goldne Tabatiere mit ihrem Bilde! Sie wirft noch Strahlen auf ihn, die so aus den Ge- sichtszügen des Gestorbenen herausleuchten, wie das Antlitz des Moses, obgleich er schon vom Donner und Blitzberge war. Der Mensch dort, so lange die Seele in ihm lebte, schwebte und war, sich so oft hinter ihr ver- steckte, und vom Verstande Feigenblätter, Vorhänge borgte, kaufte, wie es die Noth wolte, ist da auf ein Haar zu sehen. Als wenn er lebt! Als wenn die Seele nur über Feld gegangen wäre, um frische Luft zu schö- pfen, um ins Freye zu gehen, als wenn die Seele gleich wieder kommen würde. Ihr Hauptsessel ist noch nicht kalt. -- Spasvo- gel Diogenes, lösche deine Laterne aus! Hier sind Menschen, recht wie sie sind. -- Da ist das aufgegebene Räthsel und die Lösung, das Exempel und die Probe! Jeder fürchtet sich vor dem natürlichen, vor dem Cammertode, vor dem kalten vernünftigen Tode. Der Hel- dentodt, der Feldtodt, ist nicht kalt, nicht ver- nünftig. Es ist ein künstlicher Tod, man weiß nicht wo man bleibt, und ich, sagte der Graf, ich, der ich dem Tode seine Künste ab- laure, ich der ich ihm nachschreibe, wolte in Fällen dieser Art nicht Observationen anstel-
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goldne Tabatiere mit ihrem Bilde! Sie wirft noch Strahlen auf ihn, die ſo aus den Ge- ſichtszuͤgen des Geſtorbenen herausleuchten, wie das Antlitz des Moſes, obgleich er ſchon vom Donner und Blitzberge war. Der Menſch dort, ſo lange die Seele in ihm lebte, ſchwebte und war, ſich ſo oft hinter ihr ver- ſteckte, und vom Verſtande Feigenblaͤtter, Vorhaͤnge borgte, kaufte, wie es die Noth wolte, iſt da auf ein Haar zu ſehen. Als wenn er lebt! Als wenn die Seele nur uͤber Feld gegangen waͤre, um friſche Luft zu ſchoͤ- pfen, um ins Freye zu gehen, als wenn die Seele gleich wieder kommen wuͤrde. Ihr Hauptſeſſel iſt noch nicht kalt. — Spasvo- gel Diogenes, loͤſche deine Laterne aus! Hier ſind Menſchen, recht wie ſie ſind. — Da iſt das aufgegebene Raͤthſel und die Loͤſung, das Exempel und die Probe! Jeder fuͤrchtet ſich vor dem natuͤrlichen, vor dem Cammertode, vor dem kalten vernuͤnftigen Tode. Der Hel- dentodt, der Feldtodt, iſt nicht kalt, nicht ver- nuͤnftig. Es iſt ein kuͤnſtlicher Tod, man weiß nicht wo man bleibt, und ich, ſagte der Graf, ich, der ich dem Tode ſeine Kuͤnſte ab- laure, ich der ich ihm nachſchreibe, wolte in Faͤllen dieſer Art nicht Obſervationen anſtel-
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goldne Tabatiere mit ihrem Bilde! Sie wirft
noch Strahlen auf ihn, die ſo aus den Ge-
ſichtszuͤgen des Geſtorbenen herausleuchten,
wie das Antlitz des Moſes, obgleich er ſchon
vom Donner und Blitzberge war. Der
Menſch dort, ſo lange die Seele in ihm lebte,
ſchwebte und war, ſich ſo oft hinter ihr ver-
ſteckte, und vom Verſtande Feigenblaͤtter,
Vorhaͤnge borgte, kaufte, wie es die Noth
wolte, iſt da auf ein Haar zu ſehen. Als
wenn er lebt! Als wenn die Seele nur uͤber
Feld gegangen waͤre, um friſche Luft zu ſchoͤ-
pfen, um ins Freye zu gehen, als wenn die
Seele gleich wieder kommen wuͤrde. Ihr
Hauptſeſſel iſt noch nicht kalt. — Spasvo-
gel Diogenes, loͤſche deine Laterne aus! Hier
ſind Menſchen, recht wie ſie ſind. — Da iſt
das aufgegebene Raͤthſel und die Loͤſung, das
Exempel und die Probe! Jeder fuͤrchtet ſich
vor dem natuͤrlichen, vor dem Cammertode,
vor dem kalten vernuͤnftigen Tode. Der Hel-
dentodt, der Feldtodt, iſt nicht kalt, nicht ver-
nuͤnftig. Es iſt ein kuͤnſtlicher Tod, man
weiß nicht wo man bleibt, und ich, ſagte der
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laure, ich der ich ihm nachſchreibe, wolte in
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/79>, abgerufen am 23.11.2024.
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