. Sie ist dem Gedächt- nis eben das, pflegte sie zu sagen, was die grüne Farbe den Augen ist. Bey Sprachen hingegen, fuhr sie fort, greift man das Ge- dächtnis an -- Was ich sagen wolte, be- traf eigentlich Sprachen.
Meine Mutter war keine Freundin von Wörterbüchern. Wenn auch, sagte sie, dir das oder jenes Wort fehlt; die Sache verläßt keinen, der sie nicht verläßt. Sie hat nicht unrecht. Wer eine Sprache nicht ex professo weiß, kann sich doch drinn treflich ausdrücken, wenn er nur sonst ein Kopf ist. Wagen ge- winnt, wagen verliehrt, heißts hier! Was ich ein Genie gern eine Sprache reden höre, deren es nicht völlig mächtig ist! und wo ist ein Genie, das seine Sprache pünktlich weiß? Da seh' ich denn, wie dem vollen Ausbruch der Flamme nur ein Mund voll Luft ge- bricht -- Ein Genie ist ein Kopf, der nicht aufs Wort merkt und doch, fehlts ihm nie an irgend einem Guten. Kraft und Macht sind hier verschieden; obgleich sie sonst ein Paar sind.
Mein Vater las nie ohne Wörterbuch eine Sprache, in der er nicht Meister war. Er mußte alles aus dem Grund haben und
jedes
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Gedaͤchtnis beſchone. Sie iſt dem Gedaͤcht- nis eben das, pflegte ſie zu ſagen, was die gruͤne Farbe den Augen iſt. Bey Sprachen hingegen, fuhr ſie fort, greift man das Ge- daͤchtnis an — Was ich ſagen wolte, be- traf eigentlich Sprachen.
Meine Mutter war keine Freundin von Woͤrterbuͤchern. Wenn auch, ſagte ſie, dir das oder jenes Wort fehlt; die Sache verlaͤßt keinen, der ſie nicht verlaͤßt. Sie hat nicht unrecht. Wer eine Sprache nicht ex profeſſo weiß, kann ſich doch drinn treflich ausdruͤcken, wenn er nur ſonſt ein Kopf iſt. Wagen ge- winnt, wagen verliehrt, heißts hier! Was ich ein Genie gern eine Sprache reden hoͤre, deren es nicht voͤllig maͤchtig iſt! und wo iſt ein Genie, das ſeine Sprache puͤnktlich weiß? Da ſeh’ ich denn, wie dem vollen Ausbruch der Flamme nur ein Mund voll Luft ge- bricht — Ein Genie iſt ein Kopf, der nicht aufs Wort merkt und doch, fehlts ihm nie an irgend einem Guten. Kraft und Macht ſind hier verſchieden; obgleich ſie ſonſt ein Paar ſind.
Mein Vater las nie ohne Woͤrterbuch eine Sprache, in der er nicht Meiſter war. Er mußte alles aus dem Grund haben und
jedes
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Gedaͤchtnis beſchone. Sie iſt dem Gedaͤcht-
nis eben das, pflegte ſie zu ſagen, was die
gruͤne Farbe den Augen iſt. Bey Sprachen
hingegen, fuhr ſie fort, greift man das Ge-
daͤchtnis an — Was ich ſagen wolte, be-
traf eigentlich Sprachen.
Meine Mutter war keine Freundin von
Woͤrterbuͤchern. Wenn auch, ſagte ſie, dir
das oder jenes Wort fehlt; die Sache verlaͤßt
keinen, der ſie nicht verlaͤßt. Sie hat nicht
unrecht. Wer eine Sprache nicht ex profeſſo
weiß, kann ſich doch drinn treflich ausdruͤcken,
wenn er nur ſonſt ein Kopf iſt. Wagen ge-
winnt, wagen verliehrt, heißts hier! Was
ich ein Genie gern eine Sprache reden hoͤre,
deren es nicht voͤllig maͤchtig iſt! und wo iſt
ein Genie, das ſeine Sprache puͤnktlich weiß?
Da ſeh’ ich denn, wie dem vollen Ausbruch
der Flamme nur ein Mund voll Luft ge-
bricht — Ein Genie iſt ein Kopf, der nicht
aufs Wort merkt und doch, fehlts ihm nie
an irgend einem Guten. Kraft und Macht
ſind hier verſchieden; obgleich ſie ſonſt ein
Paar ſind.
Mein Vater las nie ohne Woͤrterbuch
eine Sprache, in der er nicht Meiſter war.
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/139>, abgerufen am 24.11.2024.
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